Archäologie:Archäologen entdecken Grabstätte der Philister - oder doch nicht?

Workers Excavate The Bones Of Philistines In Ashkelon, Israel

Sandkörnchen für Sandkörnchen werden die Skelette auf dem Gräberfeld in Aschkelon freigelegt.

(Foto: Debbie Hill/ddp)

Noch ist unklar, ob in den jetzt entdeckten Gräbern tatsächlich Überreste des aus der Bibel bekannten Volkes liegen. Eine Analyse der Skelette soll helfen.

Von Esther Widmann

Eine Sensation. Ein Hauptgewinn. Die Geschichtsbücher müssen neu geschrieben werden. So äußerten sich in dieser Woche einige Forscher, nachdem die Geheimnisse eines Gräberfeldes aus dem 10. bis 8. Jahrhundert vor Christus in der israelischen Stadt Aschkelon bekannt geworden waren. Die Grabung unter der Leitung von Daniel Master von der Universität Harvard in den USA läuft seit 1985. In diesem Jahr endet das Projekt.

Bei dem Gräberfeld handele es sich um die bisher einzige bekannte Begräbnisstätte des antiken Volkes der Philister, verkündete Master in Jerusalem. Endlich kenne man nun nicht mehr nur die Keramik dieses aus der Bibel bekannten Volkes, sondern auch die Menschen dazu. "Dieser Friedhof mit 145 kompletten Skeletten ermöglicht es uns, die Philister von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen", frohlockt Grabungsleiter Master.

Fachkollegen sind angesichts der Datenlage deutlich skeptischer: "Wenn man genauer hinschaut, ist da nicht allzu viel dran", urteilt Wolfgang Zwickel, der an der Universität Mainz Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie ist und selbst eine Philister-Siedlung in Jaffa ausgräbt. Bisher könne man nur sagen, dass ein Gräberfeld in Aschkelon gefunden worden ist. Zwar war Aschkelon neben Gaza, Aschdod, Gath und Ekron eine der fünf Hauptstädte der Philister. Doch ob dort ausschließlich Philister lebten, in den Gräbern also zweifelsfrei Philister liegen? Zwickel will nicht spekulieren: "Wenn wir das wüssten!"

Im Deutschen ist der "Philister" ein anderes Wort für "Spießer"

Als gesichert gilt, dass die heute als Philister bezeichneten Menschen von außerhalb in das semitische Siedlungsgebiet kamen und von 1200 bis 600 vor Christus an der Küste zwischen Gaza und dem heutigen Tel Aviv lebten - möglicherweise, weil sie in Ägypten abgewiesen wurden. Inschriften am Totentempel von Pharao Ramses III. in Medinet Habu aus dem Jahr 1187 vor Christus erwähnen verschiedene Gruppen von über das Meer gekommenen Fremden, die der König erfolgreich bekämpft habe. Eine dieser auch im Relief dargestellten Gruppen heißt "prst", übertragen "Peleset". Schon der Entzifferer der Hieroglyphenschrift, Jean-François Champollion, setzte 1822 diesen Begriff mit den in der Bibel erwähnten Philistern gleich.

Im Deutschen ist der "Philister" ein anderes Wort für "Spießer" geworden, im Englischen bezeichnet man damit einen Kulturbanausen. Diese negative Konnotation geht auf die Bibel zurück. Im Alten Testament kommen die Philister nicht gut weg, sie sind die Erzfeinde der Israeliten. Besonders hart trifft es ihren Krieger Goliath, einen tumben, ungeschlachten Riesen mit Rüstung und Schwert, den der spätere König David als halbwüchsiger Hirtenjunge mit seiner Steinschleuder besiegt.

