60 Jahre Nasa:Der Aufgang der Erde

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60 Jahre Nasa: Der Testpilot und Astronaut Ed White wurde berühmt als der erste Amerikaner, der am 3. Juni 1965 im Rahmen der Gemini-4-Mission einen Weltraum-Spaziergang unternahm.

Der Testpilot und Astronaut Ed White wurde berühmt als der erste Amerikaner, der am 3. Juni 1965 im Rahmen der Gemini-4-Mission einen Weltraum-Spaziergang unternahm.

(Foto: Courtesy of NASA/Taschen)

Helden im All und Meisteringenieure prägen die Geschichte der Nasa seit sechs Jahrzehnten. Vor allem aber hat die Raumfahrt den Blick auf unseren Planeten verändert.

Von Marlene Weiß

Die einzige wahre Reise wäre für uns, wenn wir nicht neue Landschaften aufsuchten, sondern andere Augen hätten, die Welt mit den Augen eines anderen betrachten könnten... wir fliegen dann wirklich von Stern zu Stern. Marcel Proust, "Die Gefangene"

Es war an Heiligabend des Jahres 1968, als die Nasa-Astronauten Bill Anders, Frank Borman und Jim Lovell als erste Menschen in einem Raumschiff den Mond umrundeten, noch vor der Mondlandung selbst. Eben hatten die Apollo-8-Astronauten die Rückseite des Erdtrabanten umflogen, gleich würde es wieder eine Funkverbindung mit der Erde geben - womit diese auch wieder in die Sichtlinie rücken würde. Aber was das bedeutete, hatte keiner der drei Männer an Bord bedacht.

"Oh mein Gott!", rief da Borman plötzlich. "Schaut da rüber, da kommt die Erde hoch. Wow, ist das schön!" Über dem dunklen, leblosen und staubigen Horizont des Mondes war ein kleines Wunder zu sehen: die Erde. Von Wolken umhüllt, blau, höchst lebendig und so zerbrechlich in der Schwärze des Alls. Während Lovell wie gebannt auf diesen Anblick starrte, fing sein Kollege Anders an, fieberhaft den Schwarz-Weiß-Film aus seiner Kamera zu fummeln. "Schnell, den Farbfilm! Beeil dich! Schnell!", rief er immer wieder, und fing dann an, wie wild zu fotografieren.

Ob es das wert war?

Das ikonische Bild, das er in diesen Sekunden einfing, wurde später "Earthrise" genannt, Erdaufgang. Es sind solche Bilder, die bis heute vielleicht am besten zeigen, was die Nasa bewirkt hat. Dazu zählen auch Bilder wie jene auf diesen Seiten, die der Taschen-Verlag anlässlich von 60 Jahren Nasa in dem spektakulären Bildband "The Nasa Archives" veröffentlicht hat.

Es waren sechs dramatische Jahrzehnte. Manche der Bilder erinnern an die bekannten Momente der Raumfahrt, so wie jenes, das den Fuß von Buzz Aldrin auf dem Mond zeigt. Andere wirken verblüffend oder bizarr, viele zeigen, wie erstaunlich weit die Technik in diesen wenigen Jahrzehnten gekommen ist. Auch die schweren Krisen der Nasa sind dokumentiert; ein Foto im Buch zeigt, wie 1986 das Spaceshuttle Challenger 73 Sekunden nach dem Start explodierte, sieben Astronauten starben. 2003 folgte die Katastrophe der Columbia, die beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zerstört wurde, wieder waren sieben Astronauten tot. Weitere Astronauten starben im Training oder bei Unfällen mit Testflugzeugen; insgesamt kamen mehr als 20 Nasa-Astronauten im Dienst ums Leben. Ob es das wert war?

Bis heute bleibt die bemannte Raumfahrt umstritten. Der Apollo-8-Astronaut Bill Anders, inzwischen 85 Jahre alt, hat sein Earthrise-Foto noch immer im Wohnzimmer hängen, hinter Glas. Aber von den nächsten Plänen der Nasa hält er wenig. Möglichst bald soll es zurück zum Mond gehen, in dessen Umlaufbahn eine neue Raumstation entstehen soll, und dann weiter zum Mars; damit kann es US-Präsident Donald Trump gar nicht schnell genug gehen, der die Nasa als sein persönliches Make-America-Great-Again-Instrument zu begreifen scheint. "Das wird unheimlich teuer", sagte Anders kürzlich zum britischen Guardian über die Mondstation. "Warum sollte man das tun? Wer soll das bezahlen?" Es gebe großartige unbemannte Raumfahrt-Programme, auch großartige kommerzielle. Aber die bemannte Raumfahrt? "Jetzt gerade ist das Mist."

Trotz aller Kritik aber kann man sagen, dass die Raumfahrt den Blick der Menschheit auf sich selbst verändert hat. Die Ansichten der Erde von außen haben vielen Menschen gezeigt, wie zerbrechlich ihre Heimat ist, wie einzigartig. Und wie bedroht: Oft sind es heute Satelliten der Nasa, die dokumentieren, wie schnell sich die Erde durch Klimawandel und Zersiedlung verändert.

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