Agrofotovoltaik:"Milchkühe sollen unterm Solardach weiden"

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Solarmodule brauchen viel Platz - doch was, wenn man die Fotovoltaik einfach mit der Landwirtschaft kombiniert? (Foto: picture alliance / Jan Woitas/dp)

Solarenergie liefert sauberen Strom, frisst aber viel Fläche. Am Bodensee wird nun an einer Lösung getüftelt - genannt "Agrofotovoltaik".

Von Michael Brüggemann

Adolf Goetzbergers Lebensthema erkennt man an der Krawatte: Von seinem Schlips leuchten gelbe Sonnen. "Solarenergie ist mein Hobby", sagt der 88-Jährige. Das ist sympathisch untertrieben: Goetzberger hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg gegründet und ist einer der weltweit bedeutendsten Solarpioniere. Bis vor wenigen Jahren radelte er noch jeden Vormittag zum Institut und forschte mit jungen Kollegen an Projekten. Auch jetzt ruft der pensionierte Physiker regelmäßig an. Ganz besonders interessiert ihn eine Idee, die er vor mehr als 30 Jahren hatte und die nun endlich ihren Durchbruch feiern könnte: Agrofotovoltaik.

1981 schlug Goetzberger vor, zwischen auf Ständern installierten Solarzellen Kartoffeln und Gemüse anzubauen. Doch seine visionäre Idee war ihrer Zeit voraus: Fotovoltaik gab es vor allem in der Weltraumtechnik, die Kosten waren extrem hoch. Heute stehen die Vorzeichen besser, die Investitionskosten für Fotovoltaikanlagen sinken kontinuierlich - laut dem Frauenhofer ISE seit 2006 um rund 13 Prozent pro Jahr und damit um insgesamt 75 Prozent. Nun wollen die Forscher des Fraunhofer ISE den Ansatz ihres Gründers umsetzen - gemeinsam mit Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie, Agrarexperten der Universität Hohenheim und weiteren Partnern. Im September 2016 wurde in Herdwangen-Schönach - zwölf Kilometer nördlich des Bodensees - die bundesweit erste Agrofotovoltaik-Anlage installiert, deren Bau und Betrieb parallel erforscht wird. Sie steht auf den Äckern der Hofgemeinschaft Heggelbach, einem Demeter-Ökohof, den fünf Familien und ein Landwirt bewirtschaften.

Vom Hof mit Stall, Käserei, Ferienwohnung, Kinder-Dreirädern und Hightech-Schleppern läuft man nur ein paar Schritte bis zum Versuchsacker. Das überdachte Feld ist 136 mal 25 Meter groß. Die Solarmodule sitzen in fünf Metern Höhe auf einer Stahlkonstruktion, unter der Früchte wachsen und Mähdrescher oder Traktoren passieren können. Im Schatten der Solarzellen will die Hofgemeinschaft in den kommenden zwei Jahren Kartoffeln, Weizen, Kleegras und Sellerie anbauen. "Auch Milchkühe sollen unterm Solardach weiden", sagt Demeter-Bauer Thomas Schmid. Winterweizen und Kartoffeln hat er schon gesät, im August wird das erste Mal geerntet.

Den erzeugten Solarstrom nutzt die Hofgemeinschaft etwa für Warmwasser, Heizung, Melkmaschine und Milchkühlung. Den Überschuss nimmt der regionale Ökostromanbieter Elektrizitätswerke Schönau ab. "Wir versuchen, möglichst viel selbst zu verbrauchen", sagt Schmid. Für ins Netz eingespeisten Solarstrom bekommt der Hof 5,5 Cent pro Kilowattstunde, zugekaufter Strom kostet 17 bis 20 Cent.

