Alternative Energien:Wissenschaftler warnen vor Biosprit und Biogas

Die Masse macht's - nicht immer. Wissenschaftler der Nationalen Akademie Leopoldina empfehlen, den Ausbau von Bioenergie zu stoppen. Die Umweltschäden seien größer als gedacht. Die Abkehr von dieser Energieform könnte die ehrgeizigen Pläne der Bundesregierung zerstören. Ist die Energiewende überhaupt noch möglich?

Christopher Schrader

Es ist das Ende eines Mythos: Energie aus Biomasse zu gewinnen, ist eben nicht klimaneutral, wie es die Lobpreisungen für grüne Treibstoffe gern verkünden. Die simple Logik, dass Pflanzen beim Wachsen auf Feld, Wald und Wiese so viel Kohlendioxid aufnehmen, wie sie später beim Verbrennen wieder freisetzen, ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit.

Alternative Energien: Biogasanlage in Pliening, Bayern. Wissenschaftler senken den Daumen über der Bioenergie.

Biogasanlage in Pliening, Bayern. Wissenschaftler senken den Daumen über der Bioenergie.

(Foto: EBE)

Daneben passieren lauter unübersichtliche Dinge beim Anbauen, Düngen, Ernten, Transportieren und Verarbeiten des Grünzeugs, die man nicht ignorieren darf. Die dabei verwendeten Maschinen verbrauchen Energie, die vollkommene Verwertung der Pflanzen schadet den Böden, wenn immer weniger Stroh untergepflügt wird, der Stickstoff aus dem Dünger landet als potentes Treibhausgas in der Atmosphäre. Und schließlich könnte eine globalisierte Biomasse-Wirtschaft schnell die Bedürfnisse der Ärmsten nach bezahlbarer Nahrung an den Rand drängen.

Immer mehr Wissenschaftler senken darum den Daumen über der Bioenergie. Zuletzt auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Die "Verwendung von Biomasse als Energiequelle in größerem Maßstab (ist) keine wirkliche Option für Länder wie Deutschland", stellt das Forschergremium in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme fest. Sie empfiehlt, den geplanten Ausbau der Bioenergie zu stoppen. Das europäische Ziel, 2020 zehn Prozent des Treibstoffs für Autos aus Biomasse zu gewinnen, solle man überdenken. Und die Idee, Deutschland könne im Jahr 2050 fast ein Viertel seines Energiebedarfs aus einheimischen Pflanzen decken, so wie es die Szenarien der Bundesregierung vorsehen, empfinden die Forscher als geradezu irrwitzig.

Es wird einfach überschätzt, wie viel da ist", sagt Rudolf Thauer, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, einer der Koordinatoren des Akademieberichts. Die Ausweitung der Produktion lasse sich nur durch eine massive Intensivierung der Landwirtschaft erreichen. Diese Intensivierung konterkariere weitgehend die erwünschten Effekte für das Klima, außerdem sei sie auf Dauer nicht durchzuhalten.

Dagegen hält Andreas Schütte an der Zahl von 23 Prozent fest, die heimische Biomasse im Jahr 2050 zum Energiebedarf beitragen kann. "Das ist zu schaffen, aber wir müssen es natürlich vernünftig und umweltgerecht machen", sagt der Leiter der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) in Gülzow bei Schwerin, die mit Geld des Bundeslandwirtschaftsministeriums die Erforschung der Biomasse fördert. Die Agentur hat das Potenzial im April 2011 vorgerechnet, als die schwarz-gelbe Koalition nach Fukushima gerade um ein neues Energiekonzept rang.

"Die Ziele sind zu schaffen"

Um 2050 den Beitrag heimischer Biomasse auf 23 Prozent zu steigern, sollten verschiedene Faktoren zusammenwirken. Zum einen würde sich der Energiebedarf bis dahin halbieren, nahm man an, zum anderen nach Zahlen der FNR die Anbaufläche für Energiepflanzen von 1,8 auf vier Millionen Hektar steigen. Für den Rest wären Ertragssteigerungen notwendig. "Das meiste davon kommt aus Fortschritten bei der Pflanzenzüchtung, nicht aus verstärktem Düngereinsatz", sagt Schütte.

