Agrarwende:So könnte die Landwirtschaft in Deutschland überleben

Getreideernte in Niedersachsen

Weit und breit nichts anderes als Getreide: Experten warnen davor, die eintönige Kultivierung der deutschen Äcker fortzusetzen.

(Foto: dpa)
  • Seit Jahren ist von einer notwendigen Wende in der Landwirtschaft die Rede, passiert ist bislang wenig.
  • Die Probleme liegen längst nicht nur auf den Äckern, sondern werden auch von den Verbrauchern verursacht.
  • Eine der wichtigsten Maßnahmen wäre, weniger Fleisch zu essen.

Von Kathrin Zinkant

Ein paar Tage noch, dann wird das Schlimmste überstanden sein. Für die zweite Wochenhälfte ist kräftiger Regen in Deutschland angesagt, auch ein wenig kühler soll es werden. Die Bauern werden trotzdem kaum durchatmen können. Zu groß sind die Schäden durch Hitze und Trockenheit. Zu drängend ist die Frage, wie es weitergehen soll. Die Dürre dieses Sommers, das bestätigen Klimawandel-Experten, wird kein Einzelfall bleiben. Und das Wort Nachhaltigkeit steht wieder im Raum. Denn war da nicht was? Sollte die deutsche Landwirtschaft nicht längst besser angepasst sein an die Umwelt - und damit auch an die Launen des Klimas?

"Wir reden seit vielen Jahren von der Agrarwende", sagt Frank Ewert, der im brandenburgischen Müncheberg das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung leitet. Getan habe sich allerdings wenig. "Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland gerade erst wegen eines Verstoßes gegen die Nitratverordnung verurteilt, der Pestizidabsatz ist nicht zurückgegangen, und es mehren sich Belege, dass Vögel und Insekten durch die Praktiken in der Landwirtschaft dezimiert werden." Der Agrarwissenschaftler mahnt an, dass endlich alle Akteure mit ins Boot kommen müssten. "Wir brauchen eine flächendeckende nachhaltige Landwirtschaft", sagt Ewert. Wie aber geht man ein Problem an, das längst hätte angepackt werden können und das sich durch die Folgen des Klimawandels jetzt noch verschärft?

Einfach wird das nicht, das war schon immer klar. Das Problem hat Experten zufolge viele Schrauben, an denen zu drehen wäre - auch in Bereichen, die Verbrauchern wohl nicht als Erstes einfallen. Technologie, Sozioökonomie oder Dienstleistungen, zum Beispiel. Aber auch Flächennutzung und Konsum. "Man kann nicht einfach losgehen und nur an einer Stelle etwas ändern", sagt Frank Ewert. "Es geht darum, das System in seinen Zusammenhängen zu verstehen." Nachhaltigkeit habe deshalb nicht nur die Dimension Umwelt. "Nachhaltige Landwirtschaft muss auch sozial gerecht und ökonomisch machbar sein."

Ähnlich beschreiben es andere Fachleute. "Nachhaltigkeit definiert sich am besten über die drei Begriffe Effizienz, Konsistenz und Suffizienz", sagt Urs Niggli, Direktor am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FIBL) im schweizerischen Frick. Bei der Effizienz gehe es darum, mit geringem Ressourcenverbrauch und geringer Umweltbelastung zu produzieren, dazu werde viel geforscht. Konsistenz habe dagegen qualitative Ziele, zum Beispiel Stoffkreisläufe, aber auch regionale und standortbezogene Produktion. "Hier ist der Biolandbau in der Regel stark." Entscheidend ist Nigglis Ansicht nach aber, dass die Menge der Produkte nicht den Bedarf überschreitet, Lebensmittel also vollständig verwertet werden können. "Diese sogenannte Suffizienz fordert Mäßigung", sagt der Forscher. Mit Blick auf die Landwirtschaft betrifft das vor allem die Ernährung, insbesondere den Konsum von Fleisch. Das sieht nicht nur Niggli so.

"Die konventionelle Produktion von Fleisch ist fast vollständig von Nutzflächen wie Weideland entkoppelt", sagt Kristina Bette vom Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie im sauerländischen Schmallenberg. Das heißt: Während sich die Tiere in Großmastbetrieben drängen, sind andere Landwirte damit befasst, das Futter für diese Tiere zu produzieren. "Deutschland ist weltweit einer der größten Exporteure von Schweinefleisch, und das, obwohl seine Ackerfläche vergleichsweise klein ist." Für Tierfutter würden enorme Flächen verbraucht, zunehmend auch in anderen Ländern, die Futter nach Deutschland liefern. Ein Abschied von der Massentierhaltung und ein reduzierter Fleischkonsum seien unumgänglich.

In einem Punkt sind sich die Experten einig: Die Verbraucher müssen weniger Fleisch essen

Dazu kommt, dass auch die Gülle aus der Tierhaltung irgendwohin muss. "Mischbetriebe mit Acker- und Viehwirtschaft können ihre Gülle weitestgehend selbst verwerten", sagt Ewert. Außerdem sei durch regionale Netzwerke, in denen die Gülle aus den Ställen auf ackerbauliche Betriebe verteilt wird, viel zu erreichen. Natürlich funktioniere das nur, wenn sich der Umfang von Tierhaltung und Fleischverzehr in Maßen halte.

