Archäologie:Wie Wissenschaftler noch einen Schatz in den Pyramiden finden wollen

Cheops-Pyramide

Forscher suchen nach versteckten Räumen in der Cheops-Pyramide in Gizeh.

(Foto: dpa)

Mit Infrarotkameras und kosmischer Strahlung durchleuchten Wissenschaftler die ägyptischen Pyramiden - in der Hoffnung, Überreste einer verschollenen Königin zu finden.

Von Hubert Filser

In einen Steinquader am Fuß der mächtigen Cheops-Pyramide hat jemand das Wort "nada" eingekerbt: "nichts". Abgesehen davon, dass man keine Wörter ins letzte erhaltene der sieben Weltwunder ritzen sollte, könnte die Aussage auch falsch sein. Wenn sich Vermutungen ägyptischer, französischer und kanadischer Forscher bestätigen, liegt nämlich direkt neben dem Steinblock ein verborgener Zugang zu einer bislang übersehenen Kammer.

Oder ein unentdeckter Schacht, der tief ins Innere der gewaltigen Pyramide führt. Bilder einer Infrarotkamera zeigen jedenfalls deutliche Temperaturunterschiede. Jeweils zwei kleinere Blöcke unterhalb und seitlich des "Nada"-Blocks sind sechs Grad wärmer als ihre Umgebung. Verborgene Rampen oder Hohlräume könnten der Grund für diese Anomalie sein, sagt Salima Ikram, Ägyptologin und Professorin an der American University in Kairo.

Gibt es verborgene Kammern und Hohlräume in den Pyramiden?

Seit Ende Oktober läuft unter Federführung des ägyptischen Antikenministeriums das aufwendige Projekt "Scan Pyramids". Mit drei unterschiedlichen Technologien sollen die vier größten ägyptischen Pyramiden auf verborgene Kammern und Hohlräume durchleuchtet werden. Im Zentrum der Untersuchungen stehen die beiden großen Pyramiden von Gizeh, die Cheops-Pyramide und die Chephren-Pyramide, die in der staubigen Wüste in Sichtweite der Millionenmetropole Gizeh knapp 140 Meter in den Himmel ragen, nur 15 Kilometer südwestlich des Stadtzentrums von Kairo.

Dazu kommen die knapp 30 Kilometer weiter südlich gelegenen, weniger bekannten Pyramiden von Dahschur, die Rote Pyramide und die Knickpyramide, die Pharao Snofru während der Zeit des Alten Reiches unweit des Nils in der Wüste errichten ließ.

Mit Infrarotkameras auf der Suche nach Hohlräumen

Neben den Infrarot-Aufnahmen sollen die Bauwerke und ihre Umgebung mithilfe von Drohnen dreidimensional gescannt und in höchster Auflösung fotografiert werden; zudem setzen japanische Forscher der Universität Nagoya Myonen-Detektoren ein, wie man sie auch verwendet, um das Innenleben von Vulkanen oder Reaktoren wie dem von Fukushima zu studieren.

Ende Oktober begannen die Forscher, mit den Infrarotkameras die Ostseite der 4500 Jahre alten Cheops-Pyramide aufzunehmen, und zwar mehrmals am Tag: Während des Sonnenaufgangs, wenn die Steine noch kühl von der Nacht waren und sich langsam erwärmten, und beim Sonnenuntergang, wenn sie sich langsam wieder abkühlten. Ein hinter den Steinen verborgener Gang oder Hohlraum würde sich auf die Steintemperatur auswirken, so die Idee. Genau so kam man auf die Spur der wärmeren Kalksteinblöcke in der unteren Reihe der Ostseite.

Bei der Cheops-Pyramide gibt es unerklärliche Temperaturunterschiede

Dann erst fiel auf, dass die Steine auch kleiner sind und senkrecht stehen. Zudem sieht es so aus, als würde ein kleiner Weg direkt zu den Blöcken führen. "Irgendetwas ist dort", sagte Hany Helal von der Universität Kairo dem amerikanischen Sender CNN. Eine weitere Anomalie hat man in der Mitte der Ostseite entdeckt. In den anderen drei Pyramiden betrugen die gemessenen Temperaturunterschiede lediglich zwischen 0,1 und einem halben Grad. Dies lässt sich vermutlich allein mit Materialunterschieden erklären.

