Süddeutsche Zeitung

Anti-Depressiva:Mögliche Nebenwirkung: Selbstmord

Lesezeit: 2 min

Sie helfen vielen Menschen bei Depressionen und anderen psychischen Krankheiten - doch gerade Medikamente wie Prozak vergrößern zugleich die Gefahr der Selbsttötung. Das gilt für Kinder wie für Erwachsene.

Von Markus C. Schulte v. Drach

Die Medikamente Prozac (Fluctin), Zoloft (Sertralin) oder Paxil (Seroxat), die gegen psychische Krankheiten wie Depressionen eingesetzt werden, erhöhen bei den Patienten offenbar das Selbstmordrisiko.

Das zeigt eine Untersuchung des Ottawa Health Research Institute in Zusammenarbeit mit der McGill University in Montreal und der University of Wales.

Patienten, die diese so genannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) konsumierten, zeigten ein zweifach höheres Selbstordrisiko wie Patienten, die Scheinmedikamente nahmen oder auf andere Weise behandelt wurden.

Anders war es allerdings bei den so genannten trizyklischen Antidepressiva, die bereits länger auf dem Markt sind. Der Studie zufolge ist das Risiko hier genauso hoch wie bei den SSRIs.

Selbstmord bei Kindern

Erst kürzlich hatte eine Studie der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA ergeben, dass die Mittel bei Kindern Selbstmordgedanken und die Tendenz zum Selbstmord verstärken.

Dieser Verdacht bestand bereits seit 15 Jahren. Von Pharmaunternehmen und vielen Fachleuten war er jedoch nicht ernst genommen worden.

Die kanadischen Forscher überprüften insgesamt 702 klinische Studien mit 87.650 Patienten, die unter anderem an Depressionen, Angststörungen oder Bulimie (Ess-Brech-Sucht) litten, auf die Zahl der Selbstmordversuche und Selbstmorde hin.

Wie die Wissenschaftler um Dean Fergusson jetzt im British Medical Journal berichten, zeigte die Untersuchung "einen Zusammenhang zwischen Selbstmordversuchen und dem Einsatz von SSRIs". ( BMJ, Vol. 330, S.396 2005)

Darüber hinaus kritisieren die Forscher, dass viele der überprüften Studien die Selbstmordrisiken nicht angemessen berücksichtigt hätten.

Ein Mittel für schwere Depressionen

Die Medikamente nun einfach abzusetzen wäre für die meisten Patienten jedoch die falsche Konsequenz. Denn die Medikamente haben für viele Erwachsene - trotz aller Risiken - auch einen großen Nutzen.

Deshalb sollten Ärzte die SSRIs zumindest bei mittleren bis schweren Depressionen weiterhin verschreiben, kommentiert John Geddes von der Oxford University im BMJ.

Allerdings, so Geddes weiter, sollten sie sich bewusst sein, "dass SSRIs ähnlich wie trizyklische Mittel zu Beginn einer Behandlung Selbstmordgedanken und - versuche auslösen oder verstärken können - möglicherweise, weil sie zu dieser Zeit die Erregbarkeit und die Aktivität steigern." In dieser Phase sollten die Patienten deshalb regelmäßig besucht und betreut werden.

Seit 1988 ist Prozac in den USA auf dem Markt - und wird dort in großen Mengen eingesetzt. Bereits seit einigen Jahren warnen Kritiker jedoch, dass der Nutzen übertrieben und die Risiken ignoriert würden, berichtet die Washington Post.

Dem Blatt zufolge unterstützt jedoch auch die Amerikanische Psychiater-Organisation APA weiterhin die Verwendung der Mittel: Die Ängste vor dem erhöhten Selbstmordrisiko würden übertrieben. Außerdem wäre dieses Risiko bei unbehandelten Patienten mit Depressionen noch viel höher.

Tatsächlich bringen sich bis zu 15 Prozent dieser Menschen um. Und seit der Einführung der SSRIs sei die Rate der jugendlichen Selbstmorde seit Anfang der 90er Jahre immerhin um 25 Prozent gefallen - obwohl mehr als eine Millionen Kinder das Medikament erhalten haben, erklärte David Fassler von der APA der Washington Post.

Wie ein Mitautor der neuen Studie, David Healy von der University of Wales in Bangor, der Zeitung sagte, hätten viele nichts von einem Risiko wissen wollen. Die Daten gab es seit Jahren - doch sie wurden weder von der FDA noch den Universitäten untersucht, so Healy.

Studienleiter Fergusson zeigt sich sehr besorgt. Zwar sei Selbstmord ungewöhnlich - doch die Medikamente werden sehr häufig verschrieben.

"Millionen von Menschen nehmen diese Mittel", erklärte er der Washington Post. "Überträgt man das Risiko von 1:1000 auf diese Zahlen, wird das eine Angelegenheit für die Gesundheitspolitik."

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