Es gibt weitere wichtige Schrauben. Dazu gehört, dass die Landwirtschaft dringend vielfältiger und flexibler werden muss. "Diversifizierung" nennt Agrarwissenschaftler Ewert das. Gemeint ist, dass der großflächige Anbau von Major Crops, also Hauptanbaukulturen, einer standortspezifischen, an Boden und Witterung angepassten Bewirtschaftung mit unterschiedlichen Feldfrüchten weicht. Klingt simpel, ist aber eine große Hürde: Getreide, Futtermais und Raps nehmen in Deutschland drei Viertel der Ackerflächen ein. Andere Pflanzen wie Kartoffeln, Hafer, Hirse haben an Bedeutung verloren. Auch Hülsenfrüchtler wie Lupine oder Luzerne, die Stickstoff im Boden binden, spielen im Vergleich eine marginale Rolle.

Der Kraftakt, sich von dieser Eintönigkeit auf dem Acker zu lösen, hätte viele Vorteile, auch mit Blick auf den Klimawandel. So bleibt die Fruchtbarkeit der Böden durch häufige Wechsel der angebauten Pflanzen besser erhalten. "Dazu kommt, dass innerhalb eines größeren Spektrums von Fruchtarten einige der angebauten Pflanzen jeweils besser an die jeweilige Witterung angepasst sein werden", sagt Ewert. Das Risiko der Bauern würde gestreut. Das beträfe auch den Befall mit Schädlingen, die unter den neuen Klimabedingungen leichtes Spiel in den großen Kulturen haben - und von denen immer neue auftauchen. Ein Beispiel sind Pilze, die den Weizen befallen. Ihre Zahl und Verbreitung nimmt dank der milden Winter zu.

"Vielfalt kann man schützen, indem man sie nutzt"

Die Bauern müssen also kleinteiliger wirtschaften, auch um der Vielfalt willen. "Vielfalt kann man schützen, indem man sie nutzt", sagt Kristina Bette. Dass manche Pflanzen überhaupt noch da sind, sei in vielen Fällen den kleinen, mittelständischen Pflanzenzüchtern zu verdanken. Es wird zwar keine Lösung sein, nur noch alte Kartoffelsorten oder Getreide anzubauen. Die genetische Ressource der oft sehr robusten, gegen Krankheiten und Witterungen beständigen Sorten ist für die Züchtung aber von unschätzbarem Wert.

Zugleich stellt sich die Frage, wofür die Flächen genutzt werden. Viele dienen nicht einmal mehr der indirekten Nahrungsmittelproduktion von Fleisch, sondern der Produktion von Biosprit. "In Zeiten der Bioökonomie verschärft sich die Konkurrenz um die begrenzten Flächen", sagt Kristina Bette. Sie sieht aber nicht nur in der Konkurrenz zwischen Mensch, Vieh und Auto ein Problem. Immer mehr Fläche wird versiegelt, um Solaranlagen aufzustellen, Industrien anzusiedeln, Wohnraum zu schaffen. "Wenn die Fläche knapp ist, wird die Bodenanpassung an verschiedene Ackerfrüchte umso wichtiger", sagt Bette.

Wirklich effizient wird sie aber nur mithilfe der Digitalisierung sein. Landwirtschaft 4.0, Precision oder Smart Farming lauten die Stichworte. Dank GPS und aufwendiger Sensorik können moderne Landmaschinen heute selbst kleine Flurstücke individuell bewirtschaften und Dünger wie Pflanzenschutzmittel exakt dosieren. "Diese Systeme bestimmen punktgenau, wie der Boden beschaffen ist, sie können Hanglagen erkennen und den Bedarf einzelner Pflanzen an Nährstoffen messen", sagt Bette. Auch ein kleinteiliger sogenannter Streifen- oder Konturanbau werde möglich.

"Die Digitalisierung der Landwirtschaft sollte in der öffentlichen Hand bleiben."

Doch bislang sind es vor allem große Konzerne wie Monsanto oder BASF, die solche Systeme mit dem nötigen Tempo entwickeln und im Paket mit Saatgut und Pestiziden anbieten. Dabei gibt es längst Bestrebungen, Geodaten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen und Open-Source-Lösungen zu schaffen, die nach Bedarf und ohne Abhängigkeiten von den Bauern genutzt werden können. "Wir müssen diese Chance nutzen", sagt Kristina Bette. "Die Digitalisierung der Landwirtschaft sollte in der öffentlichen Hand bleiben."

Es ist auch mehr Forschung nötig, um zu sehen, wie man an all den Schrauben am besten dreht. Zumal sich ein Großteil der Wissenschaft derzeit auf den Acker konzentriert, nicht aber auf den Verbrauch. Niggli nennt ein Beispiel. "Wir haben kaum Wissenschaftler, welche sich mit der Vermeidung oder der Nutzung von Lebensmittelabfällen beschäftigen", sagt der Biolandbau-Experte. Er glaubt, dass sich Konzepte und Lösungen entwickeln ließen. "Wie zum Beispiel die Veredlung von Lebensmittelabfällen mithilfe von Insektenlarven zu vollwertigem Futterprotein als Sojaersatz."

Dass es an der Forschung liege, wenn nichts passiert, kann Niggli jedoch nicht erkennen. "Was grundsätzlich ein Problem ist: Wir wissen schon sehr viel, aber die Politik ist meist nicht mutig, neue Wege zu gehen", stellt Niggli fest. "Mehr Forschung zu fordern, ist oft auch eine Ausrede dafür, dass man nicht handeln muss."

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