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Antarktis:Ausgewogenes ewiges Eis

Das Eis der Antarktis schwindet und der Meeresspiegel steigt - das klingt nach einem simplen Zusammenhang. Doch der Eisverlust betrifft vor allem die Westseite des Kontinents. Im Osten dagegen nimmt die Eismasse sogar zu, berichten Wissenschaftler.

Christopher Schrader

Wissenschaftler aus England und Kanada haben eine neue Methode erprobt, um die Gletscher der Antarktis zu wiegen. Die Masse der kilometerdicken Eispanzer lässt sich nur vom All aus messen. Mit Daten verschiedener Satelliten sind Forscher bislang einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, die Antarktis verliere Jahr für Jahr Eis. Dieses gerät in die Ozeane und hebt den Meeresspiegel.

Das Team um Matt King von der Universität im britischen Newcastle bestätigt nun die Tendenz. Die Forscher nennen aber eine niedrigere Verlustrate als die meisten Kollegen; außerdem erklären sie, der massive Schwund auf der Westseite des Kontinents würde zum Teil durch Gewinne im Osten wettgemacht (Nature, online).

Ihren Zahlen zufolge hat die gesamte Antarktis von 2002 bis 2010 pro Jahr 69 Milliarden Tonnen Eis verloren. Während der Osten durch verstärkten Schneefall 60 Milliarden Tonnen gewann, rutschten im Westen jährlich 118 Milliarden Tonnen Eis ins Meer (die Diskrepanz entsteht durch Rundung).

King und seine Kollegen haben Daten der Grace-Satelliten ausgewertet. Die deutsch-amerikanischen Späher kreisen im Duett um die Erde und messen ständig ihren Abstand. Wird einer der beiden von einer großen Masse angezogen, nimmt der Abstand zu. So ergibt sich ein Bild der Massenverteilung unter ihrer Flugbahn.

Zeitliche Änderungen in der Arktis lassen sich aber nicht allein dem Eis zuweisen: Die Felsen darunter heben sich zum Beispiel langsam, wenn die Gletscherlast abnimmt. Diesen Effekt hat Kings Arbeitsgruppe genauer erfasst und daher geringere Werte für den Eisverlust errechnet als Vorgänger. Deren Resultate wiesen bis zu 246 Milliarden Tonnen Eisverlust pro Jahr aus.

Die eigentliche Unsicherheit liegt dabei im Osten des Kontinents. Hier melden manche Forscher Gewinne, andere Verluste an Eis. Auch Kings Modell der Felsbewegung ist hier am wenigsten genau. Und er gibt an, der berechnete Zugewinn an Eis sei vor allem durch starke Schneefälle im Jahr 2009 ausgelöst worden.

Für den Westen und die antarktische Halbinsel hingegen kommen die meisten Forscher auf ähnliche Werte. Kings Gruppe bestätigt, das hier in manchen Zonen der Eisverlust von Jahr zu Jahr zunimmt. Ein Beispiel ist der Pine Island Gletscher, der allein 24 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr einbüßt.

Aus Kings Zahlen ergibt sich, dass die Antarktis nur etwa zwei zu den 32 Millimetern beiträgt, um die der Meeresspiegel pro Jahrzehnt steigt. Die Wissenschaft versteht also die Mechanismen beim Anschwellen der Ozeane noch schlechter als sie dachte.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2012/mcs
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