40 Jahre Herztransplantation:Als ob ein Stück Seele wandert

Als am 3. Dezember 1967 zum ersten Mal ein menschliches Herz verpflanzt wurde, war dies ein Kulturschock und ein Durchbruch der Transplantationsmedizin zugleich.

Wolfgang Eckart

Das Herz wird im europäischen Kulturraum seit der Antike als Organ der seelisch-geistigen Lebensmitte gedeutet. Es ist zugleich der subjektiv empfundene Ort des emotionalen "Ich", Mittelpunkt des Körpers und Sitz aller Lebenskraft. Diese Bewertung des Herzens ist noch heute, in einer aufgeklärten Welt, trotz besseren Wissens um die Bedeutung des Gehirns unumstritten. Auch der Mensch des 21. Jahrhunderts leidet emotional im Oberbauch, in Herznähe also.

Liebeskummer und Trennungsschmerz wird dort empfunden, nicht im Kopf. Und wer vertraute nicht heute noch Antoine de Saint-Exupérys berühmtem Ausspruch "Man sieht nur mit dem Herzen gut"? Vor diesem Hintergrund wird das Spektrum vielfältiger Ängste im Umfeld von Herzerkrankungen und der Kulturschock, den die erste erfolgreiche Transplantation eines menschlichen Herzens am 3. Dezember 1967 auslöste, in seiner ganzen Tiefe verstehbar.

Der Wunsch, das mythenumrankte, aber krank und schwach gewordene Zentralorgan des menschlichen Körpers durch das funktionstüchtige Herz eines fremden Menschen zu ersetzen, ist kaum älter als 100 Jahre. Erst im späten 19. Jahrhundert wurden Transplantationen ernsthaft in Erwägung gezogen, doch die Idee scheiterte zunächst an chirurgischen Problemen und an der unbeherrschbaren Abstoßungsreaktion des menschlichen Körpers.

Vor etwa 60 Jahren bemühten sich Chirurgen erstmals um den Ersatz des erkrankten Herzens, dachten aber zunächst an die Entwicklung eines künstlichen Organersatzes. Parallel dazu entfalteten sich auch Anstrengungen hinsichtlich der Transplantation natürlicher Herzen. Im kalifornischen Stanford gelang es den Chirurgen Richard Lower und Norman Shumway im Jahr 1959 erstmals, einem Hund ein fremdes Hundeherz einzusetzen.

Das Tier überlebte einige Tage. Bis 1965 konnte die Überlebenszeit im Tierversuch auf mehrere Monate gesteigert werden, wozu neuere Forschungen zu Abstoßungsreaktionen, besonders das 1959 hierzu entwickelte Medikament INN und verbesserte Konservierungsmethoden des Spenderherzens beitrugen. Man erwartete nun die erste Herztransplantation an einem Menschen. Doch die Erfolgsmeldung kam nicht aus Amerika, sondern aus dem Süden Afrikas.

Das rassistische Apartheidregime der südafrikanischen Republik hatte allen moralischen Kredit in der Welt verspielt, als am 3. Dezember 1967 die Nachrichtenagenturen Sensationelles vom Kap der Guten Hoffnung berichteten. Dort hatte am Groote-Schuur-Krankenhaus Capetowns ein dreißigköpfiges Operationsteam unter der Leitung des 45 Jahre alten Operateurs Christiaan Barnard die erste Übertragung eines Herzens von Mensch zu Mensch gewagt.

Die 25 Jahre junge Bankangestellte Deenise Ann Darvall war nach einem schweren Verkehrsunfall mit tödlichen Hirnverletzungen in das Hospital gebracht worden, wo der 54-jährige, sterbenskranke Lebensmittelhändler Louis Washkansky lag. Washkansky litt an Diabetes, hatte drei schwere Infarkte hinter sich und wartete auf den Tod, als ihn die Ärzte vor Sonnenaufgang über die unmittelbar bevorstehende Transplantation informierten. Inzwischen hatte der Vater Deenise Darwalls der Organentnahme zugestimmt. Blutgruppe und Gewebemuster der jungen Spenderin schienen gut zu passen.

Angst und Hoffnung begleiteten Washkansky in die Operationsnarkose. Sie sollte mehr als fünf Stunden dauern. Operiert wurde in zwei benachbarten Sälen. In einem lag Deenise Darvall; ihr Körper wurde, nachdem der Neurochirurg ihre Hirnverletzungen für tödlich erklärt hatte, an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen und auf 16 °C abgekühlt. Dann entfernten die Chirurgen in knapp zwei Minuten ihr Herz und brachten es in Washkanskys Operationssaal.

