Analyse von Skeletten:Pest-Erreger schlummerte jahrhundertelang in Europa

Pestwellen schwappten aus Asien nach Europa, vermuteten Forscher bislang. Doch Leichen aus dem Dreißigjährigen Krieg belegen: Die Wahrheit ist wohl deutlich gruseliger.

Von Hanno Charisius

Der Pesterreger, das Bakterium Yersinia pestis, hat wahrscheinlich den Zeitraum zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert in Europa überdauert. Das legen Untersuchungen von Leichen aus diesem Zeitraum nahe. Zwei Forschergruppen untersuchten Leichname aus Bayern, Brandenburg und Marseille in Südfrankreich, die jeweils in verschiedenen Jahrhunderten bestattet worden waren. Die genetischen Analysen der Krankheitserreger zeigen, dass sie biologisch eng miteinander verwandt waren. Damit scheinen diese Funde die alte Theorie zu widerlegen, nach der Pestwellen in Europa stets aus dem Fernen Osten eingeschleppt waren.

In welchem Wirt der Erreger die Jahrhunderte überdauerte, ist nicht bekannt. "Vielleicht waren es Läuse", vermutet der Molekularbiologe Holger Scholz vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München. Zusammen mit Forschern der Ludwig-Maximilians-Universität und der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie in München hat Scholz 30 Skelette aus dem 14. bis 17. Jahrhundert untersucht, darunter Leichname von Soldaten aus dem Dreißigjährigen Krieg, die nahe dem bayerischen Manching begraben waren. Bei sechs Toten fanden die Forscher in den Zähnen genug Erbgut der Pestbakterien für eine detaillierte Analyse. Zum Vergleich zogen die Wissenschaftler bereits entzifferte Erreger-Gene anderer Skelette in Europa heran. Überall fanden sie nahezu identische genetische Fingerabdrücke der Bakterien.

Abkömmlinge des "Schwarzen Tods"

Ein Team vom Max-Planck-Institut (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena fand in französischen Pestleichen aus dem frühen 18. Jahrhundert ebenfalls Erreger, die sehr eng mit den anderen nachgewiesenen Bakterien verwandt waren. Von Y. pestis aus entlegeneren Regionen der Welt unterschieden sich diese "europäischen" Pestbakterien hingegen. Der Paläogenetiker Johannes Krause vom MPI Jena schließt daraus, dass alle in Europa gefundenen Erreger von den Bakterien abstammen, die von 1347 bis 1353 die große europäische Pandemie ausgelöst haben, die heute als "Schwarzer Tod" bezeichnet wird. Vermutlich starben damals 25 Millionen Menschen, etwa ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung. "95 Prozent aller heute bekannten Pesterreger sind mit dem Erreger von damals verwandt", sagt Krause. Der war vermutlich Anfang des 14. Jahrhunderts über Handelswege aus Zentralasien nach Europa gelangt.

Auch davor hatte es mehrere Ausbrüche in Europa gegeben, der älteste bekannte passierte während der Bronzezeit. Aber keiner davor oder danach war je so verheerend wie der Schwarze Tod. Mit der neuen Untersuchung deutet sich an, dass die Wucht dieses Ausbruchs zudem stärker auf nachfolgende Jahrhunderte wirkte als bislang gedacht.

Die beiden Forschergruppen interpretieren ihre Funde unterschiedlich. Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena glaubt, damit bereits die alte Theorie der wiederholten Einschleppung aus Fernost verwerfen zu können. Holger Scholz vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr ist in der Veröffentlichung im Fachblatt Plos One zurückhaltender. Bislang seien die Ähnlichkeiten erst bei rund zwei Dutzend Pestopfern aus fünf Jahrhunderten bestätigt. Erst wenn man bei vielleicht 200 untersuchten Leichnamen keine Erreger aus Zentralasien finden würde, könne man allmählich sicher sein, dass die verschiedenen Pestwellen Europas aus lokalen Reservoirs hervorbrachen.

Manche Forscher vermuten, dass viele andere Krankheitsausbrüche in den vergangenen Jahrhunderten fälschlich Yersinia pestis zugeschrieben wurden und es in Wirklichkeit andere Erreger waren, sogar Viren kommen in Betracht. Doch die mittlerweile zahlreichen Nachweise von Pesterregern aus verschiedenen Zeiträumen belegen zumindest, dass die Pest recht regelmäßig in Europa umging.

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