Amok an Schulen:Auf der Suche nach dem Attentäter-Profil

Die US-Bundespolizei FBI und der Secret Service haben die Amokläufe an US-Schulen untersucht, um herauszufinden, woran ein potenzieller Schul-Attentäter zu erkennen ist.

Von Markus C. Schulte von Drach

"Warum bringt ein Schüler eine Waffe mit in die Schule und schießt ohne erkennbaren Grund auf seine Mitschüler und Lehrer? Sind Schulattentäter wütend? Sind sie verrückt? Wollen sie Rache? Hassen sie ihre Opfer? Suchen sie Aufmerksamkeit?"

Amok an Schulen: Eine Zeichung, die von einem der Columbine-Attentäter stammt.

Eine Zeichung, die von einem der Columbine-Attentäter stammt.

(Foto: Foto: AP/Jefferson County Sherriff)

Diese Fragen stellte man sich bereits vor dem Attentat von Columbine 1999 beim FBI. Und nachdem Eric Harris und Dlyan Klebold 13 Menschen an der High School in Littleton erschossen hatten, versuchten die Fachleute der Behörde - ebenso wie ihre Kollegen vom Secret Service - zusammen mit einer ganzen Reihe von Experten ein Profil des School Shooters zu erstellen.

18 Amokläufe untersuchten die Fachleute des FBI, der Secret Service analysierte sogar 37 solcher Vorfälle an Schulen zwischen 1974 und 2000, an denen insgesamt 41 Täter beteiligt waren.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Behörden war, dass es nicht DAS Profil eines Schulattentäters gibt. Wie der Secret Service berichtet, variierten die untersuchten Täter sehr stark im Alter, stammten aus allen Schichten und den verschiedensten Familienstrukturen.

Versager in der Minderheit

Sie zeigten unterschiedliche schulische Leistungen - wobei die Versager eine Minderheit darstellen. Etwa jeder Dritte war Einzelgänger, alle anderen mehr oder weniger gut integriert.

Zwei Drittel der Attentäter hatten zuvor keine oder kaum Schwierigkeiten an der Schule gehabt. Auf der anderen Seite waren drei Viertel der jungen Schüler vor der Tat schikaniert, verfolgt oder verletzt worden - oder sie hatten zumindest das Gefühl gehabt, dass dies so sei.

Welchen Einfluss psychische Störungen auf die Amokläufer hatten, ist unklar, da die meisten nicht untersucht oder aber keine Krankheiten festgestellt worden waren.

Allerdings hatte jeder zweite Attentäter zuvor einige Anzeichen von Depressionen oder Verzweiflung gezeigt.

Auffällig war bei den Amokläufern, dass sie ein - unterschiedliches - Faible für Gewalt hatten. Ein Viertel stand auf gewaltverherrlichende Filme, ein Achtel hatte sich am Computer mit Gewaltspielen beschäftigt. Und drei von vier Attentätern hatte dem Thema Gewalt selbst geschriebene Geschichten, Gedichte, Aufsätze etc. gewidmet.

Zwar ist der Versuch der US-Behörden gescheitert, ein School-Shooter-Profil zu entwickeln. Doch das National Center for the Analysis of Violent Crime (NCAVC) der FBI Academy in Quantico hat eine Liste von Verhaltensweisen, Charaktereigenschaften und Hintergründen zusammengestellt, durch die Amokläufer bislang aufgefallen sind - und die demnach auf Schulattentäter hinweisen könnten.

Keine Checkliste

Diese Liste mit Warnsignalen sei jedoch "keine Checkliste, um gewaltsames Verhalten von Schülern vorherzusagen, die bisher nicht durch Gewalt oder Drohungen aufgefallen sind", heißt es beim FBI. Erst wenn es bereits Verdachtsmomente gibt, sollte das Papier zu Rate gezogen werden.

Auch betont die Behörde, dass alle diese Punkte auch bei harmlosen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen beobachtet werden können. Nur wenn eine größere Zahl von Warnsignalen in den verschiedenen Bereichen zusammenkommt, muss man in Betracht ziehen, dass der betreffende Schüler ein Problem darstellt.

Die Persönlichkeit eines Menschen spiegelt sich in seinem Verhalten wieder. Besonders Gefühlsausbrüche und Äußerungen über Gedanken, Fantasien, Neigungen oder sogar über konkrete Wünsche und Pläne können deutliche Hinweise auf drohende Gewaltakte darstellen.

"Ende-der-Welt"-Philosophie

Nach den Erfahrungen des FBI beschäftigen sich gefährdete Schüler auffällig intensiv mit Themen wie Gewalt, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Hass, Isolation, Einsamkeit oder einer "Ende-der-Welt"-Philosophie.

Immer wieder kommen sie in Gesprächen mit Freunden, Eltern, Lehrern oder Geschwistern auf diese Themen - auch völlig unmotiviert. Und selbst wenn sie ihre Aussagen selbst gleich wieder abschwächen oder als Witz abtun sollte man sie ernst nehmen, empfiehlt das FBI.

Wichtig sei es auch, darauf zu achten, ob ein Schüler sich im Rahmen von Geschichten, Zeichnungen u.a. immer wieder mit Zerstörung und Gewalt Hass, Vorurteilen, Zerstückelung oder Verstümmelung von Körpern, Blut, Waffen, Tod, Mord oder Selbstmord auseinandersetzt.

Zwei Eigenschaften, die viele School Shooter auszeichnet, sind eine niedrige Frustrationsschwelle und eine mangelhafte Fähigkeit, mit Kritik, Enttäuschungen, Versagen Demütigungen und Zurückweisungen - insbesondere auch durch (Wunsch-) Beziehungspartnerinnen - umzugehen.

