Süddeutsche Zeitung

Absturz des "SpaceShipTwo":Horror-Woche für die private Raumfahrt

Privatunternehmen wollen Nasa-Missionen übernehmen und Touristen in den Orbit schicken. Doch nur wenige Tage nach einem ersten schweren Zwischenfall explodiert Richard Bransons Raumflugzeug "SpaceShipTwo", ein Pilot stirbt. Branson will dennoch weitermachen.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

In dem Anblick steckt etwas Erhabenes. Ein Doppelflugzeug trägt das SpaceShipTwo (SS2) hoch in die Stratosphäre, bis auf 15 Kilometer klettert der Flieger. Dort oben lässt er das Raumflugzeug fallen, dessen Piloten sofort den Antrieb zünden, um Richtung Orbit zu beschleunigen. So ist es auf Youtube zu sehen, so sieht die Zukunft des Weltall-Tourismus aus, wenn es nach Richard Branson und seiner Firma Virgin Galactic geht.

Doch diese Bilder, die auch für die Träume des 21. Jahrhunderts stehen, werden seit Freitag von anderen Aufnahmen überlagert: Trümmerteile mit dem Virgin-Logo im kalifornischen Wüstensand, ein abgedeckter lebloser Körper, der in einen Hubschrauber geladen wird. Das SpaceShipTwo ist bei seinem Testflug in der Mojave-Wüste abgestürzt, ein Pilot ist getötet worden, der zweite konnte sich per Schleudersitz retten und liegt mit schwersten Verletzungen auf der Intensivstation.

Noch ist unklar, wie es zu dem Unglück kommen konnte. Um 9:20 Uhr Ortszeit startete das Mutterschiff mit Namen WhiteKnightTwo auf dem Luft- und Weltraum-Flughafen Mojave, um 10:10 Uhr erreichte es die geplante Höhe und warf das SS2 ab. Kurz darauf stellte das Team am Boden "ernsthafte Anomalien" in den Raumflugzeug-Signalen fest, ein alarmierter Feuerwehr-Helikopter fand wenig später weit verstreute Trümmerteile 25 Kilometer nördlich des Flughafens. Das Mutter-Flugzeug konnte unbeschadet landen.

Das SpaceShipTwo sollte in absehbarer Zeit sechsköpfige Touristengruppen in die mittlere Schicht der Erdatmosphäre bringen, wo sie für kurze Zeit schwerelos sein können. Als Starttermin war nach jahrelangen Verschiebungen zuletzt 2015 anvisiert worden. Bereits 800 Passagiere haben sich angemeldet, ein Flug kostet zwischen 200 000 und 250 000 Dollar. Virgin Galactic galt als Prestigeprojekt Bransons. "Ich werde sofort nach Mojave fliegen, um beim Team zu sein", twitterte er geschockt.

Den Traum vom Weltraum-Tourismus aufgeben will der umtriebige Abenteurer aber nicht, wie er wenig später auf seiner Webseite verkündete. "Der Weltraum ist hart - aber er ist es wert. Wir werden beharrlich bleiben und gemeinsam voranschreiten", heißt es in einer Mitteilung.

Das Unglück ist bereits der zweite Unfall eines privaten Raumfahrt-Unternehmens innerhalb weniger Tage. Am Dienstag war eine unbemannte Rakete der Firma Orbital kurz nach dem Start über einem Weltraumbahnhof in Virginia explodiert. Sie hatte den Auftrag, für die Nasa Nachschub an die Internationale Raumstation ISS zu liefern. Die Unglücksursache ist unbekannt, es entstand ein Sachschaden von mehreren hundert Millionen Dollar.

Auch das SS2-Unglück wirft Fragen auf: Verschiedene Augenzeugen berichten, dass es vor der Explosion möglicherweise Probleme mit der Zündung des Raketenantriebs gegeben habe. Auf Fotos ist eine weiße Flüssigkeit zu sehen, die in großen Mengen auszutreten scheint.

Es war bereits der 35. Testflug, in dem das Gefährt vom Mutter-Flugzeug abgekoppelt wurde - das SS2 war seit 2010 im Testflug-Einsatz. Allerdings wurde dieses Mal offenbar der Motor leicht verändert, weil die Ingenieure erstmals einen Treibstoff auf Kunststoff-Basis einsetzten, um höhere und stabilere Verbrennungsraten zu erreichen. Die Verantwortlichen des Herstellers Scaled Composites - eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns Northrop Grumman - betonten, dass der Treibstoff viele Male am Boden getestet worden sei.

"Wir müssen verstehen, was passiert ist, und voranschreiten", erklärte auch George Whitesides, Chef von Virgin Galactic. Allerdings dürfte es mit solchen Pionier-Plattitüden nicht getan sein, das Risiko für private Weltraum-Reisen ist durch das Unglück greifbar geworden.

"Die Realität hat den Weltraum-Tourismus eingeholt", folgerte die britische Weltraumwissenschaftlerin Monica Grady. Und der Raumfahrt-Blogger Doug Messier, selbst Augenzeuge des Unglücks, twitterte: "Die wirkliche Frage ist die nach der Kompetenz von Scaled Composites und Virgin Galactic, ihre Sicherheitskultur und ihr Prozedere." 2007 waren drei Techniker beim Test des Antriebs des SpaceShipTwo ums Leben gekommen.

Bereits der Raketenabsturz am Dienstag hatte eine Diskussion darüber ausgelöst, ob die Sicherheitsanforderungen der Raumfahrt mit den wirtschaftlichen Zwängen privater Unternehmen vereinbar sind - und ob die Nasa, die selbst im Laufe der Jahre viele Mitarbeiter bei Unglücken verloren hat, es sich mit dem kostengünstigen Outsourcing nicht zu leicht macht.

Die explodierte Orbital-Rakete war mit einem modifizierten Motor aus Sowjet-Zeiten ausgestattet. Sie war erstmals mit einem zweiten Antrieb gestartet, der zuvor noch nicht in einer Mission getestet worden war.

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