Die zweifache Ernte spart nicht nur Energiekosten, sondern auch Land: "Wenn wir den Ackerboden doppelt nutzen, sinkt der Flächenverbrauch", erklärt Stephan Schindele, Projektleiter Agrofotovoltaik beim Fraunhofer ISE. Der Diplom-Betriebswirt hat das Projekt am Schreibtisch geplant. Die Anlage brauche rund 70 Prozent weniger Fläche, um den gleichen Ertrag zu erzielen, als wenn Fotovoltaik und Gemüseanbau nebeneinander stattfinden. Agrofotovoltaik leiste damit einen Beitrag gegen die zunehmende Landverknappung. "In Deutschland werden pro Tag 69 Hektar Land für Gewerbeflächen, Wohnungsbau und Infrastruktur wie Straßen verbraucht - das entspricht etwa 100 Fußballplätzen. Zudem beansprucht der Anbau von Energiepflanzen riesige Flächen", weiß Schindele.

2015 wurden 18,5 Prozent der Ackerflächen zur Produktion von Agrarrohstoffen wie Biodiesel, Ethanol und Biogas verwendet. Wo viel Sonne scheint, bedecken zudem oft Solarparks die Felder. So bleiben immer weniger Äcker für den Anbau von Nahrung übrig. Damit sich dieser Konflikt nicht weiter verschärft, wurde der Ausbau der Freiflächenanlagen erstmal gestoppt: Seit 2010 wird für Fotovoltaikanlagen auf Ackerflächen keine Einspeisevergütung mehr gezahlt. Einzig für Äcker unmittelbar neben Autobahnen oder Schienenwegen gibt es noch Geld.

Doch die Energiewende erhöht den Druck auf den ländlichen Raum: Nach den Plänen der Bundesregierung soll der Stromanteil aus erneuerbaren Energien von derzeit rund 30 Prozent bis 2050 auf 80 Prozent steigen. Dabei soll Fotovoltaik eine wichtige Rolle spielen. Aber längst nicht alle Dächer, die dafür geeignet sind, tragen Solarmodule. Kleine "Aufdachanlagen" sind relativ teuer, Freiflächenanlagen versiegeln die Landschaft und beanspruchen Ackerland. Durch Agrofotovoltaik könnten Anlagen entstehen, ohne dass der Landwirtschaft Böden verlorengehen, sagt ISE-Forscher Schindele: "Wir heben die Konkurrenz zwischen Solarenergie und Nahrungsmitteln auf und erschließen neue Flächen für die Energiewende."

Für Agrofotovoltaik geeignete Äcker seien zur Genüge vorhanden: Allein in Deutschland liege das Potenzial bei 53 Gigawatt, schätzen die Forscher des Fraunhofer ISE. Zum Vergleich: Ende 2014 waren bundesweit rund 39 Gigawatt Fotovoltaikleistung installiert, davon neun Gigawatt auf Acker- und Konversionsflächen, also ehemaligen, brachliegenden Militär-, Industrie- und Gewerbeflächen. Klar ist aber auch: Agrofotovoltaikanlagen im großen Stil würden die Landschaft verändern.

In der Hofgemeinschaft gab es anfangs viele Diskussionen, ob nachhaltige Landwirtschaft und Fotovoltaik auf dem Acker zusammenpassen. "Es bleibt ein Eingriff in die Natur. Aber wir finden die Grundidee sinnvoll und wollen es testen", sagt Biobauer Thomas Schmid. Berührungsängste mit erneuerbaren Energien haben die Hofbewohner nicht: Auf den Hofdächern werden seit Jahren mit Fotovoltaikanlagen Solarerträge erwirtschaftet. Ein mit einem Blockheizkraftwerk kombinierter Holzvergaser erzeugt Strom und Wärme aus hofeigenen Hackschnitzeln. Nun also Agrofotovoltaik. "Wir sehen das pragmatisch: Irgendwo muss der Strom ja herkommen. Atomkraft und Windräder wollen wir nicht, also brauchen wir Alternativen."