Die FNR propagiert zudem die sogenannte Kaskadennutzung der Biomasse. Wo immer möglich solle aus den landwirtschaftlichen Erzeugnissen ein Produkt werden, das erst am Ende seiner Lebensdauer verbrannt werde. "Zum Beispiel ein Biopolymer, aus dem Plastikflaschen hergestellt werden. Das spart einmal fossile Rohstoffe, die man dafür bisher braucht, und dann noch einmal, wenn die Flasche verbrannt wird, weil sie nicht mehr wiederverwendet werden kann", erklärt Schütte. Für die Energiewende müsse Deutschland einfach alle nutzbaren Formen erneuerbarer Energien intelligent zusammenführen.

Das sieht auch der Vorsitzende des Bundesverbandes Bioenergie so. "Wir werden die Bioenergie nutzen müssen, daran führt überhaupt kein Weg vorbei", sagt Helmut Lamp, im Hauptberuf Weizenbauer an der Kieler Förde. Die Lufthansa habe ihm gesagt, entweder fliege man in 30 Jahren mit Biosprit oder gar nicht mehr. Sämtliche skeptische Prognosen der Wissenschaft hätten sich in der Vergangenheit als Fehlprognosen erwiesen, sagt er gelassen.

Und für die Ertragssteigerungen nimmt er den eigenen Hof als Beispiel: Hier habe ihm die Agrarforschung geholfen, seine Erträge in den vergangenen Jahrzehnten zu verdoppeln. Er pflüge den Acker nun zweimal so tief durch und setze Dünger gezielter und eher weniger ein. Wenn das stimmt, ist das eine neue Entwicklung: Wissenschaftlichen Studien zufolge, aus denen die Leopoldina zitiert, hat sich der Stickstoff-Austrag auf Felder seit 1965 verachtfacht.

Die Akademie verdammt die Biomasse auch nicht in Bausch und Bogen: Organische Abfälle zum Beispiel sollten mehr als bisher zur Energieproduktion genutzt werden, sagt Berichtskoordinator Rudolf Thauer. Und wo Biotreibstoffe nachhaltig erzeugt werden, sollten sie in der Tat für Flugzeuge und Lastwagen reserviert bleiben, die sich kaum elektrisch betreiben ließen.

Für den breiten Einsatz sehen viele Forscher den Ökosprit aber kritisch. Auch Hartmut Michel, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt/Main, beklagt den "Unsinn der Biokraftstoffe". Ethanol aus Mais oder Diesel aus Raps sind seiner Analyse nach weit davon entfernt, im Tank gespeicherte Sonne zu sein, wie es bisweilen poetisch heißt.

Gerade mal ein Promille der Sonnenenergie finde sich im Biodiesel wieder; im Ethanol, das Benzin für die E-10-Mischung beigemengt wird, sind es zwei Promille. Das liegt vor allem daran, dass schon die Pflanzen das Licht schlecht verwerten, weil die Fotosynthese ein sehr ineffektiver Prozess ist. Damit kennt sich Michel aus, er hat für die Entschlüsselung eines der daran beteiligten Moleküle 1988 den Nobelpreis für Chemie bekommen. Die Umwandlung der Biomasse in flüssige Treibstoffe treibt die Bilanz dann weiter in den Keller.

"Die Produktion von Biokraftstoffen stellt eine extrem ineffiziente Nutzung landwirtschaftlicher Flächen dar", schließt Michel einen Kommentar im Fachblatt Angewandte Chemie. Das verfügbare Land lasse sich um den Faktor 600 besser nutzen, wenn dort Solarzellen Strom für Elektroautos erzeugen, als wenn hier Pflanzen für Biosprit wachsen, der in Motoren verbrannt wird. Damit sinke auch die Gefahr, dass der Anbau von Energiepflanzen die Lebensmittelpreise für die Armen der Welt in die Höhe treibt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: