Pünktlich um 13.12 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit soll der deutsche Astronaut Alexander Gerst am Mittwoch mit einer Sojus-Rakete von Baikonur in Kasachstan zur Internationalen Raumstation ISS aufbrechen. Dort - 400 Kilometer über dem Erdboden - wird der 42-Jährige sechs Monate lang leben, arbeiten und forschen. Bis es soweit ist, haben Gerst und seine Kollegen ein dichtes Programm zu absolvieren. Wenn alles nach Plan verläuft, sieht es so aus:
9 Stunden vor dem Start (4.12 Uhr Mitteleuropäische Sommerzeit, MESZ): Wecken, gefolgt von der normalen Morgenroutine.
etwa 8 Stunden vor dem Start (5 Uhr): Frühstück. Trotz des bevorstehenden Flugs ins All darf Gerst ganz normal frühstücken. Die einzige Regel laute "nicht übertreiben", sagt der belgische Astronaut Frank De Winne, Chef des Europäischen Astronautenkorps in Köln und - wie er sich selbst vorstellt - "Alex' Boss". Auf ihre Verdauung müssen die Raumfahrer ohnehin keine große Rücksicht mehr nehmen. Der Einlauf zur Darmentleerung, ähnlich wie er auch zur Vorbereitung einer Darmspiegelung eingesetzt wird, hat längst seine Arbeit getan.
etwa 7 Stunden vor dem Start (6 Uhr): Letzte Gesundheitsüberprüfung. Gerst muss auf die Waage, ein Arzt misst seine Körpertemperatur, schaut in Augen und Ohren, überprüft die Vitalfunktionen. Binnen zwei, drei Minuten ist alles erledigt. Anschließend bleibt dem Astronauten Zeit, sein Zimmer aufzuräumen, in dem er in den vergangenen zwei Wochen im Kosmonauten-Hotel von Baikonur gewohnt hat. Und er kann letzte persönliche Dinge für den Flug einpacken.
6 Stunden und 15 Minuten vor dem Start (6.57 Uhr): Große Verabschiedung. Gerst sowie seine Kollegen Sergej Prokopjew (Russland) und Serena Auñón-Chancellor (USA) sehen noch einmal ihre Ehefrauen, Ehemänner, Lebensgefährten. Auch die Ersatzcrew ist mit ihren Partnern zugegen, genauso wie Vertreter der russischen, europäischen und amerikanischen Raumfahrtagenturen. Jeder gibt einen kurzen Trinkspruch zum Besten, wünscht alles Gute. Angestoßen wird mit Champagner, tatsächlich getrunken wird nicht.
6 Stunden und 5 Minuten vor dem Start (7.07 Uhr): Alexander Gerst unterschreibt auf der Tür des Zimmers, in dem er die letzten Wochen geschlafen hat - eine der vielen Traditionen in Baikonur. Da das Kosmonautenhotel gerade renoviert wird, muss allerdings woanders eine Tür gesucht und die Szene nachgestellt werden. Egal, die Geste zählt.
6 Stunden vor dem Start (7.12 Uhr): Gerst und seine Kollegen verlassen das Kosmonautenhotel und steigen in einen umgebauten Reisebus. Zwei Minuten sind dafür vorgesehen.
5 Stunden und 58 Minuten vor dem Start (7.14 Uhr): Etwa 45 Minuten dauert die Fahrt auf das weitläufige Gelände des Kosmodroms. Die Straße ist holprig. Außer Steppe, Ruinen und mitunter ein paar Kühen oder Kamelen gibt es nichts zu sehen. Auf den Monitoren im Bus laufen daher Videogrüße, die für die Astronauten aufgezeichnet worden sind. Ein gut gemeinter Zeitvertreib. "Durch die vielen Zeremonien und vielen kleinen Schritte haben die Raumfahrer immer etwas tun und etwas zu sehen", sagt Frank De Winne. "Dadurch bleibt gar keine Zeit, um sich Sorgen zu machen oder nervös zu werden."
