Umwelt:Ein grünes Wunder. Oder doch nicht?

Umwelt: Äthiopien will bis Oktober vier Milliaren Bäume pflanzen.

Äthiopien will bis Oktober vier Milliaren Bäume pflanzen.

(Foto: AFP)

Äthiopien will 350 Millionen Bäume gepflanzt haben. Das klingt nach tollem Engagement für die Umwelt - oder nach einem Ablenkungsmanöver.

Kommentar von Hanno Charisius

Äthiopien pflanzt Bäume - und die Welt staunt. Am 29. Juli meldete der Minister für Innovation und Technologie Getahun Mekuria über Twitter, dass innerhalb von zwölf Stunden 350 Millionen Setzlinge eingegraben wurden. Das Land war angetreten, einen drei Jahre alten Weltrekord zu brechen, das gesetzte Ziel waren 200 Millionen Bäume. Bis zum Ende der Regenzeit im Oktober sollen im Rahmen der nationalen Begrünungskampagne vier Milliarden Bäume gepflanzt werden, hatte Ministerpräsident Abiy Ahmed im Mai angekündigt.

Medien auf der ganzen Welt berichteten über den Erfolg. Nachdem kürzlich eine Studie zu dem Ergebnis kam, dass Aufforstungen das beste Mittel wären, um die Erderwärmung zu bekämpfen, gab es Zusatzapplaus aus den sozialen Medien. Doch es gibt auch Zweifel an der massiven Begrünungsaktion. Der Berliner Agrarforscher Jonah Wedekind von der Humboldt-Universität kommentierte auf Twitter, dass die von der äthiopischen Regierung organisierte Green-Legacy-Kampagne wohl eher eine politische Maßnahme sei, um ein Gemeinschaftsgefühl zu stiften, als ökologisch sinnvoll.

Einigkeit sei natürlich ein legitimes Ziel, doch der Aktion und den gemeldeten Zahlen traut er nicht. Es gab im Land lange die Tradition, Zahlen aus den Regionen stark geschönt an die Verwaltung weiterzureichen. Und tatsächlich muss man nur nachrechnen, um selbst Zweifel zu bekommen. Nach den offiziellen Zahlen wären 468 000 Bäume pro Minute gepflanzt worden. Das ist sicher nicht unmöglich, wenn man wirklich viele der 110 Millionen Äthiopier mobilisiert, aber es ist auch 14 Mal mehr als der bisherige Weltrekord im Bäumepflanzen. Den stellten 800 000 Inder im Juli 2016 auf.

Schwerer als geschönte Zahlen wiegen allerdings ökologische Schäden, die solche Massenbaumpflanzungen anrichten können. Wenn man etwa die falschen Bäume am falschen Ort setzt oder dabei nicht auf die sozialen Gegebenheiten vor Ort achtet. Von früheren Großpflanzaktionen ist zudem bekannt, dass 40 Prozent der Setzlinge innerhalb kurzer Zeit eingehen, weil sie nicht umhegt werden. Vor zuviel Aktionismus beim Aufforsten warnt auch der Weltklimarat in seinem Berichtsentwurf zur Frage, wie sich die Landflächen durch den Klimawandel verändern. In der kommenden Woche soll der Bericht veröffentlicht werden.

Kritiker sagen, Abiy Ahmed wolle mit der Aktion von anderen Problemen ablenken, etwa von ethnischen Konflikten, die Millionen Menschen zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht haben. Vielleicht führt das gemeinsame Bäumepflanzen zu etwas mehr Einigkeit in diesem Land, vielleicht trägt es sogar zur Demokratisierung bei. Das wäre wirklich ein Anlass zum Berichten - und um sich zu freuen.

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