Alexander von Humboldt:Der forschende Baron

Alexander von Humboldt war auf vielen Feldern tätig. Seine eigentliche Bedeutung beginnt jedoch erst da, wo seine wissenschaftliche Leistung endet. Vor 150 Jahren starb der Naturforscher.

R. Friebe

In Berlin muss man sich manchmal auf die Spur der Verstorbenen machen, um einen ruhigen, friedlichen Ort zu finden. Einer davon liegt in Tegel, nahe am Flughafen und nur einen Steinwurf von der dichtbevölkerten Promenade am gleichnamigen See.

Alexander von Humboldt: Alexander von Humboldt: "Ich bin von exakten Zahlen besessen."

Alexander von Humboldt: "Ich bin von exakten Zahlen besessen."

(Foto: Foto: dpa)

Es ist ein Familiengrab, umgeben von Eichen, Ahorn und Nadelgehölzen, bewachsen mit struppigem Efeu. Vor einer von Friedrich Schinkel entworfenen Stele stehen dreiundzwanzig schlichte Grabsteine. Einer davon trägt den Namen Alexander von Humboldt und als Todesdatum in römischen Ziffern den 6.Mai 1859.

Es ist ein bemerkenswert schlichtes Grab für den Mann, der vor 150 Jahren, fast 90-jährig, gestorben ist. Nach ihm sind Gebirge, Gletscher, eine Meeresströmung und eine Senke auf dem Mond benannt. Pinguine, Affen und Prachtkäfer tragen seinen Namen ebenso wie Orchideen, Kakteen und eine Hefe.

Es gibt Humboldt-Schulen in allen Teilen Deutschlands, in Puebla/Mexiko, Caracas, Lima und Arcata/Kalifornien. Zu seinen Ehren vergibt eine Stiftung Forschungspreise und -stipendien. Sein Denkmal steht in Havanna, New York und Berlin. Simón Bolívar hat ihn als "wahren Entdecker Amerikas" gepriesen, eine französische Gedenkmedaille nannte ihn "Aristoteles der Neuzeit".

Und doch ist das Grab im Garten von Schloss Tegel vielleicht der beste Ort, dem gepriesenen Naturforscher zu begegnen. Die Nachfahren von Alexanders kaum minder bekanntem Bruder Wilhelm von Humboldt, auf den das deutsche Bildungsideal und die akademische Freiheit der Hochschulen zurückgehen, machen es der Öffentlichkeit auf zurückhaltende Art zugänglich.

Der schlichte Grabstein könnte als Denkmal für Alexander von Humboldts eigentliches Erbe stehen: Es zeigt sich in keiner konkreten Entdeckung - er hat sich Verdienste vor allem um die wissenschaftliche Arbeitsweise erworben.

Durch seine Methodik des genauen Dokumentierens und Vergleichens erhob er zahlreiche Wissensgebiete aus dem Status rein deskriptiver oder philosophischer Disziplinen zu systematischen Wissenschaften.

"Es ist meine Art, einen und denselben Gegenstand zu verfolgen, bis ich ihn aufgeklärt habe", beschrieb er selbst die kompromisslose Empirie, mit der er der Natur begegnete. "Ich bin von exakten Zahlen besessen."

Diese Tatsache geht beim Gedenken an Humboldt schnell verloren. Extrem vielfältig sind die Forschungen des am 14. September 1769 geborenen Wissenschaftlers. Am berühmtesten ist er sicherlich für seine selbstfinanzierte, fünfjährige Forschungsreise in Lateinamerika mit dem französischen Botaniker Aimé Bonpland.

Erlebnisse und Erkenntnisse

Er besuchte dort die heutigen Staaten Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Mexiko und Kuba, damals alle noch spanische Kolonien. Bei der nicht ganz geglückten Besteigung des erloschenen Vulkans Chimborazo in Ecuador erreichten die Forscher etwa 5600 Meter und beschrieben anschließend die Symptome der Höhenkrankheit.

Die Erlebnisse und Erkenntnisse wertete von Humboldt danach in 30 Bänden aus. Seine letzten Jahrzehnte widmete er dem "Kosmos", einer fünfbändigen Gesamtschau der physischen Wissenschaften.

Sein Einfluss reicht von der Geologie zu den Sozialwissenschaften und ist bis in die Gegenwart zu spüren. Manche Forschungsrichtungen hat er selbst begründet, zum Beispiel die Pflanzengeographie. In ihr beschreibt er den Einfluss von Umweltbedingungen wie Niederschlag, Temperatur, Bodenbeschaffenheit und anderen auf das Vorkommen von Pflanzen.

Auch für die Ökologie insgesamt, die erst viel später diesen Namen bekam, gilt er als Pionier. Stephen Jackson, Botaniker und Klimaforscher von der University of Wyoming, nennt ihn in der aktuellen Ausgabe von Science nicht nur den ersten vergleichenden Klimatologen, sondern den Begründer der Wissenschaft des physikalischen und biologischen Systems Erde überhaupt.

Nebenbei war er der erste, der Guano als Düngemittel in Europa einführte und die weltweite Erforschung des Erdmagnetfeldes initiierte. Er begründete die thematische Geographie, die Länderkunde, die Amerikanistik und war, durch seine Arbeiten über die Geschichte der Mathematik, auch Wissenschaftshistoriker.