Noch sind die Gründe für die Besonderheiten in der Cheops-Pyramide unklar. Temperaturunterschiede sind an sich nicht ungewöhnlich. Kein Bauwerk ist aus einem Guss; kein archäologisches Objekt ist ohne Unregelmäßigkeiten. Die Anomalien könnten einfach nur Materialunterschiede oder Risse im Gestein sein. Allerdings lässt die Größenordnung aufhorchen.

Man wolle nun verschiedene Theorien testen, auch mithilfe von virtuellen Simulationen, sagt Mehdi Tayoubi, Präsident des eigens für das Projekt gegründeten französischen Instituts "Heritage Innovation Preservation" (HIP), das zusammen mit der Universität Kairo das bis Ende 2016 laufende Projekt koordiniert. In der ersten Phase sei es darum gegangen, mithilfe der Infrarot-Aufnahmen einen "schnellen Überblick" zu bekommen, sagt Tayoubi. Man bereite gerade die zweite Phase vor. Mehr Details verraten die Beteiligten derzeit nicht.

An interessanten Bereichen sollen Helikopterdrohnen über die Bauten schweben

Die vagen Äußerungen lassen viel Raum für Spekulationen. Schon oft hat man versucht, in den Pyramiden geheimnisvolle Kammern aufzuspüren. Das geht mindestens bis ins Mittelalter zurück. Erst mit Napoleons Ägyptenfeldzügen in den Jahren 1798 und 1799 begann auch die systematische Erforschung. Auch bei "Scan Pyramids" geht es wohl mehr um die faszinierende Suche als darum, eine spezielle These zu prüfen. "Auffällig ist, dass es keine Fragestellung zu geben scheint", sagt etwa Susanne Bickel.

Die Archäologin der Universität Basel hatte im Januar 2012 ziemlich genau 90 Jahre nach Howard Carters Sensationsfund von Tutanchamun erstmals wieder ein unangetastetes Mumiengrab im Tal der Könige entdeckt, die Grabkammer der Priesterin Nehemes Bastet. "Gut aber ist, dass sich Ägypten dem Einsatz moderner Technologien im Bereich der Archäologie öffnet", sagt Bickel.

Hochauflösende Bilder

In den kommenden Monaten wollen die ägyptischen und ausländischen Forscher nun beginnen, ein exaktes Abbild der vier Pyramiden in 3-D zu erstellen. Flugzeugähnliche Drohnen sollen Anfang kommenden Jahres zunächst das Plateau von Gizeh und die Dahschur-Pyramiden überfliegen, dabei mit Lasern die Oberfläche abtasten und ein hochaufgelöstes Relief erstellen.

Details von weniger als fünf Zentimetern Größe sollen erkennbar sein. An speziellen, interessanten Bereichen sollen Helikopterdrohnen über die Bauten schweben, sodass die Auflösung sogar bei nur einem Zentimeter liegen könnte. Mithilfe der Aufnahmen wollen die Forscher auch die Bauweise der Pyramiden besser verstehen. Die Bilder sollen einmal frei im Internet verfügbar sein.

Scan mit kosmischer Strahlung

Am ungewöhnlichsten ist sicher das Projekt, bei dem japanische Forscher von der Universität Nagoya die vier Pyramiden mit Myonen durchleuchten wollen. Diese entstehen, wenn kosmische Strahlung aus dem All auf Atomkerne in der äußeren Erdatmosphäre trifft.

Die Myonen rasen fast mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung Erde, durchdringen die Materie - also auch die Pyramiden - und werden dabei abgeschwächt. Aus ihren Spuren lassen sich theoretisch Rückschlüsse auf die von ihnen durchquerte Materie ziehen, insbesondere auf mögliche Hohlräume.

Japanische Physiker haben die Myonen-Tomografie in den vergangenen Jahren verfeinert

Im Jahr 1968 versuchte erstmals der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Luis Alvarez, die Chephren-Pyramide mit dieser Technik zu durchforsten - er entdeckte aber keine weiteren unbekannten Räume. Allerdings hatte er in seinen Auswertungen den Einfluss von Granitfelsen übersehen, die die Grabkammern üblicherweise umgeben. Und er konnte damals nur 19 Prozent des gesamten Baukörpers scannen.

Japanische Physiker haben die Myonen-Tomografie in den vergangenen Jahren verfeinert. Sie perfektionierten die Technik, beobachteten Magmakammern eines Vulkans, um mögliche Ausbrüche vorherzusagen, oder blickten damit in das Innere des Reaktors von Fukushima.

