Anthropologie:Die ersten Metzger

Offenbar streifte schon die urzeitliche Lucy mit einem Messer durch den Wald: Anthropologen haben 3,4 Millionen Jahre alte Schneidewerkzeuge gefunden.

Hubert Filser

Wer weiß, wie es einem selbst gehen würde, hielte man die beiden Knochenstücke aus Äthiopien in der Hand. Vielleicht würde man kurz an die letzten Spare Ribs im Biergarten denken und wohl dabei die beiden kleinen, parallelen Kerben im Rippenknochen übersehen.

Anthropologie: Aus diesen winzigen Kerben auf einem Knochen schließen die Wissenschaftler, dass Vormenschen bereits vor 3,4 Millionen Jahren Steinwerkzeuge benutzten.

Aus diesen winzigen Kerben auf einem Knochen schließen die Wissenschaftler, dass Vormenschen bereits vor 3,4 Millionen Jahren Steinwerkzeuge benutzten.

Das abgeschabte Ende am Oberschenkelknochen fiele einem sowieso nicht auf. Doch die beiden Knochen, die Anthropologen in der Nähe von Dikika wenige hundert Meter vom Fluss Awash entfernt im Sediment gefunden haben, sind wertvolle Beweisstücke.

Die unauffälligen Kerben sind Schnittspuren, die Steinwerkzeuge hinterlassen haben. Das zeigen mikroskopische Analysen. Was das bedeutet? Dass die ersten Metzger der Menschheitsgeschichte bereits vor 3,4 Millionen Jahren Fleisch zerteilten und aßen - so alt sind die Knochenstücke.

Die Knochen stammen aus der Gegend, in der auch die berühmte Lucy gefunden wurde. Somit belegen die Funde, dass die menschlichen Vorfahren etwa eine Million Jahre früher als bisher angenommen Werkzeuge aus Stein nutzten, um Fleisch von Knochen zu schneiden und an das nahrhafte Mark zu gelangen (Nature, Bd.466, S. 857, 2010).

Oder um es mit den Worten von Shannon McPherron zu sagen, dem beteiligten Archäologen vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie: "Wenn wir uns Lucy beim Durchstreifen der ostafrikanischen Landschaft auf der Suche nach Nahrung vorstellen, sehen wir sie nun erstmals mit einem Steinwerkzeug in der Hand, mit dessen Hilfe man Fleisch schnell vom Knochen schaben oder Knochen aufbrechen kann."

Die Funde sind aber kein Beleg, dass Menschen damals bereits Tiere jagten. Wahrscheinlich aßen die Urmenschen von Tierkadavern. Mit den Steinwerkzeugen ließen sich diese aufbrechen, und mit dieser neuen Nahrungsquelle verbesserten sich für die Vorfahren die Spielregeln des Lebens schlagartig.

Steinwerkzeuge selbst haben die Forscher nicht gefunden

Dies bestätigt der an den Ausgrabungen beteiligte Paläoanthropologe Zeresenay Alemseged: "Der Gebrauch von Werkzeugen hat die Interaktion unserer Vorfahren mit der Natur maßgeblich verändert, indem er den Verzehr neuer Nahrungsmittel und die Erschließung neuer Territorien ermöglichte."

Die bislang ältesten Beweise, dass Menschen Tiere mit Hilfe von Steinwerkzeugen geschlachtet haben, sind 2,5 Millionen Jahre alt und stammen ebenfalls aus Äthiopien. In Bouri fanden Forscher vor Jahren Knochen mit Schnittspuren und in der Nähe von Gona die mit 2,6 Millionen Jahren ältesten Steinwerkzeuge. Die neuen Funde legen nahe, dass bereits der Australopithecus afarensis, dem auch die Lucy-Sippe angehörte, Fleisch aß und dazu Steinwerkzeuge nutzte.

Nur wenige hundert Meter von der Stelle entfernt hatten die Forscher zuvor schon das 3,3 Millionen Jahre alte Skelett eines Mädchens gefunden, das sie "Lucys Baby" tauften. Deswegen vermuten die Forscher auch, dass die Kerben im Knochen von einem Vertreter von Lucys Sippe stammen. "Die einzige Hominidenart, die es in diesem Teil Afrikas zu dieser Zeit gab, ist Australopithecus afarensis", sagt Alemseged.

Steinwerkzeuge selbst haben die Forscher bislang nicht gefunden. Lediglich eine Kerbe im Knochen enthielt noch ein winziges, eingelagertes Stück Stein. Direkt am Fundort gibt es auch keine Felsen, aus denen die scharfen Steine hätten stammen können.

Rund sechs Kilometer vom Arbeitsplatz der ersten Metzger entfernt haben die Anthropologen aber passende Steine entdeckt. Die Vormenschen haben dort möglicherweise die scharfkantigen Steine gefunden und bewusst mitgenommen - eine durchaus bemerkenswerte Leistung.

Dass sie in der Lage waren, mit Werkzeugen umzugehen, zeigt auch eine Analyse ihrer Handknochen. Vertreter der Lucy-Sippe Australopithecus afarensis hatten bereits relativ kurze Finger, die feinmotorische Bewegungen erlaubten, wie sie zum Gebrauch von Steinwerkzeugen nötig sind.

Damit waren sie wohl vor 3,4 Millionen Jahren bereits sehr gut in der Lage, sich die ersten rohen Spare Ribs aus dem Aas großer Tiere herauszuschneiden.

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