Süddeutsche Zeitung

Ernährung:Die Wunderbohnen

Proteinhaltig und umweltschonend: Die in Vergessenheit geratene Ackerbohne gilt als ökologische Alternative zu importiertem Soja. Liefert sie das Eiweiß der Zukunft?

Von Andrea Hoferichter

Ackerbohne oder Soja? Das war für Wolfgang Link immer eine klare Kiste. Die Ackerbohne, auch Sau-, Pferde- oder Puffbohne genannt, schnitt deutlich schlechter ab, schon ästhetisch. "Die Hülsen von erntereifen Ackerbohnen sind fast schwarz. Die Felder sehen aus wie abgebrannt", sagt der Züchtungsforscher von der Universität Göttingen. Sojafelder hingegen leuchteten zur Erntezeit goldgelb. "Und Soja liefert nicht nur Eiweiß und Stärke, sondern auch Öl. Das ist schon was besonders Edles", schwärmt Link.

Doch mittlerweile gilt die Ackerbohne als umwelt- und klimafreundlichere Alternative zu Importsoja, das größtenteils aus den USA und Südamerika stammt. Für sie werden in der Regel keine Wälder abgeholzt, der Transport aus Übersee entfällt. Ihre eiweißreichen Samen, ob erbsenklein oder groß wie ein Fünf-Cent-Stück, taugen als Viehfutter und vor allem im Mittelmeerraum als Delikatesse, zum Beispiel in Spanien geröstet als "Habas Tostadas" oder in der italienischen Vignarola, einem Artischocken-Erbsen-Bohnen-Salat.

An deutsche "Puffbohnen mit Speck" erinnern sich vermutlich nur noch wenige, denn hierzulande sind Ackerbohnen Mitte des vergangenen Jahrhunderts weitgehend von den Feldern verschwunden. Getreide, Raps und Mais brachten Landwirten mehr Geld ein.

Wo die Ackerbohne gewachsen ist, braucht es weniger künstlichen Dünger

Seit etwa zehn Jahren ist es ein erklärtes politisches Ziel, diesen Trend umzukehren. Der Anbau von Hülsenfrüchten, auch Leguminosen genannt, wird vielerorts gefördert. Auch der Züchtungsforscher Link hat sich mit der Ackerbohne angefreundet. "Mit etwa fünf Tonnen pro Hektar liefert sie auch in Deutschland ordentliche Erträge", sagt er.

Zudem brauche sie wie alle Hülsenfrüchte keine mineralischen Stickstoffdünger. Die Pflanzen angeln den Stickstoff einfach aus der Luft. "Ackerbohnen lassen sogar Stickstoff im Boden zurück, bis zu 125 Kilogramm pro Hektar, weit mehr als Soja oder Erbse", betont Link. Das senke den Düngerbedarf für nachfolgende Feldfrüchte. Und die Pflanzen bieten Hummeln und Bienen ein üppiges Buffet, denn sie blühen fast zwei Monate lang.

Um die Ackerbohne noch attraktiver zu machen, arbeiten Link und sein Team an neuen Sorten. Sie sollen höhere Erträge liefern, robuster gegenüber Schädlingen, Krankheiten und Trockenheit sein und von Nutztieren möglichst gut vertragen werden. "Vor allem die Stoffe Vicin und Convicin können Probleme bereiten. Nicht für Rinder, aber für Schweine, Legehennen oder anderes Geflügel", berichtet der Forscher. Erst kürzlich konnte sein Team eine Sorte präsentieren, die nur noch einen Bruchteil der üblichen Vicin- und Convicinmenge enthält und zumindest bei Legehennen gut ankommt. Selbst wenn sie zu einem Drittel ins Futter gemischt wurde, litt weder der Appetit der Hühner noch die Eiergröße oder die Legeleistung.

Auch manche Menschen, denen das Enzym "G6PD" fehlt, können auf Vicin und Convicin empfindlich reagieren. Der sogenannte Favismus kann Kopfschmerzen, Übelkeit und in sehr seltenen Fällen eine lebensbedrohliche, gelbsuchtähnliche Blutarmut auslösen. Lebensmittelchemiker arbeiten deshalb an Verfahren, die kritischen Stoffe bei der Verarbeitung der Ackerbohnen vollständig zu entfernen. Ein entsprechendes Proteinpulver präsentierten dänische Forscher kürzlich im Fachblatt Foods. Das Pulver sei geschmacksneutral und eine gute Sojaalternative in Veggie-Produkten.

Die Bohne ist teurer als Importsoja, aber in vieler Hinsicht auch wertvoller

In Deutschland wächst die Ackerbohne zurzeit auf rund 50 000 Hektar Land. Damit hat sie zwar Platz zwei unter den Hülsenfrüchten erreicht, gleich nach der Erbse, belegt aber nicht einmal ein Viertelprozent aller Agrarflächen. Zu wenig, finden mehr als 50 konventionelle und Biobauern aus dem Rheinland. Im Verein Rheinische Ackerbohne werben sie für die Hülsenfrucht, mit Infoschildern auf ihren Feldern, Veranstaltungen, Internetseite und in den sozialen Medien. "Die Ackerbohne ist zwar teurer als Importsoja, hat aber eine höhere Wertigkeit", sagt Karl-Adolf Kremer, der den Verein gemeinsam mit seiner Frau Maria gegründet hat. Die Bohne passe einfach prima in die Fruchtfolge, weil sie direkt an die Rapsblüte anknüpfe. "Und sie ist gentechnikfrei", betont der Landwirt.

