Alkoholismus in Russland:Ende des Rausches

Nie wurde in Russland mehr gezecht als heute. Jetzt bekämpft Premierminister Putin den Alkoholmissbrauch auf breiter Front. Kritiker aber zweifeln an den Zielen.

Sonja Zekri, Moskau

Die Sache hat alles Volkstümliche, jede Gemütlichkeit hinter sich gelassen, ist eine "nationale Katastrophe", eine Gefahr für die nationale Sicherheit, sagt der Präsident. Aber Russland säuft weiter, 18 Liter reinen Alkohol pro Kopf und Jahr, mehr als irgendwo sonst in der Welt, mehr als je zuvor in Russland. Und von einer Trendumkehr kann nicht die Rede sein.

Wodka, AFP

Ein Wodkarausch ist in Russland zehnmal billiger als ein Besäufnis mit Bier.

(Foto: Foto: AFP)

Nachdem Dmitrij Medwedjew bereits mit Amtsantritt und zuletzt im vergangenen Jahr geschworen hatte, den Suff in ein paar Monaten zu reduzieren, hat nun auch Premierminister Wladimir Putin ein Konzept vorgelegt, das nun, nach fast zwei Wochen traditionell alkoholhaltigen Feiertagen in der russischen Presse Beachtung findet. Bis zum Jahr 2020 will Putin danach den Alkohol-Konsum halbieren, außerdem den Weinanbau fördern, den Schwarzmarkt austrocknen und ganz generell eine "Umorientierung auf einen nüchternen und gesunden Lebensstil" erreichen, mehr Sport, mehr Aufklärungskampagnen am Arbeitsplatz, mehr Bier als Wodka.

Jahr für Jahr, so Putin in einem mehr als 30-seitigen Papier, sterben über 23.000 Russen an Alkoholvergiftungen und 75.000 an alkoholbedingten Krankheiten. Eine UN-Studie in Ischewsk im Ural hatte jüngst ergeben, dass 40 der verstorbenen Männer zwischen 30 und 54 Jahren sich tot gesoffen haben. Etwa 80 Prozent aller Schwerverbrechen geschehen unter Alkoholeinfluss, hatte Medwedjew zuvor bemerkt. Die Lebenserwartung für russische Männer liegt knapp über 60 Jahren - für ein Industrieland eine niederschmetternde Zahl.

Das war nicht immer so. Entgegen hartnäckigen Behauptungen und jahrhundertealten Legenden war Russland immer mal wieder ein ziemlich nüchternes Land. Kurz vor der Revolution lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 0,83 Liter, heißt es in dem Putin-Bericht, so niedrig wie kaum irgendwo sonst in Europa.

Noch während des Ersten Weltkrieges lag diese Zahl mit 3,4 Liter auf vertretbarem Niveau, explodierte in der späten Breschnjew-Phase, sank vorübergehend in der Perestroika, als Michail Gorbatschow ein verhasstes, aber effektives Wodka-Verbot erließ. Der freie Markt aber, auch für Spirituosen, hat die Nachfrage auf die Spitze getrieben. Eine Halbliterflasche Wodka kostet laut Gesetz neuerdings mindestens zwei Euro, aber auch damit ist ein Wodkarausch immer noch zehnmal billiger als ein Besäufnis mit Bier.

Deshalb soll die Preispolitik durch neue Verkaufsregeln ergänzt werden, Zeit und Orte der Wodka-Ausgabe könnten beschränkt werden, zudem soll die Reklame für alkoholhaltige Getränke verboten werden, vor allem, wenn diese Jugendliche und Kinder anspricht, Psychologen und Reha-Zentren sollen eingerichtet werden, die Prophylaxe erhöht. Kritiker halten das Projekt für überfällig, aber die Ziele für ambitioniert. Das Unternehmen Rosspirtprom nämlich, das mit 100 Destillerien 40 Prozent des Marktes beherrscht, gehört - dem Staat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: