200 Jahre Darwin (28):Die Evolutionsslehre steht im Gegensatz zur Nazi-Ideologie

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In Deutschland trug der Arzt und Zoologe Ernst Haeckel maßgeblich dazu bei, Darwins Ideen zu popularisieren - und sozialdarwinistisch umzudeuten. Schon 1863 verkündete Haeckel auf der Stettiner "Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte", dass Darwins Ideen Konsequenzen für den Menschen in sich bergen, die Darwin selbst noch gar nicht absehen würde.

In seiner in vielen Auflagen erschienenen "Natürlichen Schöpfungsgeschichte" schrieb Haeckel 1868: "Es ist die natürliche Züchtung im Kampf ums Dasein, der die Mannigfaltigkeit des natürlichen Lebens hervorgebracht hat und der auch die Völkergeschichte bestimmt; hinzu käme jedoch die künstliche Züchtung etwa der Spartaner, die bereits die neugeborenen Kinder einer Auslese unterwarfen und alle schwächlichen töteten."

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten des 20. Jahrhunderts wurden rassistische Denkmuster und völkisches Hegemonialstreben mit den Theorien Darwins und anderer Naturwissenschaftler verknüpft. In biologistischer Engfassung wurden Beobachtungen und Erkenntnisse aus der Tier- und Pflanzenwelt auf soziale und politische Bereiche übertragen. Typisch dafür sind Äußerungen wie die des Kulturhistorikers Friedrich von Hellwald, der 1873 im "Glaubensbekenntnis eines modernen Naturforschers" schrieb: "Wer vermöchte es zu leugnen, dass in der Tat die auf dem Felde der Naturerkenntnis gewonnenen Resultate auf sämtliche Zweige menschlichen Denkens und Forschens umgestaltend wirken und schon gewirkt haben?"

Auch die Linken liebäugelten mit dem Sozialdarwinismus

Die eugenisch-sozialdarwinistischen Konzepte werden aufgrund ihrer furchtbaren Folgen im Dritten Reich oft als einseitig reaktionär und imperialistisch aufgefasst. Zu Beginn gab es jedoch Sympathien für sozialdarwinistisches Gedankengut auch bei Linken. Sozialisten erhofften sich in evolutionistischem Optimismus neue "Kraftnaturen", die nicht nur die Arbeiterklasse, sondern die ganze Menschheit voranbringen und "höhere Menschenschläge" zeitigen würden. Der Darwinismus galt als theoretisches Instrument, um die bestehenden Verhältnisse ins Wanken zu bringen und die "soziale Frage" zu lösen.

Zwischen Haeckel und dem nicht minder berühmten Pathologen Rudolf Virchow entwickelte sich 1877 eine Debatte darüber, ob Darwins Theorie Grundlage jeder Weltanschauung und damit auch "maßgebend und leitend" für den Schulunterricht sein müsse, wie Haeckel forderte.

Die Verknüpfung von sozialdarwinistischem Gedankengut und Rassentheorien führte jedoch dazu, dass die Übertragung der Evolutionstheorie auf gesellschaftliche Zusammenhänge immer stärker nationalistisch und aggressiv geprägt war. 1905 wurde in Deutschland die Gesellschaft für Rassenhygiene gegründet, die Züchtungsutopien verfolgte und rassenpolitische Maßnahmen forderte, um "erbkranken Nachwuchs" zu verhindern. Dazu wurden Schädel und Nasen vermessen und Kataloge über die Körpermaße erstellt.

Die Nationalsozialisten beriefen sich explizit wie implizit auf Darwins Theorie, missbrauchten sie aber, um ihre Verbrechen zu rechtfertigen. Die Evolutionslehre steht im Gegensatz zu nationalsozialistischen Konzepten, in denen die unverrückbare Hierarchie der Rassen postuliert wurde und Schwache "ausgemerzt" werden sollten. Darwin hatte hingegen eine dynamische Theorie des Lebens und seiner Entwicklung aufgestellt.

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