An Warnungen herrscht kein Mangel - und zwar schon seit vielen Jahren. "Resistenzen gegen Antibiotika sind eine globale Bedrohung für die menschliche Gesundheit", schreibt aktuell auch Ryan Seipke von der englischen University of Leeds im Fachblatt Science. "Es besteht eine dringende Notwendigkeit, neue Antibiotika zu entdecken, deren Wirkungsweisen die vorherrschenden Resistenzmechanismen umgehen."
Von Antibiotika-Resistenz sprechen Ärzte, wenn die krankmachenden Bakterien durch ein Antibiotikum - anders als erhofft - nicht ausgeschaltet werden. Wie oft das passiert, beschrieb ein internationales Forschungsteam Anfang des Jahres im Fachblatt The Lancet: Ihrer Schätzung zufolge starben im Jahr 2019 weltweit mehr als 1,2 Millionen Menschen unmittelbar an einer Infektion mit einem resistenten Erreger. Bei fast fünf Millionen Todesfällen war eine solche Infektion demnach zumindest mitverantwortlich für den Tod. Damit gehörten Antibiotika-Resistenzen zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Co-Autor Chris Murray von der University of Washington betont, neue Antibiotika müssten entwickelt und auf den Markt gebracht werden.
Dazu beitragen könnte ein neues, computergestütztes Vorgehen: In der Zeitschrift Science stellen US-Forscher die Entdeckung eines vielversprechenden Antibiotikums vor, auf das sie über gezielte Analysen bakteriellen Erbguts gestoßen sind. Der Wirkstoff Cilagicin schädigt Bakterien über gleich zwei verschiedene Mechanismen. Damit sinke das Risiko für Resistenzen beträchtlich, schreibt das Team um Sean Brady von der Rockefeller University in New York.
Das neue Medikament greift an zwei Stellen an. Das verringert die Gefahr von Resistenzen
Erst im Januar hatte die gleiche Forschungsgruppe ein anderes neues Antibiotikum vorgestellt. Beide Wirkstoffe sind zwar noch längst nicht an Menschen erprobt, schalten aber zuverlässig viele resistente Krankheitserreger aus - sowohl im Labor als auch in Mäusen.
"Die Daten sind sehr vielversprechend", sagt Nadine Ziemert, Professorin für Translationale Naturstoffgenomik am Universitätsklinikum Tübingen. Zwar sei unklar, ob die Stoffe es tatsächlich in die Anwendung am Menschen schafften. Doch nach Ansicht von Brady zeigt seine Studie auch, dass seine Vorgehensweise zur Entdeckung neuer Arzneien funktioniert.
Das Team um Brady ging so vor: Zunächst analysierten die Forscher etwa 10 000 bekannte Bakterien-Genome auf Erbanlagen, die den Bauplan für sogenannte Lipopeptide enthalten. Diese Stoffgruppe ist dafür bekannt, das Wachstum von Bakterien über verschiedene Mechanismen stören zu können.
Bei ihrer Suche stießen die Forscher auf fast 3500 Gengruppen, die aufgrund ihrer Größe und Struktur vielversprechend erschienen. Darin konzentrierten sie sich dann auf jene Gengruppen, deren Lipopeptide man bislang nicht kannte. Hier, so die Hoffnung, würde man eher auf bislang unbekannte Stoffe mit neuartigen Wirkmechanismen stoßen. Anhand der untersuchten Erbgutbereiche bauten sie im Labor acht Stoffe nach. "Das Molekül, das am Ende herauskommt, ist nicht zwangsläufig das, was diese Gene in der Natur herstellen würden", erläutert Brady.
Letztlich erwies sich eine der acht Substanzen, Cilagicin, als effektiv gegen alle Vertreter einer bestimmten Bakteriengruppe (gram-positiv). Darunter waren etliche Erreger, die in Krankenhäusern und bei Gesundheitsbehörden berüchtigt sind - unter anderem resistente Enterokokken und ein gutes Dutzend resistente Varianten des gefürchteten Wundkeims Staphylococcus aureus.
Analysen ergaben, dass Cilagicin gegen zwei Moleküle wirkt, die wichtig sind für den Aufbau der Zellwand. Genau dieser Doppelmechanismus verhindert offenbar Resistenzen, denn es ist unwahrscheinlich, dass ein Bakterium gegen beide Effekte parallel Immunität entwickelt. Doch Versuche an Mäusen brachten zunächst einen Rückschlag. Der Grund: In Gegenwart von Blutserum blieb die antimikrobielle Wirkung aus. Daraufhin schuf das Team eine Cilagicin-Variante, die weniger an Blutserum bindet - und stellte so den ursprünglichen Effekt wieder her.