Anthropologie:Unser spanisches Erbe

Der moderne Mensch entwickelte sich in Afrika. Seine Ahnen aber könnten aus Europa gekommen sein, wie Forscher nach Knochenfunden in Spanien vermuten.

Christina Berndt

Auch wenn es manche Zeitgenossen immer noch nicht gerne hören: Die modernen Menschen sind alle Afrikaner. Die Wiege der Menschheit stand im Osten des schwarzen Kontinents, darin sind sich die meisten Anthropologen inzwischen einig. Aber hat Europa trotzdem seinen Beitrag zur Menschheitsgeschichte geleistet? Womöglich sind die Vorfahren der Menschen in Europa entstanden und erst dann nach Afrika eingewandert, meinen spanische Paläoanthropologen. Sie glauben nun ein neues Beweisstück für ihre These gefunden zu haben (PNAS, online).

Anoiapithecus brevirostris

In Spanien entdeckten Wissenschaftler diese rund 12 Millionen Jahre alten Schädelknochen. Sie stammen von einem Wesen, das die Forscher Anoiapithecus brevirostris tauften.

(Foto: Foto: Foto: National Academy of Sciences/PNAS/ddp)

In der Nähe von Barcelona haben die Wissenschaftler mehrere Teile eines zwölf Millionen Jahre alten Schädels von einem menschenartigen Wesen ausgebuddelt. Dessen Knochen deuten darauf hin, dass es sich um einen sehr frühen Vertreter der Menschenartigen (Hominoiden) handelt, zu denen alle Menschenaffen und die Menschen zählen.

Das Wesen, das die Forscher Anoiapithecus brevirostris nennen, "unterstützt die Sicht, dass die Menschenartigen in Eurasien entstanden sind und sich in diesem Kontinent in Menschenaffen und Menschen aufgespalten haben", schreibt das Team um Salvador Moyà-Solà und Josep Fortuny von der Autonomen Universität von Barcelona. Bevor der moderne Mensch "out of Africa" kam, könnten seine Vorfahren damit von Europa aus "into Africa" gezogen sein. Allerdings mussten sie dazu nicht über das Mittelmeer schwimmen, weil die Iberische Halbinsel zu jener Zeit mit Afrika verbunden war.

Die Gegend um Barcelona gilt als wahre Fundgrube für alte Knochen. Zehntausende Fossilien wurden dort in den vergangenen 40 Jahren ausgegraben. So hatte dasselbe Forscherteam, das nun von dem aufregenden Ahnen berichtet, in der Nähe bereits im Dezember 2002 das Skelett eines noch älteren Menschenartigen ausgebuddelt. Der Pierolapithecus catalaunicus ist 13 Millionen Jahre alt und war damit wohl nah dran am letzten gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen. Auch wenn er allem Anschein nach ein geschickter Kletterer war, konnte Pierolapithecus offenbar bereits aufrecht gehen.

Dass aus Wesen wie Pierolapithecus und Anoiapithecus schon recht bald ganz neue biologische Familien wurden, überrascht nicht. Die Zeit des Miozän gilt als Blütezeit der Menschenartigen. Hier entstanden zahlreiche neue Gattungen, und im mittleren Miozän, also vor etwa zehn bis 15 Millionen Jahren, hat sich die Familie der Hominiden mit den Großen Menschenaffen wie den Orang-Utans, Schimpansen, Gorillas und später den Menschen vermutlich auch von anderen Affen abgespalten.

Die "Into Africa"-Theorie der spanischen Paläoanthropologen wird trotzdem nicht überall begeistert aufgenommen. Für Friedemann Schrenk vom Forschungsinstitut Senckenberg ist es zunächst nur eine "Denkmöglichkeit". "Es gibt aus dieser Zeit bisher einfach keine vergleichbaren Knochenfunde aus Afrika", sagt er. "Das heißt aber nicht, dass sich dort keine Menschenaffen entwickelt haben." Die Gegend um Barcelona sei so reich an besonders alten Fossilien, weil diese dort "exzeptionell gut" konserviert wurden.

Für Afrika gelte das Gegenteil. So würden spätere Forscher auch kaum Fossilien aus dem heutigen Regenwald finden, weil in der feuchtwarmen Region "das Überlieferungspotential gleich Null" sei, so Schrenk. Trotzdem lebten im Regenwald so viele Arten wie sonst nirgends. Nur weil katalanische Wissenschaftler viele frühe Menschenaffen ausgraben, müsse Spanien daher nicht zwangsläufig das Land von deren Ursprung sein.

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