Äthiopien:Das Wetter wird zur Dauerkrise für Millionen

Äthiopien ringt mit der schwersten Trockenheit seit 30 Jahren, Millionen sind von Hunger bedroht. Der Gegner wird stärker: Das Land kämpft nicht gegen die Dürre, es kämpft gegen den Klimawandel.

Von Tobias Zick, Semera/Ebenat

Sie rührt mit einem Holzstiel durch den Brei, der im Blechtopf auf den glühenden Kohlen dicke Blasen wirft: Schulspeisung für die Kinder, die im löchrigen Schatten einer Akazie das Zählen lernen. Wie nennt man dieses traditionelle Gericht? "Pharmax", sagt die Frau ohne aufzublicken. Ein eiweißreicher Brei, im Labor aus Mais und Soja komponiert, um Menschen in Not vor dem Verhungern zu bewahren. Nicht gerade das klassische Lebens-Elixir einer stolzen Nomadin. Aber bis auf Weiteres das Einzige, was ihr und ihren Kindern bleibt.

Daba, eine Ansammlung von halbkugelförmigen Hütten, im Nordosten Äthiopiens. Mayram Adowe, 43 Jahre alt, vom Volk der Afar, gießt ein wenig Wasser auf die Pampe in dem Topf, stampft und rührt weiter. "Nur Gott weiß, warum er uns keinen Regen mehr geschenkt hat", sagt sie. Eine magere Ziege schleckt an den Breiresten in einem Topf herum. Die Tiere sind für die Afar Lebensgrundlage, Reichtum und Stolz. 55 Ziegen hatte Mayram Adowe vor acht Jahren, vor einem Jahr waren es noch 20, fünf davon sind ihr jetzt geblieben. Sie sind dünn und schwach, und deshalb gibt es für ihre Kinder seit Monaten keine Milch mehr, nur noch diesen Brei, angerührt aus dem Pulver, das die Regierung hin und wieder bringt.

Äthiopien, Dürre, hungernde Kinder: ein Dreiklang, der seit der Katastrophe der Achtzigerjahre das Zerrbild dieses Landes prägt. In der Dürre von 1984/85 starben mindestens eine halbe Million Menschen, und der irische Musiker Bob Geldof fand darin einen neuen Lebenssinn: Wohltätigkeits-Pop. Seine gesungene Mitleidsfloskel "Do they know it's Christmas?" (Wissen sie überhaupt, dass Weihnachten ist?) wurde zu einer der meistverkauften Singles aller Zeiten. Ungeachtet der Tatsache, dass allein schon die Frage eine Anmaßung ist. Äthiopien war schon christlich, als die Vorfahren der Charity-Barden noch durch die Sümpfe Mitteleuropas marodierten.

Afrika bekommt die Folgen von El Niño zu spüren

Das Massensterben in den 1980er-Jahren, da sind sich die meisten Experten einig, war vor allem menschengemacht. Das damalige Militärregime lenkte Geld, das für die Nothilfe dringend gebraucht worden wäre, in einen Bürgerkrieg im Norden, wo sich später die Provinz Eritrea abspaltete. Die politische Lage ist heute eine andere, ein Massensterben ist bislang ausgeblieben. Dabei wird die Trockenheit dieser Saison als die schlimmste seit Jahrzehnten in die Geschichtsbücher eingehen.

Als Hauptschuldigen haben die Wetterforscher das Phänomen "El Niño" ausgemacht. Eine alle paar Jahre auftretende warme Meeresströmung vor der südamerikanischen Pazifikküste, die diesmal so stark ausgefallen ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Folgen hat vor allem das östliche und südliche Afrika zu tragen: In vielen Ländern sind Ernten verdorrt und Tiere verdurstet, während anderswo extremer Regen Dörfer und Felder überschwemmt hat. Mehr als 50 Millionen Afrikaner sind von Hunger bedroht, mindestens 18 Millionen davon in Äthiopien.

Um nach Daba zu kommen, das Dorf der Hirtin Mayram Adowe, muss man vom nächstgelegenen Städtchen drei Stunden mit dem Geländewagen durch trockene Flussbetten und über scharfes Vulkangestein kriechen. Die Fahrt vermittelt einen Eindruck davon, wie sehr das Wetter zuletzt verrückt gespielt hat. In der Ebene hat es über Nacht so heftig wie nie geregnet. In der Morgensonne spiegeln sich kilometerweite Flächen knietiefen, stehenden Wassers. Eine halbe Stunde weiter, auf einer Anhöhe: eine staubtrockene Vertiefung. Das war mal ein kleiner Stausee, angelegt von der Deutschen Welthungerhilfe. Wo noch vor ein paar Monaten das sonnenwarme Restwasser stand, ist der Boden so dürr, dass man mit den Schuhen in den Rissen zwischen den Erdschollen versinkt.

