Süddeutsche Zeitung

Abhörtechnik nutzt Vibrationen:Bespitzelt mit der Chipstüte

Eine neue Video-Technik rekonstruiert Gespräche aus den Vibrationen von Alltagsgegenständen wie Topfpflanzen oder Alufolie. Das klappt nicht nur mit Hightech-Kameras.

Von Andreas Wenleder

Wer nicht abgehört werden will, sollte in Zukunft womöglich seine Gespräche in komplett leer geräumten Zimmern führen. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben gemeinsam mit den Forschungsabteilungen von Adobe und Microsoft ein Verfahren entwickelt, das einfachste Gegenstände zu Mikrofonen macht. Um gesprochene Sprache wiederzugeben, eignet sich praktisch alles, was vibrieren kann. Eine herumliegende Chipstüte zum Beispiel.

Trifft Schall auf einen Gegenstand, übertragen sich die Schwingungen der Luft als leichte Vibrationen auf diesen. Moderne Videokameras können dieses Vibrieren aufzeichnen. Aus dem Videomaterial lassen sich mit einem mehrstufigen Algorithmus die Audiosignale rekonstruieren. Die gewonnenen Tonspuren sind verständlich. Geschlechter und Stimmlagen können unterschieden werden.

Die Techniker experimentierten mit vielen verschiedenen Gegenständen: Sie filmten Topfpflanzen, Teekannen, Kaffeebecher, Alufolie und Chipstüten. Besonders gut eignen sich leichte, aber starre Gegenstände, schreiben die Forscher.

Auf einem ähnlichen Prinzip basieren die bereits existierenden Lasermikrofone. Indem sie Vibrationen von Gegenständen mit einem Lichtstrahl abtasten, kann zum Beispiel eine vibrierende Fensterscheibe Gespräche aus dem dahinter liegenden Raum preisgeben. Allerdings muss der vibrierende Gegenstand den Laserstrahl reflektieren. Die neue Videoanalyse benötigt keine Reflexionen. Sie kann Gegenstände sogar durch schalldichte Fenster hindurch als visuelle Mikrofone nutzen. Gute Ergebnisse liefern bislang aber nur Hochgeschwindigkeitskameras. Die Bildrate gängiger Videokameras ist zu niedrig, um Schall zu rekonstruieren, die Tonspuren sind undeutlich. Auch Aufnahmen aus großer Entfernung sind noch nicht möglich. Die Kamera muss Gegenstände sehr detailliert erfassen. Schon für wenige Meter entfernte Objekte sind starke Teleobjektive nötig.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2014
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