Süddeutsche Zeitung

30 Jahre Retortenbaby:Schwanger mit Visionen

Vor 30 Jahren kam das erste Retortenbaby zur Welt - vier Forscher erklären, wie sich Menschen in weiteren 30 Jahren fortpflanzen werden.

Christina Berndt

Kurz nach ihrer Geburt gab es Bombenalarm. Blitzschnell war die Wöchnerinnenstation im Krankenhaus Oldham nahe Manchester damals menschenleer. Doch die Bombe ging nicht hoch. Vermutlich hatten Reporter den Alarm ausgelöst. Sie wollten unbedingt die Mutter des ungewöhnlichsten Babys der Welt vor die Kameras bekommen.

Die wahre Bombe war nämlich kurz zuvor geplatzt: Am 25. Juli 1978 war ein Mädchen geboren, das anders als alle bis dahin geborenen Kinder nicht durch Sex entstanden war. Vielmehr hatten ein Genetiker und ein Arzt Ei- und Samenzelle der Eltern zusammengebracht - im Reagenzglas. Die Zeitungen nannten das Kind "Superbabe", "Baby des Jahrhunderts" oder in Anspielung auf Jesus "die am sehnlichsten erwartete Geburt seit wahrscheinlich 2000 Jahren"; seine Eltern nannten es einfach Louise Brown.

Am kommenden Freitag nun wird Louise Brown 30 Jahre alt. "Es ist schon etwas schaurig, dass ich das erste Retortenbaby bin", erklärt die blondgelockte Britin, aber ansonsten habe sie nichts Außergewöhnliches zu erzählen. Vor eineinhalb Jahren ist Brown selbst Mutter eines gesunden Sohnes geworden. "Auf natürliche Weise", wie sie betont.

Ihre Geburt aber erschütterte das Selbstverständnis der Menschen. Die katholische Kirche sprach sich unvermittelt gegen diese Form der Menschwerdung aus; zugleich meldeten sich etwa 5000 kinderlose Paare, weil sie auch so ein Baby wollten.

Schnell wurden weitere Retortenbabys geboren, das erste deutsche 1982. Inzwischen ist die künstliche Befruchtung im Reagenzglas (kurz IVF) Routine geworden. Weltweit verdanken ihr vier Millionen Kinder das Leben. In Deutschland kommt heute mehr als jedes hundertste Baby aus der Retorte.

In den kommenden 30 Jahren wird die menschliche Fortpflanzung ähnlich starken Umwälzungen unterworfen sein, da sind sich Experten sicher. Die Süddeutsche Zeitung hat Fachleute gefragt, wie sie die Zukunft der Reproduktionsmedizin sehen.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2008
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