Archäologie:Das Rätsel von Santorini

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Die Caldera von Santorini ist heute mit Meerwasser gefüllt.

(Foto: Cezary Wojtkowski/imago/CHROMORANGE)
  • Irgendwann in der Bronzezeit hat ein gigantischer Vulkanausbruch die Mittelmeerinsel Thera (heute Santorini) hervorgebracht.
  • Über die Bestimmung des genauen Zeitpunkts streiten sich Forscher seit Langem.
  • Nun versucht eine neue Studie, die Ansichten der verschiedenen Lager zu versöhnen.

Von Lizzie Wade

Die Explosion der Mittelmeerinsel Thera Hunderte Jahre vor dem Trojanischen Krieg erschütterte die ganze Welt der Antike. Sie soll 60 Mal so stark gewesen sein wie der Vulkanausbruch des Mount St. Helens 1980 in Washington. Nicht nur wurde die Stadt Akrotiri unter der mächtigen Druckwelle begraben, in der Ägäis türmten sich zwölf Meter hohe Tsunamiwellen auf. Sie rasten direkt auf das 110 Kilometer südlich gelegene Kreta und damit auf das Zentrum der minoischen Zivilisation zu. Vulkanasche verstreute sich bis weit über das östliche Mittelmeer hinaus. Doch wann genau geschah diese Katastrophe?

Wäre der exakte Zeitpunkt des Ausbruchs bekannt, ließen sich anhand dessen die Chronologien antiker Kulturen, einschließlich der Griechen, Ägypter und Minoer, abstecken. Zwischen Archäologen und Verfechtern der physikalischen Radiokarbonmethode herrscht seit Langem ein erbitterter Kampf um die genaue Datierung. Indem Archäologen ägyptische Schriften und Töpferwaren miteinander verglichen, bezifferten sie den Zeitpunkt des Ausbruches auf 1500 vor Christus.

Radiokarbonanalysen ergaben dagegen einen deutlich früheren Zeitpunkt. Proben aus Akrotiri und nahegelegenen Orten - zum Beispiel von einem Olivenbaum, der bei der Explosion verschüttet wurde - sprechen für ein mehr als 100 Jahre älteres Datum. So streiten sich die Experten um einen Zeitraum vom späten 17. Jahrhundert bis zum frühen 15. Jahrhundert vor Christus. Eine neue Studie verheißt jetzt einen Waffenstillstand.

Offenbar lassen sich beide Methoden miteinander in Deckung bringen. Ein Team, das von der Archäologin und Wissenschaftlerin Charlotte Pearson von der Universität von Arizona in Tucson geleitet wird, untersuchte sowohl Kohlenstoff-Ablagerungen, als auch die individuellen Jahresringe von fünf Bäumen. Da sich die Ringe durch schlichtes Abzählen datieren lassen, können die Ergebnisse der Radiokarbonanalyse entsprechend angepasst werden.

"Es ist ein sehr beeindruckender Datensatz", sagt Paula Reimer, Geochronologin an der Queen's University Belfast. Sie ist die Vorsitzende einer internationalen Forschergruppe namens "IntCal", die die weltweit erste Kalibrierung für Radiokarbon entwickelte. Sollte ein weiteres Labor die Datierungsergebnisse bestätigen, könne das für jede Radiokarbon-Probe, die zwischen 1700 und 1500 vor Christus datiert wurde, bedeuten, dass sie nachkalibriert werden müsse, so Reimer.

Die Radiokarbon-Uhr tickt nicht gleichmäßig. Jeder Organismus trägt sowohl Kohlenstoff-14- als auch Kohlenstoff-12-Atome in sich. Mit dem Tod beginnen die radioaktiven C₁₄-Atome in einem bekannten zeitlichen Ablauf zu zerfallen. C₁₂-Atome aber bleiben unverändert. Indem Wissenschaftler das Verhältnis beider Isotope miteinander vergleichen, können sie errechnen, wann ein Organismus gelebt hat. Ein Faktor aber bleibt knifflig. Denn der Anteil von Radiokohlenstoff in der Atmosphäre - und damit in allen Organismen - schwankt mit der Menge an kosmischer Strahlung, die auf die Erde trifft. Um genaue Zeitabläufe festzustellen, müssen Wissenschaftler diese Schwankungen einkalkulieren. Genau an dieser Stelle werden die Jahresringe der Bäume interessant. Denn sie tragen beide Informationen in sich: den Radiokarbon-Wert und das absolute Alter.

Die neue Studie ist hilfreich. Einen genauen Zeitpunkt gibt es aber immer noch nicht

Als Datengrundlage für die IntCal-Kalibrierkurve dienten Holzstücke, die zehn Jahre alt waren. Das Forscherteam um Pearson aber schaffte es, das Kohlenstoffverhältnis noch genauer zu messen. Dafür untersuchten die Wissenschaftler einzelne Jahresringe von drei uralten Borstenkiefern in Kalifornien und von zwei Eichenbäumen in Irland. Die Kalibrierkurve, die sich hieraus ergab, unterschied sich signifikant von der IntCal-Kurve. Die Forscher ermittelten ein sogenanntes Radiokarbon-Plateau, das eine weitaus großere Bandbreite an Eruptionsdaten zulässt, die näher an das archäologische Datum für den Vulkanausbruch heranreichen. "Diese leichte Anpassung an die Form der Kalibrierkurve bewirkt, dass die mit verschiedenen Methoden gefundenen Hinweise auf den Zeitpunkt der Eruption zusammenpassen", sagt Pearson.

Unter Radiokarbon-Experten löst dieses Ergebnis gemischte Gefühle aus. Viele melden sich deshalb nun zu Wort. Christopher Ramsey, Professor an der University of Oxford in Großbritannien, hat einst dabei geholfen, den Vulkanausbruch auf Thera auf das 17. Jahrhundert vor Christus zu datieren. Jahrelang hat er Kritik für seine Daten einstecken müssen.

Erst in der vergangenen Woche wiesen Forscher in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift Scientific Reports darauf hin, dass Olivenbäume unregelmäßig wachsen und deshalb ungenaue Jahresringe bildeten. Aber wenn die Studie von Pearson korrekt sei, so Ramsey, "dann ist mit den Messwerten alles in Ordnung!" Vielmehr stimme mit den Daten der Kalibrierung, dem Goldstandard, den viele Wissenschaftler weltweit nutzen, möglicherweise etwas nicht. "Das hätte ich nicht erwartet", sagt Ramsey reumütig.

Stur Manning, Archäologe an der Cornell University, der die Radiokarbon-Untersuchung geleitet hat, betrachtet die neuen Erkenntnisse mit Sorge. Er fürchtet, dass sich nun Traditionalisten darin bestärkt fühlen, die Radiokarbon-Methode als Beweismittel abzulehnen. "Diese Studie wird jetzt das nächste Jahrzehnt lang zitiert, um zu zeigen, dass es eine Unklarheit mit Radiokarbon gibt, und wir es deshalb ignorieren sollten", sagt er. Manning fordert, die Kalibrierungsdaten von unabhängiger Stelle bestätigen zu lassen.

Ein anderer Archäologe sieht in der Studie einen Schritt vorwärts. Jeremy Rutter ist emeritierter Professor am Dartmouth College. "Ich bin ein wenig darüber enttäuscht, wo wir gelandet sind", sagt er. Nach wie vor sei es nicht möglich, den Vulkanausbruchs genau zu datieren. "Andererseits ist genau das Wissenschaft, stimmt's?"

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: Sandra Sperling. Weitere Informationen: www.aaas.org

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