Süddeutsche Zeitung

50 Jahre Nasa:Hase und Igel im All

Die Nasa wurde vor dem Hintergrund des Kalten Krieges gegründet. Inzwischen kooperieren die einstigen Gegner - zum Wohle der Wissenschaft.

Alexander Stirn

Es war wie der Wettlauf zwischen Hase und Igel. Egal was die Amerikaner anstellten, die Sowjets waren bereits da: Der Abschuss der ersten Interkontinentalrakete. Der erste Satellit in der Erdumlaufbahn. Die erste Datenübertragung vom Weltall zur Erde. Das Piepsen des Sowjetsatelliten Sputnik im Jahr 1957 klang wie Hohn für die Amerikaner.

1958 wollte US-Präsident Dwight D. Eisenhower dem erfolglosen Treiben seiner Raketentechniker nicht länger zusehen. Am 29. Juli, vor genau 50 Jahren, unterschrieb Eisenhower ein Gesetz, mit dem er eine neue Regierungsorganisation ins Leben rief: die National Aeronautics and Space Administration, kurz Nasa, die Raumfahrtagentur der USA.

Eisenhowers Superbehörde sollte die gesamten nichtmilitärischen Weltraumaktivitäten des Landes bündeln. Das war nicht nur wegen der Fortschritte beim Rivalen UdSSR dringend nötig: Das amerikanische Raumfahrtprogramm hatte in den 1950er-Jahren massiv unter internen Kompetenzstreitigkeiten gelitten.

Die US-Luftwaffe wollte mit umgebauten Interkontinentalraketen ins All, die Forschungsabteilung der Marine setzte auf eine modifizierte Höhenrakete, die Armee vertraute auf den deutschen Ingenieur Wernher von Braun und seine Weiterentwicklung der Nazi-Waffe V-2. Wirklich erfolgreich war niemand.

Vor allem die Marine erlangte einen fatalen Ruf durch eine Reihe spektakulärer Fehlstarts. Aber auch das Heer und die Luftwaffe konnten Eisenhower nicht überzeugen, da sie seiner Vision von einer friedlichen Nutzung des Weltalls im Wege standen.

Dann kam die Nasa, der Neuanfang. Eine ausdrücklich zivile Organisation, die dem neuen Gesetz zufolge "friedlichen Zwecken zum Wohle der gesamten Menschheit" dienen sollte. Doch Beobachter in Washington rechneten damit, dass der Chef der eher militärisch ausgerichteten Vorgängerorganisation NACA (National Advisory Committee for Aeronautics) auch zum ersten Chef der neuen Behörde ernannt würde. Es kam anders. "Die 43 Jahre alte NACA wurde von vielen als zu lethargisch angesehen, um mit den anstehenden Aufgaben fertig zu warten und den nötigen Neuanfang zu garantieren", sagt Nasa-Chefhistoriker Steven Dick.

Die Sowjets sind schneller

Eisenhower suchte eine Mischung aus findigem Wissenschaftler und Kaltem Krieger, jemand, der sowohl die psychologischen Folgen des Sputnik-Schocks als auch die technologische Rückständigkeit der Amerikaner überwinden konnte. In Keith Glennan, einem Republikaner, Elektrotechniker und Präsidenten des Case Institute of Technology in Ohio, wurde er fündig.

Am 1. Oktober 1958 nahm die Nasa mit 8000 Angestellten, drei großen Forschungszentren und einem Budget von 1,8 Milliarden Dollar (an die heutige Kaufkraft angepasst) den Betrieb auf. Schon sechs Tage später stellte Glennan das Mercury-Projekt vor, das den ersten Amerikaner ins All befördern sollte. Sechs Monate später präsentierte die Nasa ihre ersten Astronauten: die "Mercury Seven", alle militärische Testpiloten mit Hochschulabschluss. Trotz ihres zivilen Charakters ist die Nasa ein Kind des Kalten Krieges, und Astronauten noch keine Wissenschaftler. Der erste Zivilist wird erst 1972 ins All fliegen.

Doch die Behörde wuchs kontinuierlich. Zuvor dem Militär unterstellte Labors werden einverleibt, darunter das Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, und 1960 nach heftigem Widerstand der Armee auch die 4000 Mann starke Raketenbau-Gruppe um Wernher von Braun - mitsamt ihrem ehrgeizigsten Projekt, der mächtigen Saturn-Rakete.

Laika und Gordo

An der sowjetischen Übermacht im "Space Race", dem Hase-und-Igel-Rennen der Supermächte, ändert das allerdings wenig. Im Dezember 1958 schießen die Amerikaner mit dem Äffchen Gordo ein Tier ins All, das bei der Landung im Südatlantik ertrinkt.

Mehr als ein Jahr zuvor hatten die Sowjets allerdings bereits die Hündin Laika auf einen Oneway-Flug in den Orbit geschickt. Im März 1959 startet nach vielen Explosionen mit Pioneer 4 die erste US-Sonde zum Mond. Sie verfehlt das Ziel um 60.000 Kilometer.

Zwei Monate zuvor waren die Sowjets in nur 5000 Kilometer Entfernung am Erdtrabanten vorbeigerauscht. Und im Mai 1961 fliegt mit AlanB. Shepard Jr. der erste Amerikaner ins All - einen Monat nach dem Russen Juri Alexejewitsch Gagarin. Der Kosmonaut legt bei seinem Flug fast 40.000 Kilometer zurück, der Astronaut nur 450 Kilometer. Der Sowjet ist fast 90 Minuten schwerelos, der Amerikaner gerade einmal fünf. Für die USA ist Shepards Flug Erfolg und Erniedrigung zugleich.

Der junge Präsident John F. Kennedy, durch Gagarins Erdumkreisung und die missglückte Invasion in der kubanischen Schweinebucht gedemütigt, muss notgedrungen die Initiative ergreifen. "Ich glaube, unsere Nation sollte sich verpflichten, vor dem Ende dieses Jahrzehnts einen Mann zum Mond zu bringen und wieder sicher zurück zur Erde", verkündet Kennedy am 25. Mai 1961.

Acht Jahre, zwei Monate und einen Tag später ist es vollbracht - Neil Armstrong betritt den Mond. Eine gewaltige Euphorie erfasst das Land, 400.000 Nasa-Mitarbeiter und mehr als 25 Milliarden Dollar ermöglichen es, dass zwischen 1969 und 1972 zwölf Amerikaner über den Erdtrabanten spazieren können.

Dass die Sowjets - trotz vielversprechender Ansätze - in diesem Fall nicht schneller sind, liegt aber nicht nur an dem massiven Aufwand den die USA betreiben. 1966 stirbt Sergej Koroljow, Vater und Identifikationsfigur der russischen Raumfahrt, auf dem Operationstisch eines angeblich unfähigen Chirurgen. Erst anlässlich des Staatsbegräbnisses erfährt die Welt von der Existenz des genialen Raketenbauers.

Die Mond-Euphorie ebbt schnell ab

In den USA ebbt die Mond-Euphorie nach den ersten erfolgreichen Landungen schnell ab - für die Nasa (und die Weltraumforschung) vielleicht das Beste, was ihr in der 50-jährigen Geschichte passieren konnte.

Befreit von den Zwängen des Kalten Krieges, startet die Behörde erste gemeinsame Missionen mit den Russen, vor allem aber widmet sie sich der wissenschaftlichen Erkundung des Weltalls. Nasa-Sonden besuchen alle großen Himmelskörper im Sonnensystem, von Merkur bis Pluto. Sie buddeln im roten Sand des Mars, torpedieren Kometen oder bringen deren Staub zurück zur Erde, stoßen bis an die Grenze des Sonnensystems vor - und darüber hinaus. Aufnahmen von schwebenden Observatorien, allen voran des Hubble-Teleskops, versetzen selbst nüchterne Astronomen in Entzücken.

"Das Raumfahrtzeitalter kann vielleicht am besten als eine fortwährende Geschichte von Reisen angesehen werden, die immer weiter vom Heimatplaneten weg geführt haben", sagt Nasa-Historiker Dick. Für die bemannte Raumfahrt, noch immer das Aushängeschild der Nasa, gilt das allerdings nur eingeschränkt.

Seit dem Ende der Apollo-Flüge ist kein Mensch mehr weiter als 621 Kilometer über die Erdoberfläche gereist, weil das seither benutzte Raumschiff, der Spaceshuttle, auf den erdnahen Raum beschränkt ist. Auch sonst hat der 1972 von Präsident Richard Nixon in Auftrag gegebene Raumgleiter die einst in ihn gesetzten Erwartungen nie erfüllt: 50-mal im Jahr sollten die Shuttles zwischen Erde und Orbit pendeln und die Transportkosten deutlich reduzieren.

Winzige Murmel im Kosmos

Doch schon der Start des ersten Shuttles Columbia im April 1981 zeigte, dass der ehrgeizige Plan nicht zu halten war: Der Orbiter kehrte mit 164 beschädigten oder fehlenden Hitzekacheln zurück zur Erde; und weitere langwierige Reparaturen sind nach jedem Flug nötig. "Wenn man ein Raumfahrzeug nach jedem Flug beinahe auseinander nehmen und wieder zusammensetzen muss, gehen natürlich die meisten Vorteile der Wiederverwendbarkeit verloren", sagt Roger Launius, ehemaliger Nasa-Historiker und mittlerweile Kurator des National Air and Space Museums in Washington.

Zudem hat der Shuttle 14 Nasa-Astronauten das Leben gekostet, was das Image der Nasa schwer beschädigt hat, zumal Untersuchungskommissionen wiederholt eine mangelhafte Sicherheitskultur, Gleichgültigkeit und Schlamperei bescheinigten.

Dass es dennoch weitergeht, stand für die Nasa allerdings nie in Frage - "auf zu neuen Grenzen, zu Grenzen, die wir selbst erschaffen", sagte der Nasa-Administrator Michael Griffin anlässlich des 50. Geburtstages. Der Historiker Steven Dick sieht das etwas zurückhaltender.

Für ihn machen weder die "ungeheuren technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften", noch die "zuvor undenkbaren Leistungen" den eigentlichen Wert der vergangenen fünf Jahrzehnte aus. "Was uns nachhaltig Demut gelernt haben sollte, ist vielmehr die Erkenntnis, dass die Erde nur eine winzige blaue Murmel im Kosmos ist."

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SZ vom 29.7.2008/mcs
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