Starke Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energieproduktion

Für die Bodenseeregion ist die Suche nach regenerativen Energiequellen ein Muss. Noch ist die Gegend zur Hälfte von Atomstrom abhängig. "Wir hängen an Atomkraftwerken wie Philippsburg und Gundremmingen, die spätestens 2022 vom Netz gehen", sagt Wilfried Franke, Direktor des Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben. Woher soll der Strom dann kommen? "Entweder wir werden immer abhängiger von Produzenten, die weit weg sind, oder wir versuchen, zumindest einen Teil selbst zu erzeugen", so Franke. Doch das ist gar nicht so einfach: "Die Biogasproduktion können wir kaum noch erhöhen. Schon jetzt ist die Konkurrenz zwischen Nahrungsmittel- und Energieproduktion auf den Äckern groß." Windkraft? "Wollten wir massiv ausbauen, doch es fehlt an Akzeptanz." Seit Jahren wehren sich die Bürger am Bodensee gegen eine "Verspargelung der Landschaft".

Bleibt Fotovoltaik. Die Bodenseeregion ist eine der sonnenreichsten Gegenden Deutschlands. "Wir haben schon viele Dächer bestückt, aber es reicht nicht", sagt Wilfried Franke. Herkömmliche Freiflächenanlagen sind für ihn keine Alternative: "Es macht keinen Sinn, Ackerflächen in ein Meter Höhe zu überdeckeln und darunter keine Nahrung mehr produzieren zu können." Mit Agrofotovoltaik ließe sich das Problem lösen. Doch erstmal muss die Anlage in Heggelbach den Feldtest bestehen. Viele Fragen sind offen: Lässt das Solardach genug Regen durch? Wie entwickeln sich die Erträge? Kommen die Pflanzen mit dem Halbschatten klar? Direkt neben der Versuchsanlage haben die Forscher ein gleich großes Referenzfeld mit identischer Bepflanzung, aber ohne Solarmodule angelegt. So können sie die Ernteergebnisse direkt vergleichen.

Heggelbach ist auch in dieser Hinsicht ein bislang einmaliges Experiment. Zwar wachsen auch in Frankreich, Italien, Japan oder China Pflanzen unter Solarmodulen. Weltweit gibt es mittlerweile rund 50 Agrofotovoltaikanlagen, schätzt das Fraunhofer ISE. Sie schützen Weinreben vor Hitze, beschatten Kohl, Weizen, Tomaten und Zitrusfrüchte. Doch keines dieser Felder wird so umfassend wissenschaftlich begleitet.

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ISE-Forscher Stephan Schindele ist zuversichtlich, was die Ente unter den Solarmodulen angeht: Studien im Vorfeld ergaben, dass das Wachstum vieler Arten durch eine geringe Beschattung nicht beeinflusst wird. Nur bei Pflanzen mit hohem Lichtbedarf wie Mais sinke der Ertrag. "Manche Feldfrüchte wie Kartoffeln oder Zwiebeln wachsen im Schatten sogar besser."

Damit die Pflanzen genug Licht bekommen, hat er 60 Prozent mehr Abstand zwischen den Solarmodulen eingeplant als bei üblichen Freiflächenanlagen. Sogenannte bifaziale Fotovoltaikmodule, die beidseitig Sonnenenergie in Strom umwandeln, verteilen zudem das Licht gleichmäßig unter der Anlage. Landwirt Thomas Schmid war auch wichtig, dass die schweren Baufahrzeuge seinen Acker bei Regen nicht schädigen. Daher wurde eine zentrale Baustraße errichtet und die Anlage von dort aus montiert. Statt auf Betonfundamenten stehen die Stützen auf sogenannten Spinnankern: Die acht Meter langen Eisenstäbe lassen sich bei einer Demontage der Anlage rückstandslos aus dem Boden ziehen.

Schmid stellt sich zudem ganz praktische Fragen: Wie erntet man mit breiten Landmaschinen zwischen hohen Stahlpfosten? "Ich werde langsamer und vorsichtiger fahren müssen, um nicht an einem Pfosten hängenzubleiben. Bei Getreide geht das, aber bei Kartoffeln, wo ich oft rangieren muss, wird es aufwendiger."