Für Mayram Adowe kommt der Regen so oder so zu spät: "Selbst wenn wir jetzt bald wieder genug Wasser haben sollten", sagt sie, "meine Tiere, die das Wasser trinken und das Gras fressen könnten, sind weg." Die Dürre dieses Jahres, das sagt auch Mohammed Sadik, einer der Clan-Ältesten, sei verheerender als jene in der historischen Katastrophensaison 1984/85: "Das war damals ein schlimmes Jahr, danach folgten mehrere gute." Seit acht Jahren aber sei nun immer mindestens eine der beiden Regenzeiten des Jahres viel schwächer ausgefallen als gewohnt. "Das Klima ändert sich", sagt Sadik, auch wenn er mit Begriffen wie "El Niño" oder "Erderwärmung" nichts anzufangen weiß.

Manche halten die Dürre für eine Strafe Gottes

Weiterfahrt nach Amhara, in die Berge des Nordwestens. Täler, in denen Ochsen Holzpflüge ziehen und Zentimeter für Zentimeter die von Steinen durchsetzte Krume aufbrechen. Die Menschen hier wissen, was es bedeutet, der Erde im Wortsinne eine Ernte abzuringen. Der Fortschritt, den die Regierung in der Hauptstadt Addis Abeba predigt, ist hier eine abstrakte Floskel. Sonntagmorgen, ein staubiges Tal in der Morgensonne, ein steiler Pfad führt den Berg hinauf, und oben am Hang fügen sich weiße Punkte nach und nach zu einer Menschenmenge zusammen. Ein Kloster, eine Felsenkirche, vor Jahrhunderten dem Berg abgerungen. Die Gläubigen, in weiße Baumwolltücher geschlungen, murmeln ihr Gebet in den stillen Morgen. Vielen Menschen in der Gegend gehe es schlecht, sagt Pater Azezew Siraw, 50 Jahre, ein grob geschmiedetes metallenes Kreuz in der Hand. Die Dürre setze ihnen zu, sie kämen auf der Suche nach Heilung hier herauf, und um Gott um Regen zu bitten.

Ein Mönch neben ihm beugt sich über einen Korb voll Weizenkörnern, sortiert die Spreu aus. Die Gläubigen bringen regelmäßig solche Lebensmittelspenden mit nach oben. Vor der Krise brachten die Menschen Teff mit, die Hirse, aus der die traditionellen, säuerlichen Injera-Fladen gebacken werden. Jetzt bringen sie das, was Regierung und Hilfsorganisationen liefern.

Die Regierung versucht mit aller Macht, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern

Pater Siraw sagt, die Dürre sei wohl eine Strafe Gottes; dafür, dass die Menschen nicht nach den zehn Geboten leben. "Sie trinken, sie schlagen sich, manchmal erschießen sie einander." El Niño, Klimawandel, solche Erklärungsansätze haben es bislang nicht auf diese Anhöhe geschafft. In einem Flachbau in der nächsten Stadt empfängt der regionale Regierungsvertreter, Esubalew Meberate, ein hochgewachsener Mann mit kantigem Gesicht, er trägt eine mattschwarze Lederjacke, darunter ein weißes Adidas-Trikot: ein Vertreter des jungen, selbstbewussten Äthiopien. "Wenn sie in einer älteren Ausgabe des Oxford-Wörterbuchs unter 'Armut' nachschlagen", sagt er lächelnd, "dann finden Sie dort unser Land als Beispiel. In der neuesten Auflage ist die Passage gestrichen."

Er zählt auf, was man alles getan hat, um zu verhindern, dass die jetzige Dürre ähnliche Katastrophenbilder hervorbringt wie jene in den 1980er-Jahren. Im Oktober 2015 kaufte die Regierung eine Million Tonnen Weizen im Ausland, um die Notreserven des Landes aufzufüllen. Ein staatliches Arbeitsprogramm ermöglicht es Bauern, etwa am Bau von öffentlichen Brunnen mitzuarbeiten und sich so einen Anspruch auf Lebensmittel zu verdienen. "Unser Land hat sehr wohl das Potenzial, sich selbst zu helfen", sagt der stolze Beamte. Und gibt dann nach einer kurzen Pause zu: "Diesmal ist die Lage allerdings wirklich sehr ernst."

