Süddeutsche Zeitung

Alternative Energien:Die Kraft der Entengrütze

Sie wachsen extrem schnell, produzieren viel mehr Biomasse als Mais und tragen nur im Volksmund den zweifelhaften Namen Entengrütze. Wissenschaftler nennen sie Wasserlinsen und sehen in ihnen einen Rohstoff für den Biosprit der Zukunft.

Von Andrea Hoferichter

An die Osterzeit 2013 wird sich Klaus Appenroth wahrscheinlich noch lange erinnern. Mehrere Wochen lang war der Biologe von der Universität Jena in Bangladesch und Indien unterwegs, um dort die Wasserlinse Wolffia microscopica ausfindig zu machen. "Diese Wasserlinsenart ist die vermutlich am schnellsten wachsende Pflanze der Welt", sagt Appenroth. "Aus einem Gramm können unter idealen Bedingungen in nur 20 Tagen sechs Tonnen Biomasse werden. Und gerade diese Art ist in keiner der Stammsammlungen weltweit mehr vorhanden." Dreißig Wasserproben hat der Chemiker genommen und zur Analyse an die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich gegeben. Ob eine davon die begehrte Linse enthält, wird er in etwa vier Wochen erfahren.

Doch selbst wenn das wahrscheinlich beeindruckendste Exemplar noch fehlt, hat die Forschung an den millimeter- bis zentimeterkleinen Wasserlinsen in den letzten Jahren ordentlich Fahrt aufgenommen. Die Pflanzen, die vor allem im Sommer ganze Seen bedecken und auch als Entengrütze bekannt sind, sollen für eine nicht nur buchstäblich grüne Zukunft sorgen - als Rohstoff für den Biosprit Ethanol. "Wasserlinsen produzieren pro Hektar und Jahr im Schnitt etwa fünfmal soviel Biomasse wie etwa Mais. Und sie blockieren dabei keine Anbauflächen für Nahrungsmittel", berichtet der Chemiker aus Jena.

Die vermehrungsfreudigen Energiepflanzen gelten zudem als robust, gedeihen selbst auf Abwässern und reinigen diese dabei sogar noch. Sie entfernen unter anderem belastende Stickstoff- und Phosphorverbindungen. In kleineren Anlagen, vor allem in Asien, funktioniert diese Art der Wasserreinigung schon seit Jahrzehnten. Und gerade bauen Wissenschaftler der chinesischen Akademie der Wissenschaften eine Demonstrationsanlage am Dianchi-See auf, der ungefähr so groß ist wie München. Er zählt damit zu den größten Seen Chinas und wegen der eingeleiteten Abwässer auch zu den gefährdetsten.

In Deutschland hingegen würde die Linsenproduktion mehrere Monate im Jahr brachliegen, weil die grünen Winzlinge bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius ihr Wachstum einstellen. Gebiete in den Subtropen und Tropen sind für die Wasserlinsenaufzucht besser geeignet.

Wasserlinsen enthalten Proteine, die sie auch zu einem wertvollen Vieh- und Fischfutter machen, und Stärke, den Rohstoff für die Alkoholproduktion. Um den Stärkegehalt zu steigern, geben die Forscher die Linsen nach der Ernte in ein Becken mit nährstoffarmem Wasser. "Das kann Quellwasser sein oder in Ländern, in denen Trinkwasser knapp ist, auch versalztes Wasser", berichtet Appenroth. Die Wasserlinsen wachsen dann nicht mehr, sondern speichern den durch die anhaltende Fotosynthese gebildeten Zucker als Stärke. So lässt sich ein Gehalt von rund 50 Prozent erreichen. Anschließend werden die Linsen getrocknet, gemahlen, mit Enzymen versetzt, die aus Stärke wieder Zucker machen, und schließlich mit Hefepilzen zu Bioalkohol vergoren. Bisher sind das allerdings nur Laborversuche. Wissenschaftler arbeiten zurzeit vor allem daran, die Ethanolausbeute zu erhöhen.

Ebenfalls noch ein Fall für die Forschung ist die Produktion anderer Biobrennstoffe. So können die Wasserlinsen auch von Bakterien zu Biogas oder wie Kohle in einer Raffinerie zu Benzin, Diesel und Kerosin umgesetzt werden. Diesen Weg beschreiben etwa Forscher aus den USA und China in der Februarausgabe der Fachzeitschrift Industrial and Engineering Chemistry Research. Eine rentable Entengrütze-Raffinerie, haben sie berechnet, müsste etwa die Kapazität einer kleineren Erdöl-Raffinerie haben.

Im Vergleich mit der Biorohstoff-Konkurrenz aus dem Wasser, den Mikroalgen, sieht Appenroth die Linsen vor allem aus einem Grund vorne. "Wasserlinsen lassen sich viel leichter ernten", sagt er. Der grüne Linsenteppich kann mit feinmaschigen Netzen einfach von der Wasseroberfläche abgezogen werden. Die viel kleineren, im Wasser fein verteilten Algen dagegen werden in der Regel abzentrifugiert oder gefiltert. Die Trennverfahren sind ein Grund dafür, dass die Algenproduktion heute oft noch mehr Energie verschlingt, als sie als Biomasse wieder hergibt.

Ulrich Schurr vom Forschungszentrum Jülich zufolge haben Algen aber durchaus auch Vorteile. "Sie vermehren sich schneller und sogar in Salz- oder Brackwasser, und die Produktion erfolgt quasi dreidimensional", sagt er. So können Algen das einfallende Licht besser nutzen. Die Wasserlinsen hingegen schwimmen immer an der Oberfläche.

Wie das Rennen ausgeht, ist noch ungewiss. Neues aus der Wasserlinsenwelt wird im August zu erfahren sein. Dann treffen sich die Forscher zur zweiten internationalen Tagung an der Rutgers University in New Jersey. Ein Thema wird sein, welche Art Entengrütze sich wofür am besten eignet. "Selbst innerhalb einer Art ist die genetische Vielfalt enorm", erzählt Appenroth. Erst kürzlich fand er in Wasserproben gleich vier verschiedene Genvarianten der Linse Lemna minor. Er musste nicht einmal das Bundesland verlassen. Die Proben stammen aus einem Feuerlöschteich in Thüringen.

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SZ vom 16.04.2013/beu
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