Trotzdem wollen es die Heggelbacher probieren und sie dürften nicht die einzigen bleiben: Die Forscher vom Fraunhofer ISE wollen die Technik auch an anderen Kulturen wie Weinreben, Obst oder Hopfen testen. Ob sich Obstanbau und Fotovoltaik vereinen lassen, könnte ein zweites Pilotprojekt am Bodensee zeigen. Auf einer Forschungsanlage auf dem Gelände des Kompetenzzentrums Obstbau-Bodensee (KOB) will das ISE mit Forschungspartnern herausfinden, wie Apfelbäume unter Solarmodulen wachsen. Bislang ist es nur eine Projektskizze, die Testanlage ist noch nicht genehmigt. Eines aber steht fest: Das Potenzial wäre gewaltig.

"Immer mehr Äpfel bekommen Sonnenbrand"

Denn die Bodenseeregion ist eines der wichtigsten Obstanbaugebiete Deutschlands, allein der Apfelanbau umfasst 7000 Hektar und etwa 1600 Betriebe. Doch die Obstbauern haben immer öfter mit dem Klimawandel zu kämpfen. "Es gibt mehr Hagel als vor 50 Jahren, lang anhaltende Hitzeperioden, sintflutartige Regenfälle", sagt Ulrich Mayr, stellvertretender Geschäftsführer des KOB: "Äpfel müssen jedoch makellos sein, sonst kauft sie der Verbraucher nicht. Eine leichte Delle reicht, schon ist es Mostobst." Deshalb spannen die Obstbauern seit fast 20 Jahren Hagelnetze über ihre Apfelbäume, um sie vor Hagelkörnern und inzwischen auch vor erhöhter UVB-Strahlung zu schützen. "Immer mehr Äpfel bekommen Sonnenbrand: Die Schale hellt erst auf, wird dann braun und ledrig und springt schließlich auf. Zwar verheilt die Wunde, aber den Apfel können wir nicht mehr verkaufen."

Die Hagelschutznetze überdecken inzwischen etwa die Hälfte der Apfelanbauflächen in der Bodenseeregion. Kein schöner Anblick, aber bislang gibt es keine Alternative. Doch wenn die Flächen ohnehin "überdacht" werden müssen, könnte man statt Hagelnetzen nicht auch Solarmodule oder sogar biegsame organische Solarzellen als Schutz verwenden? Das wollen die Forscher testen und herausfinden, unter welchen Bedingungen sich Apfelbäume unter Fotovoltaikanlagen wohlfühlen.

Den dabei erzeugten Strom könnten die Obstbauern gut gebrauchen. Besonders zum Kühlen der Äpfel benötigen sie viel Energie. Manche Sorten werden von September bis spätestens Juni in einem großen Kühlschrank bei drei Grad Celsius in "Tiefschlaf" versetzt, damit die Verbraucher das ganze Jahr über knackig-frische Ware bekommen. Mit Agrofotovoltaikanlagen ließen sich die Energiekosten zumindest teilweise decken und die Ökobilanz der Äpfel verbessern - wenn sie statt mit Kohle- oder Atomstrom mit selbst erzeugtem Solarstrom gekühlt würden.

Die Obstbauern könnten ihre Solardächer zudem an Hausbesitzer verpachten, den erzeugten Strom ins Netz einspeisen oder damit elektrische Mähroboter antreiben: selbstfahrende Geräte, die unter den Apfelbäumen alle drei bis vier Wochen mähen und den Mulch zerkleinern. Bislang müssen die Obstbauern diesen zeitintensiven Job selbst mit Traktor und Mulcher erledigen. Statt schweren Spritfressern würden kleine, solarbetriebene Roboter die Bodenpflege übernehmen: Energiepionier Adolf Goetzberger würde dies sicher gefallen.

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