Archäologie auf dem Schlachtfeld:Mit Holzkeulen gegen Bronzepfeile

Durchlöcherte Schädel, geborstene Knochen: Das Flüsschen Tollense in Mecklenburg birgt zahlreiche Spuren einer großen Schlacht vor 3000 Jahren. Die Funde sind eine archäologische Sensation.

Hans Holzhaider

Der Pfeil kam schräg von hinten. Er trug eine sorgfältig aus Feuerstein gearbeitete Spitze, fast fünf Zentimeter lang und messerscharf. Mühelos durchdrang sie Haut und Muskeln am rechten Oberarm des Getroffenen und fraß sich noch 22 Millimeter tief in den Knochen des Kugelgelenks. Dort blieb sie stecken. Über 3000 Jahre lang.

Archäologie auf dem Schlachtfeld: Ein Pfeil durchbohrte im Tollesetal vor mehr als 3000 Jahren den Arm eines Menschen der Bronzezeit und blieb im Knochen des Getroffenen stecken.

Ein Pfeil durchbohrte im Tollesetal vor mehr als 3000 Jahren den Arm eines Menschen der Bronzezeit und blieb im Knochen des Getroffenen stecken.

An einem Sommertag im Jahr 1996 ließ sich Hans-Dietrich Borgwardt, 66, aus dem Dorf Weltzin in Mecklenburg, mit seinem Schlauchboot die Tollense hinuntertreiben. Die Tollense ist ein Flüsschen, das im Tollensesee bei Neubrandenburg entspringt und nach 68 Kilometern und zahllosen Windungen bei Demmin in die Peene mündet. Der Wasserstand war sehr niedrig an diesem Tag, die torfige Uferböschung ragte mehr als einen Meter zu beiden Seiten senkrecht auf.

Und da sah Hans-Dietrich Borgwardt den Knochen: ein dicker, langer Knochen, er ragte horizontal aus der Böschung.

Abends erzählte er seinem Sohn Ronald davon, und zusammen gingen sie hinunter zum Fluss und gruben den Knochen aus, sehr vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter. Vater und Sohn Borgwardt kennen sich ein bisschen aus mit Archäologie.

Immer mal wieder hatten sie in dem Baggeraushub aus der Tollense Altertümer entdeckt: Tonscherben aus slawischer Zeit, Steinbeile aus dem Neolithikum, einmal sogar ein Bronzebeil. Und als sie nun die Pfeilspitze entdeckten, die in dem Oberarmknochen steckte, da wussten sie, dass dies ein außerordentlicher Fund war, und sie behandelten ihn mit entsprechender Sorgfalt.

Aber erst jetzt erschließt sich allmählich die Dimension des Fundes, den die Borgwardts vor 15 Jahren machten.

Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Ausgrabungen unter der Leitung von Thomas Terberger vom Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der Universität Greifswald und Detlef Jantzen vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege in Schwerin lassen den Schluss zu, dass das Tollensetal um das Jahr 1200 vor Christus Schauplatz einer größeren Schlacht mit mutmaßlich mehreren hundert Beteiligten war.

Historisch gesehen war das sicherlich kein weltbewegendes Ereignis. Archäologisch aber ist diese Entdeckung eine Sensation: Im Tollensetal kann zum ersten Mal ein größerer bewaffneter Konflikt in der nordeuropäischen Bronzezeit, also grob gesagt im zweiten vorchristlichen Jahrtausend, nachvollzogen werden.

Wie man Bronze, eine Legierung aus neun Teilen Kupfer und einem Teil Zinn, herstellt, war im Vorderen Orient schon um das Jahr 3000 vor Christus bekannt. Nach Nordeuropa gelangte diese Technologie erst rund tausend Jahre später. Bronze, und damit die Ausgangsmaterialien Kupfer und das sehr viel seltener vorkommende Zinn, wurden zu begehrten Handelsgütern.

Bronze ist härter als jedes bis dahin bekannte Metall und deshalb geeignet zur Herstellung von sehr effektiven Werkzeugen und Waffen. Der Besitz von Bronzeartikeln förderte die Anhäufung von materiellem Reichtum; Reichtum aber geht immer einher mit sozialem und früher oder später auch territorialem Herrschaftsanspruch und legt damit den Grund für bewaffnete Auseinandersetzungen.

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