Seine Zeitgenossen überschlugen sich mit Lob: "Dieser Mann vereint in sich eine ganze Akademie", sagt der französische Chemiker Claude Louis Berthollet. Thomas Jefferson sah in ihm "den bedeutendsten Wissenschaftler, den ich je getroffen habe". Und Johann Wolfgang von Goethe lobte: "Humboldt überschüttet uns mit geistigen Schätzen."

Bedeutung und Wirkung Humboldts

Doch der Naturforscher erntete nicht nur Beifall. Friedrich Schiller, dem Humboldt selbst sehr freundschaftlich verbunden war, schrieb einmal in einem Brief über ihn: "Trotz all seiner Talente und seiner rastlosen Tätigkeit wird er in seiner Wissenschaft nie etwas Großes leisten.

Alexander von Humboldt: Gebirge, Gletscher, eine Meeresströmung und eine Senke auf dem Mond sind nach Humboldt benannt sowie diverse Pflanzen und Tiere - darunter auch ein Pinguin.

Gebirge, Gletscher, eine Meeresströmung und eine Senke auf dem Mond sind nach Humboldt benannt sowie diverse Pflanzen und Tiere - darunter auch ein Pinguin.

(Foto: Foto: AP)

Er ist der nackte, schneidende Verstand, der die Natur, die immer unfasslich und in allen ihren Punkten ehrwürdig und unergründlich ist, schamlos ausgemessen haben will." Selten hat ein Dichter einen Denker so gescholten.

Schiller kritisierte vor allem Humboldts streng empirischen Ansatz, der genaues, nüchternes Messen und Vergleichen als Credo aller Wissenschaft ansah. Und er sollte mit seinen Worten ebenso recht behalten wie grandios falsch liegen.

Die tatsächliche Bedeutung Alexander von Humboldts und seine Wirkung bis in die Gegenwart hinein beginnen tatsächlich erst, wo seine konkreten wissenschaftlichen Leistungen enden. Diese Bilanz ist nämlich gar nicht so strahlend. Humboldt galt und gilt als einer der wichtigsten Forscher seiner Zeit, hat aber kein einziges Naturgesetz ergründet.

Seine größte Entdeckung in seinem Spezialgebiet Geographie war der Casiquiare-Kanal, und genau genommen hat er hier frühere Berichte bestätigt. Die Wasserstraße verbindet in Südamerika die Flusssysteme von Orinoko und Amazonas.

Allgemeine Verehrung

Aber wäre das - und ein paar Kisten mit Pflanzen- und Tierpräparaten - sein ganzer Beitrag gewesen, Alexander von Humboldt wäre heute eine Fußnote der Wissenschaftsgeschichte.

Es war die empirische Methodik des genauen Messens und Dokumentierens von Einzelphänomenen einerseits und des daraus abgeleiteten Blickes auf ein großes Ganzes andererseits, die ihn zu einem der wichtigsten Begründer der modernen Naturwissenschaft machten - ob es Leuten wie Schiller gefiel oder nicht. Und seine Amerika-Expedition wurde zum Vorbild aller großen wissenschaftlichen Reisen des 19.Jahrhunderts.

Charles Darwin etwa verehrte Humboldt, dessen Arbeit und dessen eindrückliche Beschreibungen der tropischen Natur zutiefst. Er nahm sich dessen Arbeitsweise auf seiner Reise mit der Beagle gut 30 Jahre später ausdrücklich zum Vorbild.

Diese allgemeine Verehrung schlug Humboldt schon zu Lebzeiten entgegen. Sie gipfelte in einem pompösen Trauerzug, den in Berlin eine ungeheure Menschenmenge sowie der preußische Regent und spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. verfolgten. Nicht allen Zeitgenossen war die Begeisterung geheuer.

Theodor Fontane zum Beispiel hat in einem Brief allen Humboldt-Biographen einmal "ewige Schönfärberei" vorgeworfen. Doch auch wenn Humboldt sich wissenschaftlich hier und da geirrt hat und wenn er als Hofwissenschaftler und Kammerherr zweier preußischer Könige vielen seiner Zeitgenossen politisch suspekt war, so gibt es doch aus heutiger Sicht kaum dunkle Seiten an ihm zu entdecken.

Nachwuchs-Förderung

Ein Aspekt seines Lebens wird ohnehin oft vergessen. Humboldt hat sich wie kein anderer für weniger bekannte Zeitgenossen eingesetzt, vor allem für Forscher, aber auch für Musiker, Künstler und politisch Benachteiligte, etwa jüdische Bürger.

"Wie viele kenne ich, die gleich mir die Erreichung ihrer wissenschaftlichen Ziele Alexander von Humboldts Schutze und Wohlwollen verdanken. Der Chemiker, Botaniker, Physiker, der Orientalist, der Reisende nach Persien und Indien, der Künstler, alle erfreuten sich gleicher Rechte", sagte der Chemiker Justus von Liebig.

Damit hat der forschende Baron ebenfalls Grundlagen für Neues in Kultur und Wissenschaft gelegt. Sie wirken bis heute nach - auch wenn das mit humboldtschen Methoden weder messbar noch vergleichbar ist.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: