50 Jahre USA im All:Als die wilden Kerle flogen

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Alan Shepard, der erste Amerikaner im All, war ein ruppiger Draufgänger. Heute hätten Typen wie er und seine damaligen Kollegen keine Chance mehr auf eine Reise in den Weltraum.

Alexander Stirn

Mit vollgepinkelter Hose bewegungslos auf dem Rücken zu liegen, ist nicht unbedingt die beste Art, Geschichte zu schreiben. Alan B. Shepard hat allerdings keine andere Wahl. Seit vier Stunden verharrt er nun schon in der engen Mercury-Raumkapsel. Erst waren Wolken im Weg, dann spielte die Technik seiner Redstone-Rakete nicht mit, jetzt zickt ein Computer herum. Und Shepards Blase füllt sich mehr und mehr.

Alan B. Shepard am 5. Mai 1961 in der Kapsel des Raumschiffs Freedom 7. (Foto: AP)

Sein Wunsch, noch austreten zu dürfen, wird negativ beschieden. Schließlich soll der 37-Jährige in Kürze als erster Amerikaner ins All starten. Da hilft nur, der Natur freien Lauf zu lassen - trotz der Elektroden, die an seinem Körper festgeklebt sind. Die Baumwollunterwäsche saugt sich voll, die Elektronik überlebt es. Wenig später, am 5. Mai 1961 um 9.34 Uhr, hebt Alan Shepard von der Startrampe in Cape Canaveral ab.

Es sind solche Geschichten, die Helden machen - auch wenn der historische Flug nur 15 Minuten und 28 Sekunden dauert. Für eine Erdumkreisung, wie beim drei Wochen zuvor gestarteten Russen Jurij Gagarin, fehlt den Amerikanern die Technik.

Dennoch feiert die Nation einen neuen Star, einen Teufelskerl. Sie bejubelt einen begnadeten Piloten, aber auch einen arroganten Casanova mit Hang zu Alkohol und schnellen Autos. Der Mythos vom Astronauten als Draufgänger ist geboren, vom Space Cowboy, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Nicht einmal durch die Kräfte der Natur.

Hätte ein Held wie Alan Shepard heute überhaupt noch die Chance ins Astronautenkorps aufgenommen zu werden? "Nein", sagt Frank Danesy ohne zu zögern. Der Deutschkanadier ist Personalchef bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa in Darmstadt und dort für die Auswahl der angehenden Astronauten verantwortlich. "Die Zeit hat sich geändert", sagt er. "Damals suchte man noch Supermänner, heute wissen wir genau, was auf unsere Astronauten zukommt."

Fast langweilig klingt die Stellenanzeige, mit der die Esa 2008 Raumfahrer gesucht hat: Ein abgeschlossenes Studium und/oder Flugerfahrung werden verlangt, Sprachkenntnisse, Teamfähigkeit, Einfühlungsvermögen, emotionale Stabilität. "Über jeden einzelnen Punkt haben wir genau nachgedacht", versichert Danesy. Nicht explizit aufgeschrieben haben die Esa-Manager, was heute genauso wichtig ist: repräsentatives Auftreten, rhetorisches Geschick, ein Händchen für den Umgang mit den Medien.

Alan Shepard musste Ende der 1950er-Jahre keine Stellenanzeigen studieren. Testpiloten waren gesucht - und zwar solche, die in die kleinen Kapseln der neu gegründeten Raumfahrtbehörde Nasa passten. 110 Männer meldeten sich freiwillig, sieben wurden zu Astronauten gekürt. Am Ende setzte sich Shepard, der Offizierssohn mit den markanten Geheimratsecken, durch.

Zwei Gesichter habe Shepard gehabt, schreibt der amerikanische Autor Tom Wolfe in seinem Buch "Die Helden der Nation", einer detailversessenen Analyse der ersten US-Raumflüge: das eines gut gelaunten, jovialen Draufgängers, aber auch das eines "eiskalten Commanders", der notfalls über Leichen geht. Mitarbeiter beschreiben Shepard als undurchsichtigen Choleriker. Weggefährten nennen ihn arrogant, nicht ohne einzuschränken: "So muss ein Testpilot eben sein."

Testpiloten werden auch heute noch als Astronauten genommen. Unter den sechs Raumfahrern, die die Esa 2009 einstellte, hat einer eine Testpilotenlizenz, drei fliegen Jets. Sie wurden nicht wegen ihrer Arroganz ausgewählt, sondern weil sie gelernt haben, auch unter Druck Checklisten abzuarbeiten und mit der Crew die richtigen Entscheidungen zu treffen, sagt Danesy. "Wer heute ins All startet, ist nicht allein, er fliegt in einem Team." Zurückhaltung ist angesagt, und auch ein bisschen Bescheidenheit.

