Angst um die Sicherheit:Machtlos gegen das Schicksal

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Ob Passkontrollen innerhalb Europas oder die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht: Nach jeder Katastrophe fordern Politiker hektisch und populistisch irgendwelche Maßnahmen. Häufig geht das nach hinten los.

Von Patrick Illinger

Wer die Jahrtausendwende erlebt hat, der erinnert sich vielleicht noch an die Debatte über das sogenannte Y2K-Problem. Computerwissenschaftler warnten damals eindringlich vor einem drohenden Kollaps aller Server, Datennetze und Mikroprozessoren. Sie waren sicher, dass der Jahreswechsel eine Katastrophe auslösen würde, weil viele Computerprogramme die Jahreszahl nur mit zwei Ziffern verarbeiteten. Wenn diese nun von 99 auf 00 springen würde, so die Befürchtung, könnten Datums-, Alters- und Zeitangaben komplett durcheinandergeraten - mit unübersehbaren Folgen. Die Computerindustrie investierte Milliarden Euro, um das Problem zu entschärfen, US-Präsident Bill Clinton schickte Emissäre, um Regierungen in aller Welt von der Dringlichkeit des Problems zu überzeugen.

Dann brach das 21. Jahrhundert an, ohne dass die Bits und Bytes weltweit aus dem Tritt gerieten. Es gab nur kleinere Probleme. Das führt zu einer interessanten Frage: Ist die Katastrophe ausgeblieben, weil Computerexperten weltweit rechtzeitig aktiv wurden? Oder war das Problem schlicht überschätzt worden? Schwer zu sagen.

Mit ähnlicher Unsicherheit müssen Menschen immer wieder leben: Blieb Europa von Ebola verschont, weil der Westen doch noch aktiv wurde? Oder war es pures Glück? Gab es in Deutschland bisher keinen Terroranschlag, weil die Sicherheitsbehörden effektiv arbeiten? Oder wäre auch sonst nichts passiert?

Schutzmaßnahmen führen manchmal zu schlimmeren Schäden

Manchmal ist die Antwort klar: Nach dem ICE-Unglück von Eschede 1998 war es richtig, die Konstruktion der Zugräder zu ändern. Doch mitunter führt die Konzentration auf ein Szenario dazu, dass man andere Gefahrenquellen übersieht. Berühmt ist das Beispiel der gestiegenen Zahl von Verkehrstoten nach dem 11. September 2001, weil viele Flugreisende auf das Auto umstiegen.

Manchmal führen Schutzmaßnahmen zu schlimmeren Schäden, als sie vermeiden sollten. Ob das auch für die verschlossene Cockpittür der Germanwings-Maschine gilt, wird sich nie klären lassen. Vielleicht hielt der aus Terrorangst eingeführte Schließmechanismus Extremisten von einem Entführungsversuch ab; vielleicht hat diese Lösung gerade 150 Menschen das Leben gekostet.

Auch in der modernen Welt ist Sicherheit nicht hundertprozentig planbar. Kein Ingenieur kann alle möglichen Verläufe des Schicksals vorhersehen. Das sollten Entscheider und Politiker im Kopf behalten, wenn sie unter dem Eindruck einer entsetzlichen, aber auch extrem außergewöhnlichen Katastrophe hektisch und populistisch Maßnahmen beschließen. Ein Beispiel ist die diskutierte Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht, die im schlimmsten Fall dazu führen könnte, dass kranke Menschen ganz auf Therapie verzichten. So können viele Maßnahmen Effekte haben, die wieder durch neue Maßnahmen entschärft werden müssen, die wiederum . . .

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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