Süddeutsche Zeitung

Abgasskandal:Wenn Forschung anrüchig wird

Die jetzt bekannt gewordenen Tests der Autoindustrie stinken zum Himmel. Dennoch wäre es weltfremd, die Industrie komplett aus der Forschung heraushalten zu wollen.

Kommentar von Patrick Illinger

Nein, es wurden keine Probanden in weiß gekachelten Kellerräumen gefesselt und mit Schläuchen aus einem Dieselauspuff beatmet. Bei den Studien der "Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor" ging es, soweit bekannt, um Stickstoffdioxid in einer Konzentration, die unter dem jahrelang in Deutschland geltenden Arbeitsplatz-Grenzwert für dieses Gas lag. Und: An manchen Straßenkreuzungen atmen Passanten schlechtere Luft ein als die Probanden der NO₂-Versuche.

Dennoch stinkt die Sache zum Himmel. Warum hat die Autoindustrie überhaupt Versuche mit Stickoxiden gemacht? Ahnte sie, dass eine öffentliche Debatte über Dieselabgase hochkochen würde? Sah sie den Betrug mit der manipulierten Motorsteuerung auffliegen? Und generell: Für wie glaubhaft hält diese Industrie einen industrieeigenen Verein, der ein Produkt dieser Industrie erforscht? Wie blöde kann man eigentlich sein?

Das Dilemma der Universitäten: Sie brauchen Drittmittel, müssen aber unabhängig bleiben

Unabhängig davon, ob die nun bekannt gewordenen Versuche im Einzelnen ethischen oder fachlichen Standards genügten: Die Ergebnisse einer solchen obskuren "Forschungsvereinigung" sind von vorneherein wertlos. Sie sind in der Öffentlichkeit so unglaubwürdig, wie es Monsanto-Studien über Herbizide oder Publikationen von Coca-Cola zu zuckerhaltigen Getränken wären. Der aktuelle Skandal erinnert an düstere Zeiten, in denen die Zigarettenindustrie die Welt mit pseudowissenschaftlichen Tabakstudien narrte.

Sollte die Industrie daher am besten gar keine Forschung betreiben? Nein, das wäre weltfremd. Ohne Industrieforschung gäbe es die Welt von heute nicht, keine Medikamente, keine Autos, keine Computer, keine Handys. Zwei Drittel zu ein Drittel - etwa in diesem Verhältnis stehen die Forschungsausgaben von Industrie und öffentlicher Hand in Deutschland zueinander. Klassisches Beispiel ist die Pharmaindustrie. Weil es mitunter Hunderte Millionen Euro kostet, einen Wirkstoff zu entwickeln, zu testen und marktreif zu machen, wäre jedes steuergeldfinanzierte Institut heillos überfordert. Doch die Nachteile liegen auf der Hand: Wenn Studien Firmengeheimnisse sind, können nutzlose und sogar schädliche Präparate auf den Markt gelangen. Für beides gibt es traurige Beispiele.

Nicht nur deshalb braucht es auch unabhängige Forschung. Doch wer forscht unabhängig? Universitäten und außeruniversitäre Institute? Die Antwort: ja und nein. Abseits der reinen Grundlagenforschung wie Astrophysik oder Zoologie gibt es im akademischen Alltag vielfältige Verflechtungen mit der Industrie. Drittmittel sind der gängigste Weg, auf dem Firmen die Etats öffentlicher Forschungseinrichtungen aufbessern - mehr oder weniger eigennützig. Für die Akademiker ist das Geld verlockend, mancherorts sogar die Messgröße für Erfolg. Ein Generalverdacht ist dabei unangebracht: Drittmittel führen nicht automatisch zu Abhängigkeiten und Mauschelei. Allerdings hängt viel von der ethischen Integrität der beteiligten Professoren und Instituts-Direktoren ab. Ähnliches gilt für Stiftungslehrstühle.

Allerdings hat die Verflechtung in manchen Bereichen befremdliche Ausmaße angenommen, etwa in der Lebensmittelforschung. Für die Aufsichtsgremien der Europäischen Lebensmittelbehörde Efsa finden sich kaum Wissenschaftler, die keine Verbindungen zu einschlägigen Konzernen haben, zum Beispiel Beraterverträge. Sicher, auch hier gilt die Unschuldsvermutung, aber es wirkt anrüchig.

Dabei hängt das Vertrauen der Öffentlichkeit maßgeblich vom Ansehen ab. Weil deutsche Universitäten und Organisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Helmholtz-Gemeinschaft weiterhin hohes Vertrauen genießen, wäre es sinnvoll, dort wichtige, für die Öffentlichkeit relevante Fragen verstärkt zu bearbeiten. Welche Fragen das sind, kann die Politik nicht vorschreiben, hier gilt die Freiheit der Forschung. Doch in Zeiten zunehmender Wissenschaftsskepsis, siehe USA, könnte es ein Weg sein, den Stellenwert von Wissenschaft zu stärken. Bei der Finanzierung könnten Fonds helfen, in die Pharma-, Auto- und andere Konzerne einen Teil ihrer Profite einzahlen.

Den Klimawandel zum Beispiel hat die akademische Forschung als Großthema identifiziert. Warum nicht auch die Schädlichkeit von Dieselmotoren? Epidemiologen könnten systematisch prüfen, wie es Menschen geht, in deren Umgebung mehr Dieselautos fahren als anderswo. Ein dubioser Verein der Autoindustrie ist jedenfalls die falsche Instanz.

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SZ vom 31.01.2018/beu
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