Archäologie:Förderband nach Stonehenge

Möglicherweise haben nicht Steinzeitmenschen die riesigen Steine 200 Kilometer weit zur Kultstätte Stonehenge transportiert, sondern ein Gletscher.

Axel Bojanowski

Seit 5000 Jahren versammeln sich Menschen in Stonehenge. Phönizier, Römer, Kelten und Wikinger sollen in den geheimnisvollen Steinkreisen in Südengland Zeremonien abgehalten haben. Das berühmte Bauwerk aus der Jungsteinzeit war wohl auch ein Ort der Wissenschaft.

Archäologie: Nicht Menschen, sondern Gletscher haben möglicherweise die riesigen Felsen von Wales nach Stonehenge geschafft.

Nicht Menschen, sondern Gletscher haben möglicherweise die riesigen Felsen von Wales nach Stonehenge geschafft.

(Foto: Foto: AP)

Seine Felsbrocken wurden so ausgerichtet, dass sich astronomische Phänomene wie Sonnenwenden vorhersagen ließen. Auch hieß es, den zumeist bläulichen Felsen seien einst Heilkräfte zugeschrieben worden. Am Beginn dieses Jahres warteten britische Klangforscher gar mit der These auf, der Felsgarten sei eine Art Steinzeit-Disco gewesen. Die Steinkreise würden den Schall "dramatisch verstärken", die Stätte sei folglich zum Feiern erschaffen worden.

Welchem Zweck Stonehenge einst tatsächlich diente, bleibt bis heute ein Rätsel - allerdings eines, für das viele obskure Lösungen angeboten werden. Sicher ist nur, dass Stonehenge in mehreren Etappen erbaut wurde. Die ersten Spuren sind fünf Jahrtausende alt. Und sicher ist, dass die knapp 100 Felsen von einem Gebirge in Wales stammen, mehr als 200 Kilometer nordwestlich von Stonehenge.

Bislang glaubten Archäologen, die Quader - manche sind schwerer als ein voll beladener Lastwagen - wären von Menschen transportiert worden. Rund zwei Millionen mühsame Arbeitsstunden hätten die Menschen jener Zeit für den Transport auf sich genommen, hieß es. Eine solche Bauleistung wäre einzigartig während der Steinzeit.

Nachahmung gescheitert

Moderne Menschen scheiterten allerdings daran, das Unternehmen nachzuahmen. Vor acht Jahren versuchten Wissenschaftler mit Imitationen von Steinzeit-Flößen und anderen zeitgenössischen Hilfsmitteln, Felsen aus Wales nach Stonehenge zu schaffen. Sie blamierten sich nach wenigen Kilometern - die Steine versanken im Wasser.

Nun müssen sich die Archäologen wohl endgültig von der Vorstellung fortschrittlicher Steinzeitmenschen verabschieden. Nicht Menschen, sondern Gletscher hätten die riesigen Felsen von Wales nach Stonehenge geschafft, behauptet nun der Geologe Brian John von der University of Durham.

Die Gletscher-Theorie keimte bereits im 19. Jahrhundert auf. Naturforschern war aufgefallen, dass Stonehenge aus Steinen besteht, die es in der Umgebung nicht gibt. Der Boden vor Ort besteht aus Kreide-Gestein, das die Baumeister seinerzeit aber nicht verwendeten. Im Jahr 1908 konnten Geologen die Stonehenge-Felsen schließlich ihrem Ursprung zuordnen. Sie stammen von 21 Orten in der Region Mynydd Preseli in Wales.

Mit dem Argument, die steinzeitlichen Baumeister hätten die Felsen sorgfältig nach Farbe und Struktur ausgesucht, widersprachen Archäologen der Gletscher-Theorie. Den Steinen seien unterschiedliche Kräfte zugesprochen worden - deshalb der gigantische Transport-Aufwand.

Spuren eines Gletschers gebe es keine in Stonehenge, hatten Archäologen stets behauptet. Die Wissenschaftler verwiesen stattdessen auf ungewöhnliche Knochenfunde. In der Umgebung von Stonehenge wurden in Steinzeitgräbern zahlreiche menschliche Skelette gefunden, die Missbildungen und Verletzungen aufwiesen. Viele der Toten stammten nicht aus der Region. Die Indizien deuteten darauf hin, dass es sich um ausgezehrte Transportarbeiter handelte.

Förderband nach Stonehenge

Doch die Sachlage war nie eindeutig. Im weiteren Umkreis wurden beispielsweise Findlinge entdeckt, also Felsbrocken, die eindeutig von Gletschern transportiert worden waren.

Archäologie: War Stonehenge eine Stätte zum Feiern?

War Stonehenge eine Stätte zum Feiern?

(Foto: Foto: Reuters)

Schon lange vermuteten Geoforscher deshalb, dass sich während der viertletzten Eiszeit vor 400.000 Jahren - sie war besonders kalt - Gletscher über die Region im Süden Englands geschoben hatten. Allerdings war es schwer zu begründen, wie 100 Felsen entlang einer engen Schneise quasi im Bündel mehr als 200 Kilometer weit geschleppt werden konnten.

Wie Creme aus einer Tube

Nun gibt es eine Erklärung: Ein "Eis-Förderband" habe die Findlinge aus Wales in die Umgebung von Stonehenge befördert, schreibt der Geologe Brian John von der University of Durham nun in seinem neuen Buch "The Bluestone Enigma". Der Wales-Gletscher und der Irische-See-Gletscher seien während der Eiszeit vor 400.000 Jahren in Südwales zusammengetroffen - in jenem Gebiet, aus dem die Stonehenge-Steine stammten, schreibt Brian John.

Unter dem Druck beider Eiszungen sei zwischen ihnen quasi ein Förderband entstanden: Das Eis in der Mitte beider Eiszungen sei wie Salbe aus einer Tube herausgequetscht worden - in Richtung Südosten. Es wälzte sich demnach geradewegs auf Stonehenge zu. Im Gepäck hatte das Eis-Förderband jede Menge Gestein. Größere Brocken schleifen Gletscher zumeist von Anhöhen ab - so etwa von dem Mynydd Preseli Gebiet, aus dem die Stonehenge-Felsen stammen.

In Kanada hat Brian John das Gegenstück zum Stonehenge-Förderband entdeckt. Zwei Eisströme haben in Alberta in Westkanada während der letzten Eiszeit vor 18.000 Jahren ein schmales Eisband von 500 Kilometern Länge erzeugt. Das Transportband habe südöstlich von Calgary Hunderte Felsen ausgespuckt, berichtet der Geologe Brian John.

Eine ähnliche Lieferung fanden die Steinzeit-Menschen offenbar nahe Stonehenge vor. Der Archäologe Tim Darvill von der Bournemouth University bleibt jedoch skeptisch.

Warum, fragt er, verwendeten die Steinzeit-Menschen so exotische Steine? Andere lagen dort einfach nicht herum, meint Jones. Bereits vor dem Bau von Stonehenge hätten Menschen in der Nähe von Stonehenge ähnliche Felsen aus Wales für kleinere Bauten verwendet.

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