Finden die Forscher Überreste der legendären Königin Nofretete?

Als erstes wollen die Forscher nun die Knickpyramide in Dahschur scannen. Dieser Komplex sei noch am wenigsten untersucht, argumentieren sie. Derzeit teste man noch die Detektoren, sagt Mehdi Tayoubi. Doch schon in wenigen Wochen sollen die Messungen starten. Ob die Auflösung ausreicht, um eine wenige Meter große Kammer im Inneren einer Pyramide zu orten, muss sich zeigen.

Dass das ägyptischen Antikenministerium aufgeschlossen dafür ist, neue Technologien anzuwenden, zeigt sich auch an einem anderen Projekt. Im Sommer hatte der britische Archäologe Nicholas Reeves mit einer spektakulären und höchst spekulativen Theorie für Aufsehen gesorgt. In zwei Wänden der Grabkammer von Pharao Tutanchamun im Tal der Könige soll es demnach vermauerte und von üppig bemalten Stuckschichten verdeckte Durchgänge geben, die in bisher unbekannte Grabkammern führen.

In einem dieser Räume könnten sich die Überreste der legendären Königin Nofretete befinden, so Reeves. Die ägyptischen Behörden reagierten schnell und ließen den französischen Ingenieur Jean-Claude Barré in die Kammer - mit Infrarot-Scannern, die er auch bei "Scan Pyramids" einsetzt.

Ob es im Grab Tutanchamuns weitere Kammern gibt, ist immer noch nicht klar

Die ersten Ergebnisse sind erstaunlich: Tatsächlich zeigte die Kamera bei den Messungen Anfang November Temperaturunterschiede an mehreren Stellen der Kammer. "Es ist noch unklar, ob das auf große Räume hindeutet oder eher auf Risse, Spalten oder Anomalien im dahinterliegenden Gestein", sagt Salima Ikram. Dafür seien weitere Messungen notwendig. Unter Experten ist umstritten, ob abgedichtete Hohlräume in einem unterirdisch weitgehend konstanten Klima über Temperaturunterschiede überhaupt aufzuspüren sind. Weitere Langzeit-Infrarotmessungen sind nun geplant.

Parallel dazu hat der japanische Ingenieur Hirokatsu Watanabe die Nord- und Westwand des Grabes erstmals mit einem Radargerät untersucht und dabei offenbar zwei verschiedene Materialien gemessen, Gestein und "Nicht-Gestein". Der Wirbel war groß. Der 73-jährige Watanabe, der zuletzt vor 15 Jahren mit Reeves im Tal der Könige gearbeitet hat, war eigens für die Messung eingeflogen worden. Ob seine Daten eine weitere Kammer sicher belegen, ist noch nicht klar. Jason Herrmann, ein Experte für archäologische Geophysik an der Universität Tübingen, sagt, er kenne zwar Watanabes Methode nicht. Aber er denke, die Ergebnisse des Bodenradars müssten eindeutig sein.

2016 soll das Jahr der Pyramiden werden

"Ich glaube, dass man damit nicht nur eine mögliche Kammer aufspüren, sondern sogar ihre Größe bestimmen und zudem grob abschätzen kann, wie größere Objekte darin angeordnet sind", sagt Herrmann. Watanabe will seine Daten nun einen Monat lang auswerten. Ob auch andere internationale Experten einbezogen werden, ist unklar. Bleibt es bei der Einschätzung, wollen die Behörden von einer Nebenkammer aus vorsichtig in Richtung der vermuteten Grabkammer bohren.

Der einst prominenteste und umtriebigste Archäologe Ägyptens ist skeptisch. "Ich glaube nicht, dass der Radar irgendetwas zeigen kann", sagt der frühere Antikenminister Zahi Hawass. Hinter der Wand sei nichts, und schon gar nicht Nofretete.

Es bleibt in jedem Fall spannend im Land am Nil, bei den Pyramiden genauso wie im Tal der Könige. Möglicherweise werden im Jahr 2016 große Entdeckungen verkündet, vielleicht erweisen sich manche Ideen aber auch nur als Luftblasen. Für den ägyptischen Antikenminister Mamdouh el-Damaty ist die Sache klar. 2016 solle das "Jahr der Pyramiden" werden, sagte er zum Start von "Scan Pyramids". Mit einem "Nichts" an Ergebnissen will er da am Ende sicher nicht dastehen.

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