Über Beleidigungen und echte oder nur wahrgenommene Ungerechtigkeiten regen sie sich schnell auf und reagieren völlig übertrieben, unreif und unnachgiebig. Alle Verletzungen, die ihnen die Welt angeblich zufügt, werden rachsüchtig gesammelt.

Narzisstische Persönlichkeiten

Viele der Amokläufer weisen jede Verantwortung für ihre Handlungen von sich - insbesondere wenn es um das eigene Versagen geht. Sie betrachten sich selbst als überlegene Persönlichkeit in einer entfremdeten, feindlichen Umwelt, die ihre wahre Größe und Überlegenheit nicht erkennt.

Dabei, so vermuten die FBI-Fachleute, überdeckt dieser Narzissmus lediglich das mangelnde Selbstwertgefühl eines Menschen, der um jeden Preis Aufmerksamkeit sucht. Andere werden von den Attentätern als minderwertig betrachtet.

Viele der Attentäter zeigen einen Mangel an Einfühlungsvermögen. Das Fehlen von Empathie kann sich zum Beispiel darin äußern, dass sie sich über Mitschüler, die Gefühle zeigen, als weich oder dumm lustig machen.

Dabei zeigen sie selbst häufig Anzeichen von Depressionen wie Lethargie, Müdigkeit und eine pessimistische Weltsicht. Und gerade bei depressiven Jugendlichen kann es auch zu unvorhersehbaren und unkontrollierten Wutausbrüchen kommen, einen Hass auf alles und jeden sowie Interesse- und Hoffnungslosigkeit, berichtet das FBI.

Die Täter zeigen sich häufig intolerant und äußern Vorurteile gegenüber anderen Ethnien, Glaubensrichtungen oder Minderheiten. Dabei sind sie in ihren Überzeugungen - die sie manchmal mit einer kleinen, exklusiven Gruppe von Kameraden teilen - fixiert, ignorant und auch zynisch.

Vorbild Adolf Hitler

Hellhörig sollte man auch werden, wenn die Schüler sich extrem negativ besetzte Vorbilder suchen - etwa Adolf Hitler oder Satan - Hauptsache, sie werden mit Gewalt und Zerstörung in Verbindung gebracht.

Auffällig ist bei Schulattentätern ein ungewöhnliches Interesse an anderen Schul-Amokläufen und Gewaltverbrechen überhaupt, die auf großes Medieninteresse gestoßen sind. Sie bewundern die Täter, kritisieren sie dafür, dass sie nicht effektiver gemordet haben, und äußern das Bedürfnis, es ihnen nachzutun.

Die jungen Amokläufer beschäftigen sich in ihrer Freizeit ganz häufig intensiv mit Medien, die Gewalt, Hass, Kontrolle, Macht, Tod und Zerstörung thematisieren. Immer wieder schauen sie sich den selben Film an, lesen das selbe Buch oder verbringen ihre Zeit mit dem Spielen von gewaltverherrlichenden Computerspielen - wobei sie allerdings mehr an der Gewalt als am Spiel selbst interessiert sind.

Im Internet suchen sie regelmäßig Seiten auf, die sich mit Gewalt, Waffen und anderen beunruhigenden Themen beschäftigen. Häufig werden Inhalte heruntergeladen.

Veränderungen vor der Tat

Gerade vor einem Amoklauf kann sich das Verhalten eines Schülers dramatisch verändern, so das FBI. Und wenn sich ein junger Mensch plötzlich große Mengen von Munition besorgt oder besonders häufig Schießübungen macht, sollten Eltern, Lehrer oder Mitschüler genauer hinsehen.

Auch wird die Beschäftigung mit Gewalt vor einem Attentat offenbar noch einmal besonders intensiv und verdrängt alles andere, was sonst zum Alltag gehörte wie Treffen mit Freunden, Schularbeiten oder überhaupt der Besuch der Schule.

Sollten bei Schülern einige der hier beschriebenen Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften beobachtet werden, müssen nach Meinung der FBI-Agenten trotzdem noch weitere Aspekte berücksichtigt werden.

Dazu gehören etwa die Verhältnisse in der Familie des Betroffenen. Das Verhalten der Eltern und Geschwister, Traditionen, Rollen, Normen und Werte - und wie der Schüler diese wahrnimmt, spielen eine wichtige Rolle.

Wird auffälliges Verhalten von den Eltern akzeptiert? Werden Grenzen gesetzt? Besteht ein Vertrauensverhältnis? Das alles sind wichtige Fragen bei der Einschätzung der Gefahr, die von einem Schüler ausgehen kann.

Das gleiche gilt für die Situation an der Schule des Betroffenen: Der Umgang der Schüler untereinander, das Verhältnis zu den Lehrern, die Wertesysteme müssen berücksichtigt werden.

Die Rolle der Altersgenossen

Eine besondere Bedeutung hat das weitere soziale Umfeld. Eine Schlüsselrolle spielen nach Einschätzung der FBI-Experten hier die Altersgenossen. Gerade die Wahl der Freunde kann wertvolle Informationen geben über die Gesinnung eines jungen Menschen, seine Selbstwahrnehmung, und über die möglichen Entscheidungen, ob er Amok läuft, oder nicht.

"Wir wissen, dass Schüler weiterhin Drohungen aussprechen werden, und das die meisten sie nicht wahr machen", fasst die US-Bundespolizei zusammen. "Der Einsatz des hier vorgelegten Einschätzungs-Modells soll den Schulbehörden helfen, wirklich gefährliche Drohungen zu identifizieren und damit umzugehen, sowie auf weniger ernsthafte Bedrohungen angemessen zu reagieren."

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