Umfragen zeigten, dass die meisten Deutschen keine Gentechnik wollten, wie Gensoja, das in vielen Fertigprodukten aus Übersee stecke und nicht eindeutig deklariert werden müsse. "Mit den Ackerbohnen aus der Region können wir dagegen transparente Lieferketten bieten", so Kremer. Seiner Frau Maria war es außerdem wichtig, die Ackerbohnen nicht nur als Tierfutter ins Gespräch zu bringen. Sie kam auf die Idee, aus Ackerbohnenmehl Brot zu backen, das mittlerweile von zehn Bäckereien mit jeweils zwischen 30 und 50 Filialen verkauft wird. "Das Brot enthält besonders viel Eiweiß und Ballaststoffe und es bleibt lange frisch, weil die Ackerbohne bei der Verarbeitung viel Wasser aufnehmen kann", sagt die Landwirtin.

Eine Geschäftsidee hatten auch Landwirte im "nassen Dreieck" zwischen Hamburg, Stade und Cuxhaven, wo die Ackerbohne besonders gut gedeiht. Mit ihrer Firma Fava-Trading sind sie seit 2018 am Markt und verkaufen jährlich rund 12 000 Tonnen Ackerbohnen aus ganz Deutschland, bisher vor allem in den arabischen Raum. Hier kommen Ackerbohnen oft täglich auf den Tisch, als deftiger Frühstücksbrei, in Eintöpfen, Salaten und hummusähnlichen Pürees. "Aber auch die hiesige Nachfrage steigt", sagt Geschäftsführer Jan Schulze-Geißler.

Gemeinsam mit der Bremer Rolandmühle vertreibt das Unternehmen unter der Marke "Roland Beans" auch Schrote, Mehle und Eiweißpulver aus Ackerbohnen, geeignet für eine breite Produktpalette, vom Baguette über die Veggiewurst bis zur Fischstäbchenpanade. Auch Lupinen und Erbsen gehören zum Portfolio.

"Die Ackerbohne wächst ja nicht überall optimal. In anderen Regionen sind andere Leguminosen besser geeignet", so Schulze-Geißler. "Es bringt nichts, eine Pflanze gegen die andere auszuspielen. Wir brauchen eine ganzheitliche Eiweißwende, eine vielfältigere und robustere Landwirtschaft", sagt der selbständige Agrar- und Umweltwissenschaftler Donal Murphy-Bokern aus Lohne. Erbsen, Lupinen, Klee und Luzerne könnten ebenfalls dazu beitragen - und auch Sojabohnen, ob regional oder im Ausland angebaut.

"Wenn sie importiert werden, sollten aber hohe Sozial- und Umweltstandards gelten", so Murphy-Bokern. Die Stellschraube mit dem größten Effekt sei der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern. "Würden die Deutschen nur so viel tierische Produkte zu sich nehmen, wie es den gesundheitlichen Empfehlungen entspricht, wären rund 75 Prozent Soja schlicht überflüssig." Rund 36 Millionen Tonnen Soja importieren EU-Länder jedes Jahr, um Kühe, Schweine und Hühner mit ausreichend Eiweiß zu versorgen.

Die Blüten sind ein Paradies für Insekten, die wiederum Schädlinge vertreiben

Welche Rolle die Ackerbohne bei der Eiweißwende spielen wird, ist noch unklar und auch, wie groß der ökologische Nutzen ausfällt. Entscheidend ist offenbar, was sonst noch auf dem Feld passiert. "Ackerbohnen können zum Beispiel bei der Schädlingsbekämpfung helfen, weil sie mit Nektar außerhalb der Blüten parasitische Wespen anlocken, die wiederum Pflanzenschädlinge wie Blattläuse reduzieren können", sagt Jens Dauber vom Thünen-Institut in Braunschweig. Bei jüngsten Untersuchungen mit gängigen Fruchtfolgen aus Weizen, Gerste oder Raps sei der Effekt aber kleiner ausgefallen als erwartet.

Auch am Boden tummelten sich weniger Nützlinge als erhofft. "Es zeigt sich immer wieder, dass das heute übliche System, in dem nur die einträglichsten Sorten in engen Fruchtfolgen angepflanzt werden, durch Einzelmaßnahmen nicht deutlich verbessert werden kann", betont er. Längere und vielfältigere Fruchtfolgen seien nötig, damit Pflanzen wie die Ackerbohne ihre Vorteile voll ausspielen könnten. "Dann hätten es Schädlinge schwerer, und der Boden würde sich verbessern. Das würde auch der Artenvielfalt helfen und müsste von der Politik gefördert werden", sagt der Forscher.

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