Süddeutsche Zeitung

Anthropologie:Müde Sammler und Jäger

Schlafmangel plagte wohl schon die Vorfahren des modernen Menschen, vermuten Forscher. Sie haben Monate lang drei Naturvölker beobachtet, die ohne Elektrizität leben. Auch sie gehen zu spät zu Bett.

Von Robert Gast

Schlafmangel plagt den Menschen nicht erst seit der Neuzeit. Schon Gemeinschaften von Jägern und Sammlern hätten zu wenig Bettruhe gehabt, schreibt ein Anthropologen-Team um Jerome Siegel von der Universität Kalifornien im Fachblatt Current Biology. Das folgern die Forscher aus den Gewohnheiten von Naturvölkern in Bolivien, Tansania und Namibia, die noch heute so leben wie Menschen in vorindustrieller Zeit. Sie schlafen im Durchschnitt gerade mal sechs Stunden und 25 Minuten, berichten die Forscher.

Die Wissenschaftler überwachten das Schlafverhalten von drei Stämmen, die von der Jagd leben und deren Dörfer nicht über Elektrizität verfügen. Dort können Menschen weder abends Glühbirnen brennen lassen noch Fernsehen schauen. Die Anthropologen statteten insgesamt 94 Erwachsene mit Armbändern aus, die mehrere Monate lang Schlafdauer und Lichteinfall maßen. Demnach gingen die Probanden im Durchschnitt fast dreieinhalb Stunden nach Sonnenuntergang zu Bett - und wachten bereits vor Sonnenaufgang wieder auf. Das Aufstehen fiel dabei oft mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem die Temperaturen frühmorgens ihr Minimum erreichten.

Die Jäger und Sammler glichen den Schlafmangel nur selten durch ein Mittagsschläfchen aus. Generell ähnelte sich das Schlafverhalten der verschiedenen Gruppen stark. Es sei daher wohl auch typisch für den vorindustriellen Homo sapiens in den Tropen, schreiben die Forscher. Und es widerspreche der Vermutung, Fernsehen und künstliche Beleuchtung raubten dem Menschen den Schlaf.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2015/fued
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