Süddeutsche Zeitung

Alternative Energie:Kraftstoff aus Orangen

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Ein neues Verfahren deutscher Forscher verwandelt Bio-Masse binnen Stunden in Kohle.

Thomas Rode

Feiner Kohlestaub liegt in der Hand von Markus Antonietti. "Das waren einmal Orangenschalen", sagt er. Der Staub stammt aus einem silbernen Behälter mit einem Druckbarometer.

Darin wandeln sich die Schalen oder anderer Biomüll binnen weniger Stunden zu Kohle - die Natur braucht dafür bis zu 50 Millionen Jahre. "Unser Verfahren der hydrothermalen Karbonisierung (HTC) könnte Energieprobleme auf umweltgerechte Art lösen", sagt Antonietti, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm bei Potsdam.

Aus der Kohle ließe sich in weiteren Verfahren Kraftstoff herstellen, ohne die Umwelt mit dem Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) zu belasten.

Hochzeit in der Brennstoffzelle

Das Verfahren HTC ist simpel. Sagt zumindest Antonietti. Die Biomasse kommt in einen Druckbehälter, der nach einer kurzen Aufheizzeit so viel Wärme liefert, dass die Reaktion sich selbst unterhält. Schon binnen weniger Minuten entsteht ein erdölartiges Intermediat.

Nach sechs Stunden wandelt es sich zu Torf, nach zehn oder 16 Stunden zu Braun- sowie Steinkohle. "Auch wenn die Reaktion chemisch noch immer unverstanden ist, passiert nichts weiter als eine Abspaltung von Wasser aus den Kohlenhydraten der Pflanze", sagt Antonietti. Dem Wissenschaftler geht es ohnehin nicht um die Reaktion selbst, ihn interessieren deren Produkte: Torf, Kohle und irgendwann Kraftstoff.

Der Vorteil gegenüber anderen Verfahren sei, dass 70 Prozent der in der Pflanze gespeicherten Energie genutzt werden kann. Mehr als zum Beispiel bei der Kraftstoffherstellung aus Zucker, wie sie in Brasilien angewandt wird, denn nur 15 Prozent des dazu genutzten Zuckerrohrs sind Zucker. "Der Rest der Pflanze kann nicht zu Bioethanol umgewandelt werden", sagt Antonietti.

Das bedeutet: 85 Prozent der in der Pflanze gespeicherten Energie geht verloren. Außerdem ist das Verfahren vergleichsweise energieaufwändig: Um verwertbaren Bioethanol zu bekommen, muss der durch Bakterien produzierte Alkohol vom Wasser getrennt werden. So liege der Wirkungsgrad nur bei drei bis vier Prozent.

Anders bei der HTC: "Wir haben eine neutrale Kohlenstoffbilanz. In unserem Verfahren werden fast 100 Prozent des im Material gebundenen Kohlenstoffs zu Kohle umgewandelt." Aus dieser Kohle kann in weiteren industriellen Verfahren wiederum Benzin hergestellt werden. Laut Antonietti ist das günstiger als die Herstellung von Biodiesel: "Der Ertrag aus Rapsöl für Biodiesel ist relativ schlecht."

Pro Hektar Land liege der Ertrag für Rapssamen bei etwa 3,2 Tonnen. Das reicht für rund eine Tonne Diesel. Nutze man aber die ganze Pflanze, wie das HTC-Verfahren, liege die Ausbeute höher: Antonietti rechnet mit zehn Tonnen Diesel je Hektar Anbaufläche.

Skepsis bei den Kollegen

Nicht alle teilen den Optimismus des Forschers aus Golm: Derk Jan Swider von Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) in Stuttgart ist skeptisch. "Ich glaube nicht, dass ein Zwischenschritt wie die Umwandlung von Biomasse zu Steinkohle die Wirtschaftlichkeit erhöht." Der Leiter des Instituts für Energietechnik, Alfons Kather, sieht das ähnlich.

An der TU Hamburg-Harburg berechnet er Energiebilanzen für Kraftwerke. "Die HTC ist nur der allererste Schritt zu einem Kraftstoff. Erst wenn der gesamte Prozess von der Pflanze zum Benzin energetisch genau betrachtet worden ist und dann noch sinnvoll erscheint, könnte dieses Verfahren bahnbrechend sein." Für ihn reiht sich die Methode aus Golm bis jetzt lediglich in gängige Verfahren zur Energiegewinnung ein.

Auch Antonietti betont, dass es verschiedene sinnvolle Wege gebe, Energie zu erzeugen. Für sein eigenes Verfahren hat er bereits konkrete Anwedungsbereiche entworfen: "Torf wäre der beste Weg, das Verfahren zu nutzen." Allein in Berlin fallen pro Jahr 115.000 Tonnen Biomüll an. Der könne zu Torf umgewandelt werden, um darauf schnell wachsende Pflanzen wie Schilf anzubauen.

a die Pflanzen für ihr Wachstum CO2 aus der Luft nehmen, würde dieses gebunden werden und nach der Karbonisierung wieder als Torf zur Verfügung zu stehen. "Da wir so eine negative Kohlendioxidbilanz erhalten, ist das ein attraktives Verfahren."

Treibt man den Prozess der Karbonisierung weiter, entstünde Kohle, die auch zur Aufwertung von Böden genutzt werden könnte. Ihre schwammartige Struktur besitzt eine hohe Wasserhaltefähigkeit und böte Mikroorganismen einen Lebensraum. "Bester Humus für erodierte Landstriche", schwärmt Antonietti.

Trotzdem lässt den Forscher der Gedanke an den Prototypen einer Brennstoffzelle, der an der Harvard-Universität entwickelt wurde, nicht in Ruhe. Dort versuchen Wissenschaftler in einer kalten Verbrennung aus dem Feststoff Kohle Strom zu erzeugen.

"Die Schwierigkeiten, die sie unter anderem haben, ist geeigneten Kohlenstoff in Nanopartikelgröße zu finden." Doch sein Verfahren produziert genau diesen Kohlenstoff. Nun träumt Antonietti von einer Hochzeit beider Verfahren.

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Quelle:
SZ vom 2.11.2006
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