Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Die Europäer kamen aus der Toskana

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Anhand genetischer Daten können Forscher heute nachzeichnen, wie der moderne Mensch von Afrika aus die Erde erobert hat. Die ersten Europäer waren demnach die Bewohner der Toskana.

Christopher Schrader

Die ersten, die sich verabschiedeten, waren die San, ein Buschmann-Volk aus der Kalahari-Wüste im Südwesten Afrikas. Als letzte fingen die Kambodschaner an, eigene Wege zu gehen - eine halbe Welt entfernt und 31 Aufspaltungen der menschlichen Entwicklungslinie später.

Und irgendwo dazwischen entstanden die Europäer, trennten sich die Basken von den Franzosen, die Nord-Italiener von den Sarden und die Bewohner der Orkney-Inseln von den Russen.

Zu solchen Einsichten in die Geschichte der Menschheit gelangt, wer einen Stammbaum studiert, den Genetiker von der kalifornischen Stanford-University heute in Science zeigen (Bd.319, S.1100, 2008). Immer wieder spalten sich hier Äste ab, die zu einzelnen Völkern führen.

Die Forscher um Luigi Cavalli-Sforza legen damit die bislang genaueste Auswertung von genetischen Daten vor, die das Human Genome Diversity Project gesammelt hatte; es sollte die menschliche Vielfalt dokumentieren. Insgesamt 650.000 genetische Abschnitte haben die Forscher in den Computer gespeist:

Die Sequenzen des Erbgut der einbezogenen knapp 1000 Menschen unterschieden sich jeweils um einen genetischen Buchstaben. Der Rechner hat die 51 ethnischen Gruppen, denen die Probanden angehörten, zum Stammbaum geordnet.

Die Auswahl der Ethnien ist nicht vollständig. So fehlen Gruppen aus Indien, Australien sowie Alaska und Kanada. Das Projekt war vor vielen Jahren von Naturvölkern und Stämmen kritisiert worden, die aus Sorge, ihr Erbgut könne missbraucht werden, die Teilnahme ablehnten.

Warum die Deutschen fehlen

Andere Gruppen fehlen offenbar, weil ihre DNS nach vielfältiger Vermischung in der Geschichte kaum eindeutig zuzuordnen ist. Das dürfte erklären, warum keine Deutschen oder Briten vorkommen.

Dennoch sagen die Forscher, aus ihren Daten könnten sie vor allem die Abstammung der europäischen Gruppen genauer erkennen als zuvor. Demnach haben sich im Lauf der Entwicklung zunächst die Bewohner der Toskana abgespalten; sie verließen die gemeinsame Linie gleich nach den Drusen aus dem Nahen Osten.

Danach entstanden andere Ethnien in Italien, bevor die Vorfahren der heutigen Basken sich von den Franzosen trennten. "Auch wenn da viele Gruppen fehlen, die wesentlichen Aussagen über die Entwicklungsgeschichte der Menschheit würden sich nicht ändern, wenn das Projekt mehr Daten hätte", sagt Mark Stoneking vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Die Datenbank enthält eine vernünftige Auswahl der menschlichen Vielfalt."

Die Wiege stand in Äthiopien

Die Forscher können anhand ihrer Daten nachzeichnen, wie die Menschheit die Erde erobert hat. Nachdem im Osten Afrikas vor 70.000 bis 100.000 Jahren die modernen Menschen entstanden waren, haben sie den Rest des Kontinents besiedelt.

Eine kleine Gruppe ist aber auch über den Nahen Osten nach Europa und Asien gewandert. Von dort gelangten die Nachfahren weiter nach Ozeanien und in die Amerikas. "Keine dieser Gruppen ist primitiver oder fortschrittlicher als andere", sagt Mark Stoneking. "Alle sind im gleichen Maß mit dem gemeinsamen Vorfahren verwandt."

Die Forscher können aber erkennen, dass sich auf der Wanderung immer wieder kleine Gruppen abgespalten haben und weitergezogen sind, während die Mehrheit zurückblieb. Im Erbgut dieser jeweils wenigen Gründerväter und -mütter waren dann nicht mehr alle Varianten enthalten, die die Gesamtgruppe ausmachte.

Daher finden die Forscher, dass die genetische Variation innerhalb der einzelnen Ethnien immer kleiner wird, je weiter entfernt die Gruppen von Addis Abbeba leben, der Hauptstadt Äthiopiens. Das Land gilt wie ostafrikanische Nachbarn als Wiege der Menschheit.

Neue Bestätigung für "Out-of-Africa-These"

Die neue Studie bestätigt einmal mehr die "Out-of-Africa"-These, nach der alle modernen Menschen ursprünglich aus Ostafrika stammen. Zum gleichen Schluss war am Donnerstag eine Studie im Fachjournal Nature gekommen, die einen Ausschnitt der Daten aus dem Human Genome Diversity Project ausgewertet hatte.

Genauere Informationen sammeln zurzeit die Wissenschaftler von Human Genographic Project, die 100.000 Blutproben von indigenen Völkern analysieren möchten. Doch weil auch diese Genetiker auf Widerstand der ethnischen Gruppen stoßen, bleibt fraglich, ob die Menschheit die Wanderungsgeschichte ihrer Vorfahren vollständig rekonstruieren kann.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2008/mcs
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