Süddeutsche Zeitung

Anthropologie:Urmenschen-Erbgut in Sand nachgewiesen

  • Im Sediment vieler Höhlen lagern winzige Fossilien, aus denen Experten Erbgut extrahieren können.
  • So fanden Forscher nun molekulare Hinterlassenschaften von Neandertalern und anderen Frühmenschen.
  • Dank einer neuen Untersuchungsmethode sind sie künftig nicht mehr auf Knochen und andere versteinerte Überbleibsel der Frühzeit angewiesen.

Von Hanno Charisius

Ein bisschen Staub genügt, um die Geschichte zu rekonstruieren - oder zumindest einen kleinen Ausschnitt daraus. Eine Gruppe von Paläoanthropologen hat eine Methode entwickelt, mit der sie winzige und uralte genetische Spuren im Dreck vom Boden einer Höhle aufspüren und analysieren können.

Auch wenn man sie mit bloßen Augen nicht sehen kann, lagern im Sediment vieler Höhlen winzige Fossilien, aus denen die Experten genug Erbgut extrahieren können. Wie man das anstellt, berichtet ein internationales Forscherteam um Matthias Meyer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science.

So fanden die Forscher molekulare Hinterlassenschaften von Neandertalern und anderen Frühmenschen. Damit sind sie künftig nicht mehr auf Knochen und andere versteinerte Überbleibsel der Frühzeit angewiesen.​ Knochen und Werkzeuge waren bislang für Anthropologen die einzigen Wegweiser in die Vergangenheit.

Neben Spuren von Frühmenschen fanden sie auch reichlich DNA von Tieren

Bereits seit 2003 aber ist klar, dass man uraltes Erbgut auch in Sedimenten finden kann. Bislang aber ist es niemanden gelungen, die Arten zu unterscheiden, von denen die gefundene DNA stammt. Meyer und seine Kollegen gelingt es mit dem neuen Verfahren nun, menschliche DNA aus einem Gemisch zu sieben. "Ich glaube, dies wird ein Standardwerkzeug der Archäologie", sagt Svante Pääbo, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Neben Spuren von Frühmenschen fanden die Forscher auch reichlich DNA von Tieren. In einem Teelöffel voll Staub könne man Billionen Erbgutfragmente finden, sagt Meyer. Aber nur der kleinste Teil davon stammt von Frühmenschen, der überwiegende Teil kommt von Mikroorganismen.

"Exkremente und Knochensplitter können mikroskopisch in vielen Sedimenten nachgewiesen werden", sagt Meyer - und seien daher eine wahrscheinliche Quelle der DNA. "Aber auch Körperflüssigkeiten wie Schweiß, Blut und Urin kommen in Frage. DNA haftet sich stabil und dauerhaft an viele Mineralien." Wichtig für den Erhalt der DNA sei das Klima in der Region. Starke Hitze lässt Erbgut schneller zerfallen. Die Wissenschaftler untersuchten Proben von 14 000 bis 550 000 Jahre alten Sedimenten aus Ausgrabungsstätten in Spanien, Frankreich, Belgien, Kroatien und Russland - und spürten sogar Neandertaler-DNA in einer belgischen Höhle auf, in der bislang noch nicht einmal Knochen gefunden worden waren, sondern lediglich für den Frühmenschen typische Werkzeuge.

Je nach Schicht, in der die Forscher Erbgutspuren finden, können sie den Zeitraum abschätzen, in der Menschen an einem Ort gelebt haben. Im Falle des Denisovan-Menschen ist es besonders spannend: Diese Frühmenschen lebten vor etwa 40 000 Jahren in Sibirien - und sind wahrscheinlich eng verwandt mit dem Neandertaler. Bislang wurden lediglich ein Knochensplitter eines Fingers und zwei Zähne von dieser Spezies gefunden. Nun kommt reichlich Erbgut hinzu. Vielleicht finden die Wissenschaftler dank der neuen Technik irgendwann sogar Spuren von einer bislang noch unbekannten Menschenart.

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