Der Kahlschlag der Wälder in den vergangenen Jahrzehnten, das räumt er ein, habe die Lage massiv verschlimmert. Aber man arbeite mit voller Kraft an Wiederaufforstung und neuen Bewässerungssystemen. In Zukunft werde man sogar sehen, wie Äthiopien Lebensmittel exportiert, und in dieser neuen Agrarindustrie werden auch all die jungen Leute Arbeit finden. 92 Millionen Menschen leben heute in Äthiopien, mehr als doppelt so viele wie während der Hungersnot Mitte der 1980er-Jahre. Damals waren es 41 Millionen.

Die Regierung, das darf man ihr wohl anrechnen, ist darum bemüht, die Armut zu bekämpfen und das Land zu entwickeln. Doch es ist ein Wettlauf gegen immer widrigere äußere Umstände. Klimaforscher wie der Kieler Mojib Latif meinen, dass die Erderwärmung künftig noch "deutlich extremere El-Niño-Ereignisse" hervorrufen könnte. Der Chef der Welthungerhilfe, Till Wahnbaeck, drückt es so aus: "Das Problem ist nicht diese eine Krise. Das Problem ist, dass die Krise mittlerweile Normalität geworden ist, auf eine Krise folgt die nächste, es gibt keine Erholungspausen mehr wie noch 1984."

Ein paar Hundert Meter vom Büro des Regierungsbeamten entfernt sitzt ein hagerer Mann mit grauem Schopf vor gestapelten weißen Säcken. Kassaw Teshager, 60 Jahre alt, Bauer. Er ist in einem vierstündigen Fußmarsch hergekommen, um sich seine Weizenration abzuholen. Am Himmel haben sich ein paar dünne Wolken zusammengeballt, und jetzt fallen tatsächlich ein paar dicke Tropfen auf die grüne Hose des alten Mannes, doch nach ein paar Minuten sind sie schon wieder verdunstet. Der Bauer sagt zum Abschied, was auch der Clan-Chef der Afar, im fernen Nordosten des Landes, zum Abschied sagte: "Bislang sind bei uns nur Tiere gestorben, keine Menschen. Aber wir sind uns nicht so sicher, wie lange das noch so bleibt."

Der verhinderte Löwe

Äthiopien ist seit dem 4. Jahrhundert christlich und wurde jahrhundertelang regiert von Kaisern, die sich als Nachfahren des biblischen Königs Salomo sahen: Es ist das einzige Land des Kontinents, neben dem kleinen Liberia, das sich nie von Europäern hat kolonisieren lassen. Abgesehen von einer fünfjährigen Besatzung durch Mussolinis Faschisten. Politiker sagen, wenn sie von den anderen Bewohnern des Kontinents reden, gern leicht herablassend "die Afrikaner". Als schwebten sie selbst auf einer anderen Ebene darüber. Die heutige Regierung, hervorgegangen aus den Rebellengruppen, die Anfang der 1990er-Jahre das kommunistische Militärregime des "Schlächters von Addis", Mengistu Haile Mariam, stürzten, hat Äthiopien schnellen Fortschritt verordnet. Eine Entwicklungsdiktatur, nach chinesischem Vorbild: Laut den regierungseigenen Zahlen ist das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahrzehnt um jeweils mehr als zehn Prozent pro Jahr gewachsen. Auch wenn ausländische Diplomaten die Statistiken für übertrieben halten, so kann man die Fortschritte doch mit bloßem Auge sehen, zum Beispiel die neue Stadtbahn in der Hauptstadt Addis Abeba. Doch Dürre und Überschwemmungen in Folge des globalen Wetterphänomens "El Niño" gefährden jetzt das Image des afrikanischen Löwenstaats, der den asiatischen Tigern auf dem Sprung folgen will. Selbst wenn es in den kommenden Wochen und Monaten verstärkt regnen sollte, wird das Land auf Hilfe von außen angewiesen bleiben. Die Getreidevorräte sind aufgebraucht, Hunderttausende Tiere sind verendet. Kritiker bemängeln, dass die Regierung die Modernisierung der Landwirtschaft vernachlässige: Die Böden gehören dem Staat, was Bauern von Investitionen abhält. Es fehlt an Traktoren, Dünger und modernem Saatgut. Zugleich wächst die Bevölkerung um 2,5 Prozent pro Jahr. In manchen Regionen werden die fruchtbaren Böden bereits knapp, während die Produktivität nur schleppend steigt. Erosion und fehlende Bewässerungssysteme machen die äthiopische Landwirtschaft besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels.

Tobias Zick

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