Süddeutsche Zeitung

Archäologie:Geheimnis im Tal der Könige

Lesezeit: 3 min

Von Paul-Anton Krüger

Das Geheimnis war nur von ein paar dünnen Schichten Gips und Wandmalereien verdeckt. Trotzdem hat es niemand erkannt - seit 1922, dem Jahr, in dem Howard Carter im Tal der Könige das unversehrte Grab des Tutenchamun entdeckte. Erst dem britischen Archäologen Christopher Reeves fielen im vergangenen Jahr Merkwürdigkeiten an den westlichen und nördlichen Wänden der Grabkammer des Kinderpharaos auf. Eine Kombination aus moderner Technologie, herkömmlichen Methoden und einer schon länger gehegten Theorie ließen ihn zu Thesen gelangen, die derzeit weltweit Aufmerksamkeit erregen.

Wenn Reeves recht haben sollte, liegen in dem Grab bislang unentdeckte Kammern hinter zugemauerten Zugängen verborgen, die seit mehr als 3000 Jahren unberührt geblieben sein müssten. Schon das, sagen Ägyptologen, wäre der wichtigste Fund seit der Entdeckung des Grabes. Reeves glaubt überdies, einer dieser möglichen Räume könne die Mumie der Nofretete bergen.

Reeves machte seine Entdeckung nicht etwa in der Grabkammer selber, sondern vom Schreibtisch aus: Die spanische-italienische Firma Factum Arte hatte die Wände des Grabs und ihre Bemalung mit einer Auflösung von 600 bis 800 dpi digital abfotografiert und - wichtiger für Reeves - mit einem dreidimensionalem Laserscanner digitale Reliefs erstellt. Eigentliches Ziel des Unterfangens: eine exakte Replika der Grabkammer, die neben Carters Haus in Theben-West errichtet wurde, um das Grab im Tal der Könige von den Touristen-Strömen zu entlasten. Doch stellte Factum Arte die Bilder und Daten Anfang 2014 im Internet auch der Forschung zur Verfügung. Für Archäologen war das so, als könnten sie tagelang mit der Lupe die Wände betrachten - und ihre Struktur ohne die Bemalungen.

Der Grundriss von Tuts Grab passt eigentlich nicht zu einem männlichen Herrscher

Das alleine hätte allerdings wohl nicht ausgereicht, um in Rillen, die in den Reliefs erkennbar sind, Hinweise auf verborgene Zugänge zu neuen Schätzen zu sehen. Reeves ist seit Langem überzeugt, dass Nofretete und andere Mitglieder der Königsfamilie im Tal der Könige bestattet wurden, nicht wie von vielen Archäologen vermutet in Tel al-Amarna, einst Hauptstadt des Pharaos Echnaton, 300 Kilometer weiter nördlich im Niltal bei Minya gelegen. Schon von 2000 bis 2002 hatte Reeves mit einem japanischen Experten per Bodenradar im Tal der Könige nach unentdeckten Gräbern gesucht und war dabei auf Anomalien gestoßen, die später als die Gräber KV 63 und KV 64 identifiziert wurden. Ein weiteres Grab, versteckt im Grab des Tutenchamun? Daran hatte zuvor niemand gedacht, auch weil niemand danach suchte.

Zum anderen stützt sich Reeves auf eine vergleichende Analyse der Architektur. "Über den Grundriss des Grabes gibt es Diskussionen, seit es entdeckt wurde", sagt Daniel Polz, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo. "Es passt nicht in die bekannten Muster von Königsgräbern." Nach der Eingangstreppe und dem Korridor führt die Vorkammer im rechten Winkel nach rechts auf die Grabkammer zu - was eher zu einem Königinnengrab passt. Bei der Ruhestätte eines männlichen Herrschers wäre ein Knick nach links zu erwarten.

Reeves wartet aber noch mit anderen Details auf, die seiner Ansicht nach kaum noch mit Zufällen zu erklären sind. Die Maße des von ihm vermuteten Durchgangs hinter der westlichen Wand gleichen exakt jenen des bekannten Durchgangs auf der gegenüberliegenden Seite. Reeves vermutet dahinter eine weitere Aufbewahrungskammer. Spektakulärer aber ist die Nordwand: Aus zwei senkrechten Rillen und einem Setzungsriss im oberen Teil schließt Reeves, dass nicht massiver Kalkstein hinter dem Wandgemälde liegt, sondern eine nachträglich eingebaute Trennmauer mit einem Durchgang. Diese wiederum hätte exakt die Breite der Vorkammer. Hinter ihr, so seine Theorie, liege womöglich ein weiteres, das eigentliche Grab verborgen.

Ein spezielles Radar und eine Wärmebildkamera sollen Aufschluss darüber geben, ob diese Vermutung stimmt. Die Methode ermöglicht eine Untersuchung der Wände ohne diese zu beschädigen und könnte Hinweise darauf liefern, wie und mit welchem Material die vermuteten Zugänge verschlossen wurden. Der ägyptische Antikenminister Mamdouh el-Damaty sagte, er hoffe, dass diese Untersuchungen bereits im November beginnen könnten. Reeves werde die notwendigen Anträge stellen, die dann von einem wissenschaftlichen Komitee des Ministeriums als auch von den Sicherheitsbehörden genehmigt werden müssen.

Mit Radar und Wärmebildkamera durch Wände schauen

Radar wird in der Archäologie routinemäßig eingesetzt, vor allem um im Boden verborgene Überreste alter Zivilisationen zu finden. In der mexikanischen Ruinenstadt Teotihuacán entdeckten Forscher im Jahr 2011 auf diese Weise einen 120 Meter langen Gang unter der Quetzalcoatl-Pyramide, auch als Tempel der gefiederten Schlange bekannt. Zur Erkundung wurde ein Roboter eingesetzt, der die Existenz von drei Kammern unter der Pyramide bestätigte.

Treffen die gepulsten Radiowellen auf Schnittflächen oder Materialien mit unterschiedlicher dielektrischer Leitfähigkeit lassen sich die Abweichungen in der Reflexion messen und in Bilder umsetzen. Wärmebildkameras machen sich zunutze, dass unterschiedliche Materialien aufgrund ihrer Zusammensetzung, ihrer Dichte und ihres Wassergehalts Infrarot-Strahlung unterschiedlich stark absorbieren und reflektieren. Daraus werden wiederum Bilder errechnet.

Sollten diese Untersuchungen im Grab des Tutenchamun den Beweis für bisher unbekannte Durchgänge und dahinterliegende Kammern oder eine Fortsetzung des Grabes erbringen, kommen wesentlich schwierigere Fragen auf die ägyptische Antikenbehörde zu: Sie müsste dann entscheiden, ob und wie solche Durchgänge eröffnet oder etwa mit Mikrokameras weiter erkundet werden, was unweigerlich erfordern würde, das Grab für die Öffentlichkeit zu schließen - und damit einen der wichtigsten Anziehungspunkte für Touristen. Dass dann die Nofretete gefunden wird, hält selbst Minister el-Damaty, Inhaber einer Professur in Ägyptologie an der Ain-Shams-Universität, für unwahrscheinlich. "Aber ich hoffe für Ägypten, dass Professor Reeves recht behält."

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Quelle:
SZ vom 13.10.2015
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