Dort wurde das kranke Herz des Patienten herausgeschnitten und mit dem der Spenderin ersetzt. Für die Fixierung des Spenderherzens wurden Teile der Empfängervorhöfe genutzt. Doch das Herz schlug nicht sofort; es musste elektrisch angeregt werden. Bereits der erste Elektroschock glückte. Darvalls - nun Louis Washkanskys - Herz schlug mit zufriedenstellender Frequenz. Seit dem Eintreffen in Washkanskys Operationssaal waren etwas weniger als drei Stunden vergangen.

"Sie sind gefeuert!"

Um 6.13 Uhr beendeten die Chirurgen die Operation. Auf spontane Begeisterung bei seinem damaligen Chef stieß das wagemutige Unternehmen keineswegs, wie sich Barnard Jahrzehnte später erinnerte: "Nach der erfolgreichen Transplantation habe ich sofort meinen Chefarzt angerufen. Er war natürlich nicht gerade erfreut, dass ich ihn so früh weckte. Ich sagte 'Ich habe gerade ein Herz transplantiert' und er antwortete 'Na, und?' ,Nicht an einem Affen, sondern an einem Menschen!' ,Sie sind gefeuert!' schrie er ins Telefon. ,Aber der Patient lebt!' ,Dann machen wir eine Pressekonferenz!'"

Louis Washkansky hat sein neu gewonnenes Leben nicht lange genossen. Er starb 18 Tage nach der Operation an einer Lungenentzündung. Eine Reihe ähnlicher Operationen folgte in den nächsten Jahren, doch die Probleme bei der Bekämpfung der Abstoßungsreaktion verhinderten zunächst dauerhafte Erfolge.

Erst 1969 sollten bessere Abstoßungshemmer zur Verfügung stehen. Wenige Jahre später erleichterte die venös durchgeführte Herzmuskelgewebsprobe, die Abstoßungsreaktion frühzeitig zu diagnostizieren, und 1980 war der hochwirksame Abwehrhemmer Cyclosporin A einsatzbereit. In den folgenden Jahren stieg die Überlebensrate der Transplantationspatienten bemerkenswert rasch und kontinuierlich.

Als ob ein Stück Seele wandert

Am 3. Dezember 1967 schlug allerdings nicht zum ersten Male ein fremdes Herz in der Brust eines Menschen. Bereits 1964 hatte der Chirurg James Hardy im US-Bundestaat in Mississippi das Herz eines Schimpansen in die Brust eines todkranken Patienten transplantiert und so die erste Xeno-Transplantation von Tier zu Mensch gewagt - mit nur kurzem Erfolg, denn das Affenherz beendete nach 90 Minuten seine Arbeit.

Fiasko mit einem Pavianherzen

Die Nachricht ging damals unter in der Berichterstattung über die Rassenunruhen in den USA nach dem Attentat auf den damaligen Führer der Afroamerikaner, Medgar Wiley Evers (1925-1963). Erst 1984, nach der risikoreichen Übertragung eines Pavianherzens auf eine kleine Patientin, die nach 20 Tagen in einem Fiasko endete, reagierte die Öffentlichkeit ablehnend.

Mit der Geschichte von "Baby Fae" begann die öffentliche Ethik-Diskussion um Xeno-Transplantationen, die bis heute anhält, angesichts genetischer Forschungen zur Bereitstellung von Schweineherzen für Menschen. Im Umfeld der ersten menschlichen Herztransplantation 1967 dominierte ein anderer ethischer Gesichtspunkt: Ob mit der Übertragung des Herzens zwischen den Geschlechtern auch geschlechtsspezifische Eigenschaften verpflanzt würden. Durften Frauenherzen in Männerbrüsten schlagen?

Bis heute empfinden es viele Patienten als bedrückend, dass in ihnen nun das Herz eines vielleicht sogar jung verstorbenen Menschen schlägt, der möglicherweise ein anderes Geschlecht hatte. Erfahren allerdings werden sie über das Schicksal ihres Organspenders in der Regel nichts, weder über dessen Alter, noch über dessen Geschlecht und schon gar nichts über seine personale Identität. Dies war bei den ersten Herztransplantationen noch anders.

