Süddeutsche Zeitung

Antibiotika im Tierfutter:Permanente Dröhnung im Hühnerstall

Resistente Keime in jedem zweiten Supermarkt-Hähnchen: Als der BUND die schaurige Bilanz veröffentlicht, hat Ilse Aigner schon ihre Pläne parat. Sie will Antibiotika in der Tiermast eindämmen. Die Novelle geht Kritikern allerdings längst nicht weit genug. Dagegen wirft die Geflügelindustrie den Tierschützern Panikmache vor.

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat einen Entwurf zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vorgelegt, um den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu begrenzen. Der Einsatz der Medikamente zur Behandlung von Tierkrankheiten solle "auf das absolut notwendige Maß" beschränkt und die Befugnisse der Kontrollbehörden der Bundesländer erweitert werden, teilte Aigner am Dienstag mit.

Die Ministerin appellierte an die Bundesländer, ihre Kontrollen zu verstärken. Nach dem Gesetzentwurf können Tierärzte verpflichtet werden, alle Daten zur Anwendung von Antibiotika an die Landesbehörden zu übermitteln. Antibiotika, die auch bei der Behandlung von Menschen eingesetzt werden, sollen unter strengeren Voraussetzungen als bisher auch in der Tiermedizin eingesetzt werden können. Agrarbetriebe sollen früher als bisher melden, welche Arzneimittel sie Tieren verabreicht haben, die geschlachtet werden sollen. Mitte des Jahres sollen laut Ministerium erstmals überhaupt genaue Daten über die Mengen an Tierarzneimitteln in Deutschland veröffentlicht werden.

Grünen-Politiker und Verbraucherschützer bemängeln die Pläne allerdings als nicht weitreichend genug. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisierte, in dem Entwurf fehle ein wirksames Verbot von Humanantibiotika in der Tierhaltung, ein klares Reduktionsziel für Antibiotika und die Verpflichtung für Tierärzte, vor Verordnung eines Antibiotikums immer einen Test des Krankheitserregers durchzuführen. Das Ministerium versäume es zudem, die Anreize für Tierärzte zu beseitigen, am Verkauf möglichst vieler Antibiotika und an Mengenrabatten verdienen zu wollen. Zudem enthielten die Ministeriums-Vorschläge zu viele Schlupflöcher. "Ministerin Aigner muss sich entscheiden, was ihr wichtiger ist, der Gesundheitsschutz der Bevölkerung oder die Interessen der Pharmaindustrie und der Agrarlobby", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, forderte Aigner auf, den Einsatz von Antibiotika "endlich auf die Einzelfallbehandlung bei einem erkrankten Tier zu beschränken". Ostendorff sagte: "Die Praxis sieht derzeit nämlich anders aus: Antibiotika werden von Tierhaltern wie Futtermittel gegeben und nicht wie Arzneimittel. Nur mit einer solchen permanenten Dröhnung kann verhindert werden, dass die Tiere erkranken."

NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel warf Aigner Versagen vor. "Bis heute lehnt Frau Aigner etwa einen nationalen Reduktionsplan und einen Antibiotika-Gipfel ab, obwohl Studienergebnisse die Dringlichkeit darlegen", sagte der Grünen-Politiker den in Dortmund erscheinenden Ruhr Nachrichten. "Wenn wir den Antibiotika-Missbrauch ahnden sollen, müssen wir auch die Instrumente dafür haben. Doch die enthält uns die Bundesregierung vor."

Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), verlangte einen Plan, "mit dem wir innerhalb von zehn Jahren zu einer Tiermast kommen, die völlig frei ist von Antibiotika". Zudem sei eine Verordnung erforderlich, auf deren Grundlage Fleisch mit multiresistenten Keimen aus dem Verkehr gezogen werden könne, forderte der VZBV.

Aigner hatte bereits am Montag angekündigt, den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast einzudämmen. Ihre Ankündigung erfolgte an dem Tag, als der BUND eine Erhebung über die Belastung von Hähnchenfleisch in deutschen Supermärkten vorlegte. Der BUND hatte bei jeder zweiten Stichprobe Antibiotika-resistente Bakterien entdeckt. Nun greift die Geflügelwirtschaft die Naturschützer an.

"Die BUND-Erhebung ist überhaupt nicht hilfreich. Im Gegenteil: Das ist pure Angstmache", sagte der Geschäftsführer des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft, Thomas Janning. Diese Aussagen führten nicht zu einer Versachlichung der Debatte, sondern zu einer Verunsicherung der Verbraucher, kritisierte Janning in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Er sei sehr enttäuscht, zumal es sich nicht um eine repräsentative Studie handele. Janning betonte aber, er nehme das Thema "außerordentlich ernst" und wolle es keinesfalls verharmlosen.

Auch der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Helmut Born, sieht in der Erhebung der Umweltschützer "keine wirklich neuen Erkenntnisse". Born sagte, die Menge an eingesetzten Antibiotika sei sogar rückläufig. Der Naturschutzverband attackiere völlig undifferenziert die Massentierhaltung, "ohne zu definieren, was er darunter versteht". Der Gebrauch von Tierarzneimitteln müsse zwar kritisch betrachtet werden. "Allerdings verschweigt der BUND, dass mehr als 99 Prozent der Milch-, Ei- und Fleischprodukte keine schädlichen Antibiotika-Rückstände aufweisen" sagte Born.

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner warnt derweil davor, in der Diskussion um den Einsatz von Antibiotika nur den Landwirten die Schuld zu geben. "Die Hälfte der Antibiotika, die bei Tieren eingesetzt werden, gehen in die Haustiere - Hund, Katze, Hamster. Eine Übertragung ist auch da möglich", sagte er und verlangte: "Wir müssen die Komplexität dieses Themas in ihrer Gänze abarbeiten."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1254109
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
AFP/dapd/dpa/beu/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.