Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Mit Maske im Urwald

Immer wieder infizieren sich Affen mit menschlichen Viren - und sterben. Primatenforscher weltweit versuchen nun verzweifelt, die Tiere vor Sars-Cov-2 zu schützen.

Von Ann Gibbons

Vor sieben Jahren verbreitete sich ein Atemwegsvirus in einer Gruppe von 56 Schimpansen im Kibale-Nationalpark in Uganda. Mehr als 40 Affen wurden krank, fünf starben. "Die Schimpansen lagen wie schlaffe Puppen auf dem Waldboden", erinnert sich Tony Goldberg, Krankheitsökologe an der amerikanischen University of Wisconsin-Madison. Sie husteten und schnupften, es ging ihnen sehr schlecht. "Es war einfach schrecklich", sagt Goldberg.

Was war die Ursache? Es war das Rhinovirus C, ein gewöhnliches Erkältungsvirus des Menschen. Wissenschaftler fanden das heraus, indem sie Proben von einem jungen Schimpansen untersuchten, der an dem Erreger gestorben war. Goldberg ist sich "zu 100 Prozent sicher", dass das Virus von einem Menschen auf die Tiere übertragen wurde - einem Touristen vielleicht, einem Wissenschaftler, einem Arbeiter oder einem Bewohner des in der Nähe gelegenen Dorfes.

Das Virus würde jene Populationen treffen, die ohnehin schon stark dezimiert sind

Respiratorische Viren des Menschen seien schon jetzt die häufigste Todesursache bei den Schimpansen im Kibale- und im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania, wo einst auch Jane Goodall gearbeitet hat, schreibt Goldberg in einer Studie. Jetzt, da das neue Coronavirus den gefährdeten Affen in Afrika und Asien immer näher kommt, machen sich Wissenschaftler und Veterinärmediziner Gedanken darüber, wie sie die Affen schützen können, genauso wie die Menschen vor Ort. Um den Kontakt mit den Affen zu reduzieren, sperren sie die Reservate in Zusammenarbeit mit Ortsansässigen und Regierungsvertretern ab. Außerdem tragen sie Masken, wenn sie im Wald unterwegs sind.

Nach einer Studie, die am 11. April auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlicht wurde, ist der Rezeptor ACE-2, den das neuartige Coronavirus beim Menschen nutzt, um in die Zellen einzudringen, bei Affen nahezu identisch aufgebaut. Das macht es wahrscheinlich, dass die Tiere infiziert werden können.

Und wenn das Virus erst einmal in einer Affengemeinschaft drin ist, wird es so gut wie unmöglich sein, es aufzuhalten. "Gorillas können innerhalb ihrer Gruppe keinen Abstand halten", sagt Tara Stoinski, Primatenforscherin beim Dian Fossey Gorilla Fund. "Wir können sie auch nicht beatmen. Ich bin sicher, dass die Todesrate gigantisch hoch sein wird."

Das Virus würde Populationen treffen, die ohnehin schon stark dezimiert sind. Unter den Schimpansen im Nationalpark Taï an der Elfenbeinküste haben Wissenschaftler seit 1999 schon öfter Ausbrüche von Viren und Streptokokken festgestellt - einschließlich eines menschlichen Coronavirus Anfang des Jahres 2017. Bei jeder Krankheitswelle sei etwa ein Viertel der Schimpansen gestorben, sagt Roman Wittig, Primatenforscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Die Krankheiten sowie die Jagd auf die Tiere und der Verlust von Lebensraum haben die Zahl der Schimpansen im Taï-Wald von 3000 im Jahr 1999 auf 300 bis 400 heute schrumpfen lassen, sagt der Experte.

Nach einer Studie, erschienen im Fachjournal Frontiers in Public Health, verursachen Atemwegsviren bis zu 20 Prozent der plötzlichen Todesfälle bei Berggorillas, von denen es nur noch 1063 gibt. Die Hälfte von ihnen leben im Bwindi-Impenetrable-Nationalpark in Uganda, den jedes Jahr 40 000 Touristen besuchen. Nach der im Februar erschienenen Studie hielten sich 98 Prozent der beobachteten Touristengruppen nicht an die Regel, sieben Meter Abstand zu den Gorillas zu halten. Zudem versuchen erkältete Touristen immer wieder, ihre Krankheit zu verstecken, damit sie vom Besuch bei den Affen nicht ausgeschlossen werden, sagt Gladys Kalema-Zikusoka, Tierärztin im Nationalpark.

Forscher könnten bei den Affen schlafen, um sie vor Leoparden oder Jägern zu schützen

Primatenforscher befürchten, dass das neue Coronavirus ähnlich verheerend wüten könnte - oder noch schlimmer. Hunderte von Forschern, Umweltschützern und Tiermedizinern haben sich deshalb kürzlich virtuell versammelt, um über Strategien zum Schutz der Affen zu beraten. Überall in Afrika haben die Regierungen bereits den Tourismus eingestellt. Im Bwindi-Nationalpark hat Kalema-Zikusoka 130 Wildhüter darin geschult, das Coronavirus von den Gorillas fernzuhalten und Anzeichen der Krankheit zu erkennen.

Im Taï- und im Kibale-Nationalpark müssen Forscher, die die Affen beobachten wollen, zuvor bis zu 14 Tage in Quarantäne. Sie müssen sich umziehen und Fieber messen, bevor sie in den Wald gehen. Zudem tragen sie Masken und halten Abstand zu den Affen. Im Nationalpark Taï untersuchen die Wissenschaftler sogar den Kot der Schimpansen auf das neue Coronavirus und andere Erreger, sagt Wittig.

Falls die Präventionsmaßnahmen nicht greifen sollten und die Affen krank und zu schwach werden, um in ihre Schlafnester in den Bäumen zu klettern, könnten die Forscher in ihrer Nähe schlafen, um sie vor Leoparden oder Jägern zu schützen, sagt Wittig. Es gebe aber keine Pläne, kranke Tiere zu isolieren oder zu behandeln.

Alle Teams arbeiten mit den Menschen vor Ort zusammen, um sie dazu zu bringen, sich von den Affen fernzuhalten. Um die Jagd überflüssig zu machen, bieten manche Forscher der lokalen Bevölkerung Ziegen an, oder sie zeigen den Menschen, wie man Kaffee oder andere rentable Pflanzen anbaut. Im Lomami-Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo mussten Wissenschaftler ein Bonobo-Weibchen vertreiben, das sich angewöhnt hatte, ein nahegelegenes Dorf aufzusuchen.

Man muss sich aber nicht nur um die Affen in Afrika Sorgen machen. Auf der indonesischen Insel Sumatra haben Mitarbeiter des Sumatran Orangutan Conservation Programme etwa 300 Orang-Utans angesiedelt, die zuvor in Gefangenschaft gelebt hatten. Die Affen bewohnen zwei Waldgebiete, in denen es keine wilden Orang-Utans gibt. Ian Singleton, Direktor der Organisation, hofft, dass die Aufteilung der Tiere in zwei Populationen die Chancen der Affen erhöht, dem Virus und anderen Gefahren zu entkommen.

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: tiba.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4902183
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.