Heute regeln in vielen Ländern Transplantationsgesetze den strikt vertraulichen Umgang mit allen Daten des Spenders. Auch deshalb wird das um den Preis des Todes eines Fremden geschenkte neue Leben meist schon nach kurzer Zeit dankbar angenommen. Hinzu kommt, dass während der Wartezeit auf das Organ oft entwickelte Angststörungen und depressive Stimmungslagen sich nach der Operation rasch legen.

Organempfänger empfinden bald nach der Transplantation eine deutliche Verbesserung ihres somatischen Befindens, eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensqualität und eine deutliche Abnahme psychosozialer Belastungsreaktionen. Die daraus resultierende höhere Lebenszufriedenheit der Patienten rechtfertigt und sichert den Erfolg der aufwendigen medizinischen Behandlung zusätzlich.

Die Frage allerdings, ob eine Xeno-Transplantation unter ethischen Gesichtspunkten zulässig ist oder nicht, wird auch heute noch eingehend diskutiert. Dabei sind freilich inzwischen weniger emotionale oder moralische Aspekte des tierischen Organs im menschlichen Körper, als vielmehr Fragen des hohen Infektionsrisikos tierischer Transplantate und der Zulässigkeit der Tiertötung zum Zwecke der Organgewinnung für den Menschen in der Kritik.

Als ob ein Stück Seele wandert

Neben das klassische anthropozentrische Argument, wonach der Mensch Tierkörper uneingeschränkt verwerten darf (im Rahmen des jeweils geltenden Rechtes), sind inzwischen biozentrische Überlegungen von der prinzipiellen Gleichwertigkeit alles Lebendigen getreten. Vertreter einer solchen Tierethik argumentieren deshalb, dass durch die Option auf Xenotransplantate Rechte und Interessen von Tieren als "moralische Wesen" in erheblichem Maße gefährdet seien.

Organe und Rassismus

Demnach sei die Frage begründet zu beantworten, ob menschliches Leid so hoch wiege, dass Leiden und Tod von Tieren hingenommen werden könnten. Im Umfeld der ersten Organtransplantationen allerdings - heute kaum noch denkbar - erregten eher Rassenfragen die Gemüter. Durften Organe farbiger Spender in Körpern weißer Empfänger schlagen? Deenise Darwall waren auch beide Nieren entnommen und dem zehnjährigen dunkelhäutigen Südafrikaner Jonathan van Wyk übertragen worden.

Die rassistische Erregung um die Zulässigkeit solcher Transplantationen spitzte sich zu, als dem weißen Südafrikaner Philip Blaiberg am 2. Januar 1968 von Barnard das Herz des farbigen Arbeiters Clive Haupt eingepflanzt wurde. Blaiberg überlebte 18 Monate und wurde zum Vorzeigepatient für die Presse. Angesichts schnell anwachsender Operationszahlen verschwand jedoch das Interesse an Rassenfragen im Kontext der Transplantationsmedizin bald. Von höherer ethischer Relevanz ist heute das dunkle Feld der illegalen Organbeschaffung und des Handels mit Organen.

Dies gilt allerdings weniger für das Spendeorgan Herz als vielmehr für die Nieren, um die sich ein folgenreicher Transplantationstourismus in Länder ohne strikte Transplantationsgesetzgebung entwickelt hat. Die kriminelle Herzentnahme hingegen spielt allenfalls im Kinothriller eine Rolle, wie etwa in Clint Eastwoods "Blood Work" (2002), in dem der Protagonist fürchtet, mit dem Herzen einer ermordeten Frau zu leben.

Der "Sprung ins kalte Wasser" der Herztransplantation machte Barnard 1967 zu einem der populärsten Ärzte des 20.Jahrhunderts. Der gutaussehende Chirurg, der als Erster das Herz einer toten Frau in die Brust eines alten Mannes verpflanzt hatte, wandte sich nun - als selbstbekennender "Erotoman" - den Herzen lebender Frauen zu.

Aber dies ist nur die private Geschichte seines Erfolgs. Daneben engagierte sich Barnard in der von ihm begründeten "Christiaan-Barnard-Foundation" für das Schicksal herzkranker Kinder, forschte verstärkt zu Alterungsproblemen und trat auf dem ethisch problematischen Feld des selbstbestimmten Sterbens an die Öffentlichkeit, bevor er am 2.September 2001 auf Zypern während eines akuten Asthmaanfalls starb.

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