Alltägliche Verschwendung:Energie liegt auf der Straße

Rollende Räder, vibrierende Maschinen: In vielen alltäglichen Situationen wird Energie produziert - doch bislang verpufft sie ungenutzt. Ingenieure wollen das ändern.

Christopher Schrader

Zum geschäftlichen Erfolg des neuen Sainsbury-Supermarkts im englischen Gloucester tragen die Kunden schon bei, wenn sie auf den Parkplatz fahren. Sie rollen dann über Metallplatten, die ihr Auto für einen Moment niederdrückt.

Alltägliche Verschwendung: Auch hier ließe sich Energie gewinnen: Stoßdämpfer von schweren LKWs auf rauem Asphalt könnten Strom liefern.

Auch hier ließe sich Energie gewinnen: Stoßdämpfer von schweren LKWs auf rauem Asphalt könnten Strom liefern.

(Foto: Foto: ddp)

Unter der Platte, die wie eine Bodenschwelle für Raser wirkt, fängt ein elektrischer Generator an zu arbeiten. Der erzeugte Strom liefert dem Supermarkt unter anderem die Energie für die Kassen.

Für den Manager des Marktes sind die Generatoren Teil eines Umweltpakets. Auf dem Gebäude wird Regen gesammelt, das Warmwasser stammt aus Solarkollektoren und nachts werden die Kühltruhen abgedeckt.

"Unsere Kunden können aktiv dabei mithelfen, ihren lokalen Supermarkt grüner zu machen", sagt Alison Austin, die Umweltmanagerin der Kette. Der Strom vom Parkplatz passt gut in das PR-Konzept zur Eröffnung der neuen Filiale an den Gloucester Quays.

Doch die Metallplatten der britischen Firma Highway Energy Systems sind tatsächlich eine Premiere: Der Supermarkt will damit 30 Kilowatt elektrischer Leistung ernten. Das ist auf dem Feld des sogenannten Energy Harvesting eine gewaltige Leistung.

Darunter verstehen die beteiligten Forscher und Ingenieure Geräte, die in alltäglichen Situationen Energie abzweigen. Viele Geräte schwämmen in einem Meer von Energie, das sie nur anzuzapfen bräuchten, sagen die Entwickler oft poetisch. Vibrationen, Bewegungen und Temperaturunterschiede sind die Quellen, die das Meer speisen.

Einige Dutzend Firmen versuchen bereits, kleine Sensoren mit der Energie zu versorgen, die sie für ihre Aufgabe brauchen. Die Produktlinien auf dem Markt heißen "Harvestor" oder "Joule-Thief" nach der physikalischen Einheit für Energie.

"Die Pionierphase mit reinen Machbarkeitsstudien ist vorbei", sagt Peter Woias, der an der Universität Freiburg das Graduiertenkolleg "Micro Energy Harvesting" leitet. Gerade die kleinen Geräte seien die Zukunft, "da die verfügbare Umgebungsenergie häufig nur in geringer Dichte vorliegt".

Sie kann daher nur Mikroelektronik ohne große Ansprüche versorgen. Das muss aber kein Nachteil sein, ergänzt Jörg Wallaschek von der Universität Hannover: "Denken Sie an die Millionen kleiner Batterien, die solche Instrumente bisher brauchen."

Im Inneren der winzigen Kraftwerke stecken oft Thermoelemente, die auf Temperaturdifferenzen mit einer Spannung reagieren. Oder Piezokristalle, die Spannung abgeben, wenn sie gequetscht werden. Die Elektrizität nutzt der Sensor, um Messdaten zum Empfänger zu funken.

So ähnlich funktionieren die Lichtschalter der Firma Enocean aus Oberhaching bei München, die sich die Metapher vom Energieozean als Namen gewählt hat. Ein Tastendruck erzeugt genug Energie, um die Lampe per Funkimpuls einzuschalten. Die Firma hat bereits ein Hochhaus in Madrid ausgestattet.

Wallaschek schwärmt zudem von drahtlosen Sensoren, die in Maschinen oder Brücken Alarm schlagen, wenn die Vibrationen zu groß werden. Und von Messfühlern in Autoreifen, die nicht nur den Druck der Pneus kontrollieren, sondern auch dem ABS Daten liefern. "Bis die serienreif sind, vergehen aber noch fünf bis zehn Jahre. Die dürfen dann ja auch nicht zu viel kosten."

Firmen wie Highway Energy tragen das Konzept der Stromernte nun in neue Dimensionen. Es geht nicht mehr um autarke Sensoren mit begrenzter Funktion, sondern um Stromgewinnung für andere Zwecke. Doch für Leistungen im Kilowattbereich muss man die Bewegungen tonnenschwerer Fahrzeuge anzapfen.

Das versucht auch ein Team von Ingenieuren am Massachusetts Institute of Technology in Boston. Es hat neuartige Stoßdämpfer entwickelt, die die Bewegungen schwerer Lastwagen auf rauen Straßen in Strom umsetzen. Ein LKW mit sechs der sogenannten Genshock-Dämpfer erzeuge im Durchschnitt sechs Kilowatt elektrische Leistung, so das Team.

Eine israelische Firma namens Innowattech plant indes, die Straßen selbst, aber auch Schienen oder Startbahnen auf Flughäfen zu nutzen. Mit einer Schicht Piezokristalle unter der obersten Schicht des Belags versehen, sollen sie pro Kilometer Länge 150 bis 1000 Kilowatt Strom liefern. Bisher hat die Firma erst Pilotprojekte zustande gebracht. Sie plant aber auch eine Bürgersteig-Variante mit geringerer Ausbeute.

Die Kraft des menschlichen Körpers systematisch zu nutzen, fällt den Entwicklern bisher schwer. Zwar gibt es Radios, bei denen man den Strom für den Betrieb mit einer Handkurbel erzeugt. Und die Disco "Surya" in London hat Piezo-Generatoren in ihre Tanzfläche eingebaut, um die flackernden Lichter zu betreiben.

Für die Orte, an denen Menschen gezielt Energie verbrauchen, gibt es bisher keine Lösungen: In Fitness-Studios könnten die Generatoren im Prinzip in Stairmaster oder Crosstrainer eingebaut werden. Sie würden dort aber wohl zunächst nur helfen, den Stromverbrauch der Maschinen zu mindern.

Tragbare Geräte, die beim Gehen das Handy aufladen, sind jedenfalls eher nicht zu erwarten, sagt Peter Woias. "Solche Generatoren müssten aus physikalischen Gründen so groß und schwer sein wie das Telefon selbst. Ob das vernünftig ist?"

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