Verhaltensbiologie:Leuchttürme in der Wüste

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Eine Wüstenameise auf ihrem Nest in der tunesischen Wüste. (Foto: Markus Knaden, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie)

Wie schaffen es Wüstenameisen, sich nicht zu verlaufen? Forscher haben nun beobachtet: Sie bauen extra hohe Nesthügel.

Von Christian Weber

Das Leben der Tunesischen Wüstenameisen muss man sich als fies, brutal und kurz vorstellen. Gerade mal sechs Tage beträgt ihre Lebenserwartung, sie müssen ihre Nahrung - andere verendete Arthropoden - bei Temperaturen von bis zu 60 Grad Celsius finden. Bei ihren Raubzügen bleiben ihnen meist nur wenige Minuten Zeit, bevor sie selber von der gleißenden Sonne beeinträchtigt werden. Klugerweise haben sie deshalb zwei Fähigkeiten optimiert: ihre Geschwindigkeit und ihren Orientierungssinn.

Wie komplex die Navigationsfähigkeiten der nur gut einen Zentimeter großen Ameisen sind, hat nun ein Team um Markus Knaden vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena nachgewiesen. Im Fachmagazin Current Biology berichten die Forscher und Forscherinnen, dass die Tiere bei fehlenden natürlichen Landmarken in der zum Teil sehr platten tunesischen Salzpfanne höhere Nesthügel bauen, damit die futtersuchenden Arbeiterameisen von ihren Beutezügen zurückfinden. Die Hügel sind sozusagen Leuchttürme in der Wüste.

Dabei war Wissenschaftlern schon länger bekannt, dass Nester in der Mitte der Salzpfannen höhere Hügel aufweisen als am Rande der Wüste, wo zum Beispiel Büsche und Gesträuch bei der Orientierung helfen können. Doch sei "es immer schwer zu sagen, ob ein Tier etwas zielgerichtet tut oder nicht", sagt Markus Knaden laut einer Pressemitteilung. So könnten die hohen Nesthügel auch ein Nebeneffekt der unterschiedlichen Bodenstruktur oder der Windverhältnisse sein.

Wenn Forscher den Ameisen die Beine verlängern, schießen diese über das Ziel hinaus

Um die Orientierungshypothese zu überprüfen, entfernten die Forscher einige Nesthügel. Tatsächlich taten sich die Ameisen beim Heimweg dann schwerer - und die im Nest verbliebenen Tiere fingen sofort an, wieder neue Hügel zu errichten. Dies unterließen sie allerdings, wenn die Forscher die zerstörten Hügel durch künstliche schwarze Zylinder ersetzten: Leuchtturm bleibt Leuchtturm.

Für ihre Studie nutzten die Forscher kleine GPS-Sender, mit denen der Weg der Ameisen besonders genau verfolgt werden konnte. Dabei stießen sie auf weitere Überraschungen. So zeigte sich, dass die Tiere zum Teil deutlich längere Wege zurücklegen als gedacht. Nicht nur hundert Meter, sondern im Extremfall mehr als zwei Kilometer legte ein einzelnes Tier zurück.

Bei solchen Langstrecken helfen den Ameisen ihre Geschwindigkeit, gut 60 Zentimeter pro Sekunde, und weitere Navigationstechniken, die schon länger bekannt sind. So weiß man unter anderem, dass sie ihre Marschrichtung nach der Sonne ausrichten, sie erkennen ortsspezifische Gerüche, und sie haben in ihrem Gehirn offensichtlich eine Art Schrittzähler, um Strecken abzumessen.

Das belegten andere Wissenschaftler in trickreichen Experimenten: Wenn sie die Ameisen mittels angeklebter Schweineborsten sozusagen auf Stelzen stellten, schossen sie über das Ziel hinaus. Wenn sie hingegen die Beine der Tiere verkürzten, überschätzten diese den bereits zurückgelegten Weg und begannen zu früh nach dem Nesteingang zu suchen. Offensichtlich zählen sie nur ihre Schritte und haben keinen anderen Sinn für Entfernung.

So großartig man das präzise Navigationssystem der Wüstenameisen finden kann, bewahrt es jedoch längst nicht alle vor einem traurigen Schicksal, wie die neue Studie außerdem zeigt. "Etwa 20 Prozent der futtersuchenden Ameisen fanden nach extrem langen Ausläufen nicht nach Hause zurück und starben vor unseren Augen", erläutert Erstautorin Marilia Freire. Doch gerade diese hohe Opferquote könnte den hohen Selektionsdruck auf das Orientierungsvermögen erklären. Gleichgültig ist die Natur und fies, brutal und kurz das Leben der Wüstenameisen.

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