Das Meereis rund um die Antarktis hat Anfang Februar einen historischen Tiefstand erreicht. Wie das Alfred-Wegener-Institut bekannt gab, waren am 8. Februar noch 2,2 Millionen Quadratkilometer im Südlichen Ozean mit Eis bedeckt, 70 000 Quadratkilometer weniger als am bisherigen Tiefpunkt im vergangenen Jahr. So wenig Meereis wie derzeit wurde seit Beginn der Satellitenmessungen vor 40 Jahren nie beobachtet. Da die Meereisschmelze in der Antarktis wohl bis in die zweite Februarhälfte hinein andauern wird, dürfte der Tiefstand am Ende sogar noch niedriger ausfallen.
Die Eisbedeckung rund um die Antarktis schwankt im Jahresverlauf deutlich stärker als jene in der Arktis. So sind zum Höchststand im September oder Oktober meist zwischen 18 und 20 Millionen Quadratkilometer an der Meeresoberfläche rund um die Antarktis gefroren. Im antarktischen Sommer schmilzt das Eis dann bis auf etwa drei Millionen Quadratkilometer ab.
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Doch dieses Jahr verläuft die Eisschmelze nach Messungen des AWI außergewöhnlich schnell. Schon im Dezember gab es demnach im Bellingshausen- und im Amundsenmeer vor der Westantarktis außergewöhnlich wenig Meereis. Das Bellingshausenmeer, wo derzeit das AWI-Forschungsschiff Polarstern operiert, ist aktuell nahezu eisfrei. Auch langfristig zeigt das Meereis in der Antarktis einen abnehmenden Trend von 2,6 Prozent pro Jahrzehnt, gemessen jeweils im Januar.
Nicht nur die Luft, auch das zirkumpolare Tiefenwasser wird wärmer
"Die rasante Abnahme des Meereises in den letzten sechs Jahren ist sehr erstaunlich, weil sich die Eisbedeckung in den 35 Jahren davor kaum verändert hatte", wird Christian Haas, Leiter der Meereisphysik am AWI, in einer Pressemitteilung zitiert. Es sei unklar, "ob dies der Anfang vom schnellen Ende von sommerlichem Meereis in der Antarktis ist, oder ob es sich nur um eine neue Phase mit geringerer, aber weiterhin stabiler Meereisbedeckung im Sommer handelt".
Als Ursache für die aktuelle Schmelze vermuten die Forscher und Forscherinnen überdurchschnittlich warme Lufttemperaturen westlich und östlich der Antarktischen Halbinsel, sie lagen zuletzt 1,5 Grad Celsius über dem langjährigen Mittelwert. Zudem beeinflusst ein wiederkehrendes Klima-Muster, der sogenannte "Southern Annular Mode" (SAM), Windzirkulation und Meeresströmungen. Als Folge steigt derzeit in der Antarktis vermehrt zirkumpolares Tiefenwasser in Richtung Festlandsockel auf und treibt dort die Meereisschmelze an.
Nicht nur in der Westantarktis, auch im pazifischen Sektor und im indischen Ozeansektor der Antarktis ist derzeit auffällig wenig Meereis vorhanden, was ebenso mit dem zirkumpolaren Tiefenwasser zu tun haben könnte. Diese Strömung umfließt die komplette Antarktis. Laut einer 2022 im Fachmagazin Nature Climate Change erschienenen Studie hat sich das zirkumpolare Tiefenwasser vor der Ostantarktis bereits um 0,8 bis 2 Grad Celsius erwärmt, verglichen mit der Zeit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Wissenschaftler führen das ebenfalls auf Einflüsse durch den "Southern Annular Mode" zurück - der wiederum von der vom Menschen verursachten Erderwärmung verstärkt werde.
Wie stark sich das Meereis ausdehnt und schrumpft, wirkt sich sehr stark auf das Ökosystem der Antarktis aus, etwa auf das Wachstum von Phytoplankton. Von diesem ernähren sich winzige Krebstiere, die Krill genannt werden und von größeren Tieren gefressen werden. Verschiebt sich der Zeitpunkt der Planktonblüte, so kann das die Nahrungsaufnahme von Vögeln, Fischen, Robben und Walen stören.