Obwohl einige Philister-Siedlungen ausgegraben sind, ist vieles nach wie vor unklar. Schriftliche Zeugnisse der Philister selbst fehlen, bis auf wenige in Gegenstände geritzte Buchstaben in einer offenbar nicht-semitischen, noch unbekannten Sprache. In den frühesten ihnen zugewiesenen Bodenschichten aus dem 12. Jahrhundert fand sich Keramik, die Elemente aus der mykenischen Tradition des griechischen Festlandes und aus Zypern aufweist. Das deuten viele Archäologen als Bestätigung für die in den ägyptischen Texten erwähnte Herkunft der Philister aus "Kaphtor" - ob sich dahinter Kreta verbirgt, ist jedoch umstritten.

Mehr Erfolg verspricht die Analyse von DNA

Daniel Master zufolge sind die Grabriten in Aschkelon "substanziell anders" als die der Kanaaniten, die in derselben Region siedelten. Ließen sich die Skelette aus Aschkelon sicher den Philistern zuweisen, könnten sie vielleicht helfen, die Frage der Herkunft zu klären. Die Analyse der Isotope mancher chemischer Elemente bringt in diesem Fall allerdings nichts: Zwar lässt sich an ihnen erkennen, ob jemand sich mehr von Meerestieren oder mehr von Landtieren ernährt hat - Meerestiere würden auf eine ursprüngliche Herkunft in Küstennähe schließen lassen. "Aber bei den Gräbern von Aschkelon liegen mindestens zehn Generationen zwischen den ersten Neuankömmlingen, die wahrscheinlich Kämpfer waren, und den Bestatteten", sagt Zwickel.

Archäologie: SZ-Grafik

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Mehr Erfolg verspricht die Analyse von DNA - sie könnte durchaus Hinweise auf die Herkunft geben. Allerdings hält der Archäologe es für zweifelhaft, ob ausreichend Vergleichsmaterial vorhanden ist, also ob Knochen aus den möglichen Herkunftsregionen des Mittelmeers bereits in gleicher Weise untersucht worden sind.

Die Skelette aus den Gräbern in Aschkelon werden nun zunächst anthropologisch untersucht. Zähne sind besonders nützlich, um die Lebensumstände der Menschen zu rekonstruieren. Wachstumsstörungen am Gebiss deuten auf Fieberkrankheiten oder Mangelernährung in der Kindheit hin. Abnutzungsspuren zeigen, dass die Zähne auch als Werkzeug dienten, "vielleicht beim Weben", vermutet die zuständige Anthropologin Sherry Fox von der Arizona State University. "Kein leichtes Leben", folgert sie - allerdings auch keine Seltenheit in der damaligen Zeit.

"Kein leichtes Leben"

Die Grabung in Aschkelon stand zeitweise auf der Kippe, weil Ultraorthodoxe fürchteten, es könnte sich bei den Bestatteten um Juden handeln - deren Totenruhe auf keinen Fall gestört werden dürfe. In Jerusalem musste einmal eine Grabung eingestellt werden, nachdem Orthodoxe dort aus Protest eine Sitzblockade veranstaltet hatten. Er selbst habe keine Grabungserlaubnis am See Genezareth bekommen, erzählt Zwickel: mit der Begründung, dass dort Juden begraben sein könnten.

Doch das ist nicht der einzige heikle Punkt, mit dem sich Archäologen in Israel beschäftigen müssen. Die modernen Palästinenser führten ihre Abstammung mitunter auf die Philister zurück und begründeten damit politische Ansprüche. Das ist Zwickels Meinung nach ebenso wie andere ethnische Ableitungen "Humbug": Es sei doch höchst unrealistisch, dass die Philister in Aschkelon isoliert gelebt hätten. "Am Anfang waren da vielleicht 200 Mann, alles Kämpfer, und dann haben die sich mit allen möglichen anderen ansässigen Gruppen vermehrt und vermischt." Diese Vermischung der verschiedensten Ethnien hat sich durch die Jahrhunderte fortgesetzt. Philister in den Gräbern von Aschkelon? Eine Sensation? Abwarten.

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