Vor 50 Jahren war das anders. Vor dem Hangar S, in dem sich in Cape Canaveral die Trainingseinrichtungen der Astronauten befanden, stand eine Corvette neben der anderen. Die Raumfahrer ließen es gerne krachen, sie waren Adrenalinjunkies. Einem Rennen ging (bis auf den gottesfürchtigen John Glenn, der später als erster Amerikaner die Erde umrunden sollte) niemand aus dem Weg.

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Ein wenig davon soll im Idealfall auch in den gezähmten Astronauten der Neuzeit stecken: "Es gibt keinen Fortschritt ohne Risiko", sagt Frank Danesy. "Wer mitspielen will, muss ein bisschen Risikobereitschaft zeigen." Aber bitte nicht auf nächtlicher Landstraße, sondern kontrolliert und abgesichert: als Fallschirmspringer, Taucher, Sportkletterer. Punkten können auch Bewerber, die sich der Forschung schon einmal als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt haben.

50 Jahre später: Während Alan Shepard beim ersten US-Raumflug mit Druckanzug in einer engen Kapsel hockte, schwebt Catherine Coleman im Freizeitdress durch die Raumstation ISS. (Foto: REUTERS)

Genau solche Experimente waren es, die Shepard und seine Kollegen an ihrem Job am meisten hassten. Keiner der stolzen Testpiloten war scharf darauf, sich voller Kabel und Katheter in einer engen Kapsel einsperren lassen. Hinzu kam, dass sich die Astronauten von den Kollegen, die weiterhin in Testflugzeugen durch die Luft düsten, als "Büchsenfleisch" verspotten lassen mussten.

Alan Shepard bestand daher darauf, bei seinem Flug zumindest für kurze Zeit die Steuerung zu übernehmen. Nötig wäre es nicht gewesen, wie drei Monate zuvor bereits ein anderer Raumfahrer bei einer identischen Mission gezeigt hatte: Er hieß Ham und war ein Schimpanse.

Die Mercury-Astronauten hassten die Affen. Heuten müssten sie wahrscheinlich gemeinsam mit ihnen vor der Kamera Späßchen machen. Denn längst sind Raumfahrer auch Botschafter, Werber, PR-Menschen geworden - alles im Dienste der bemannten Raumfahrt.

Vor allem die Internationale Raumstation ISS und ihre Medienpräsenz haben dazu beigetragen: Bill Shepherd, 2000 erster Kommandant der Station, war noch Astronaut vom alten Schlag, ausgebildet bei der US-Spezialeinheit Navy Seals, ein bulliger Typ mit breiten Schultern und mindestens ebenso großem Ego. Shepherd führte die Station mit derselben militärischen Präzision und Härte wie die Interviews nach seiner Rückkehr. Er war umgänglich, machte aber keinen Hehl aus seiner Verachtung für Journalisten, Politiker, Raumfahrtmanager.

Dmitri Kondratjew, der aktuelle Kommandant der ISS, ist ebenfalls ein bulliger Typ. Ansonsten ist er aber völlig anders. Mit ruhiger Stimme erzählt der Russe vom Spaß während der gemeinsamen Ausbildung, von seinem Sohn, von seinem Hobby Karate. Seine amerikanische Kollegin Catherine Coleman kann derweil so wortreich und nichtssagend über die Probleme der Nasa plaudern als wäre sie Politikerin.

Dass Astronauten nach ihrer Außenwirkung und ihrem rhetorischen Talent ausgesucht werden, bestreitet Danesy dennoch. "Der Medienaspekt ist nur ein Nebenprodukt unserer Auswahlkriterien", sagt er. Heutige Raumfahrer müssten einfach gute Kommunikatoren sein. "Schließlich sollen sie nicht nur irgendwo hin fliegen und Spaß haben, sondern den Ingenieuren und Wissenschaftlern auch ihre Beobachtungen schildern."

Darin war Alan Shepard, der erfahrene Testpilot, gut. Während seines kurzen Fluges berichtete er heldenhaft von seinen Erlebnissen. Der erste Amerikaner im All hatte nur ein kleines Problem: Er sah die Welt durch einen Graufilter. Den hatte er vergessen zu entfernen. Vor dem Start war Alan Shepard einfach mit dringenderen Problemen beschäftigt gewesen.

© SZ vom 05.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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