5 Stunden und 15 Minuten vor dem Start (7.57 Uhr): Geplante Ankunft am Gebäude MIK-254 - einem der vielen schmucklos grauen, äußerlich etwas heruntergekommenen Bauten auf dem Kosmodrom. Die Crew legt ihre blauen Overalls ab und zieht Unterwäsche an, die zuvor sterilisiert wurde. Wer will - oder unter einer schwachen Blase leidet - kann auch zu einer Windel greifen. Die sei allerdings "nicht vorgeschrieben", sagt Frank De Winne. Auch beim Kampf gegen Reise- und Raumkrankheit hat jeder Raumfahrer andere Vorlieben. Manche lassen sich Mittel spritzen, andere nehmen Medikamente mit für den Notfall oder unternehmen gar nichts. Wie es Alexander Gerst handhabt, fällt unter die ärztliche Schweigepflicht.
4 Stunden und 20 Minuten vor dem Start (8.52 Uhr): Gestärkt von Tee und Sandwiches (oder auch nicht, auch das macht jeder Astronaut individuell), zwängt sich Alexander Gerst in seinen dicken, harten und unbequemen Raumanzug, der ihm im Fall eines Druckverlusts während der Startphase das Leben retten soll. Er zieht Handschuhe an, schließt das Visier und überprüft, ob der Druck im Anzug innerhalb von 90 Sekunden den geforderten Mindestwert erreicht. Falls nicht, hat der Anzug höchstwahrscheinlich ein Leck und muss überprüft werden.
etwa 3 Stunden und 10 Minuten vor dem Start (10 Uhr): Die Verantwortlichen des Kosmodroms versichern der Crew, dass alles bereit ist für den Start: die Rampe, die Rakete, das Wetter, die Notfallpläne.proko
3 Stunden vor dem Start (10.12 Uhr): Die Crew verlässt in voller Montur das Gebäude MIK-254, salutiert vor den Verantwortlichen des Kosmodroms und sagt: "Wir sind bereit". Sie bekommt zu hören: "Vielen Dank. Wir pflichten bei. Sie dürfen starten." Vor vier Jahren, vor seinem ersten Flug zur Raumstation, konnte sich Gerst ein Grinsen dabei nicht verkneifen.
2 Stunden und 55 Minuten vor dem Start (10.17 Uhr): Es geht wieder in den Bus, dieses Mal Richtung Startrampe. Unterwegs wird manchmal ein kurzer Stopp eingelegt, um - weil das angeblich bereits Juri Gagarin, der erste Mensch im All, so gemacht hatte - an den rechten Hinterreifen des Busses zu urinieren. Die Entscheidung dazu obliegt der Crew.
2 Stunden und 35 Minuten vor dem Start (10.37 Uhr): Ankunft an Startrampe Nr.1, von der 1961 schon Juri Gagarin ins All abhob .
2 Stunden und 30 Minuten vor dem Start (10.42 Uhr): Letzte Verabschiedung am Fuß der "Sojus"-Rakete. Anschließend geht es mit dem Aufzug ganz nach oben an die Spitze der mehr als 40 Meter langen Rakete, wo die Raumkapsel für die drei Astronauten sitzt. Alexander Gerst steigt als Erster ein, nimmt die Computer in Betrieb, meldet sich bei der Bodenkontrolle. Es folgt Auñón-Chancellor.
1 Stunde und 45 Minuten vor dem Start (11.27 Uhr): Als letzter klettert Kommandant Prokopjew in die enge Kapsel und zieht die Luke hinter sich zu. Es folgen Tests aller Bordsysteme - Schritte, die hundertmal im Simulator geübt worden sind.
etwa 45 Minuten vor dem Start (12.27 Uhr): Sofern es keine Probleme gab, hat die Crew ihre Startvorbereitungen abgeschlossen. Damit sie sich nicht langweilt (und auf dumme Gedanken kommt), wird Musik eingespielt. Gerst hat sich unter anderem "Die Mensch-Maschine" der Elektropopgruppe Kraftwerk und "Heute hier, morgen dort" vom Liedermacher Hannes Wader ausgesucht.
5 Minuten vor dem Start (13.07 Uhr): Die Raumfahrer schließen die Visiere ihrer Helme. Es wird ernst.
5 Sekunden vor dem Start (13.12 Uhr): Die Triebwerke der Sojus erreichen ihren vollen Schub - 26 Millionen PS, wie Gerst immer gerne erzählt
Start (13.12 Uhr): Scheinbar gemächlich setzt sich die 310 Tonnen schwere Sojus in Gang, nimmt wenige Augenblicke später aber rasant an Fahrt auf. Verläuft alles wie geplant, hat Alexander Gerst bereits acht Minuten und 45 Sekunden später seine Umlaufbahn um die Erde erreicht.