200 Jahre Darwin (28):Von Darwin zum Rassenwahn

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Die Evolutionstheorie musste wiederholt dafür herhalten, Diskriminierung und Rassismus zu rechtfertigen. Dabei stammt das berüchtigte Motto "Survival of the fittest" nicht einmal von Darwin.

Werner Bartens

Für viele Spielarten der menschlichen Kraftmeierei muss Charles Darwin bis heute herhalten. Das vermeintliche Recht des Stärkeren, der den Schwächeren unterjocht, wird vielfach auf die Evolutionslehre des britischen Naturforschers zurückgeführt - dazu zählen das Konkurrenzverhalten Einzelner ebenso wie gesellschaftliche Hierarchien und Ungerechtigkeiten aber auch Kämpfe und Kriege.

Exponat der Ausstellung "Rassenwahn der Nationalsozialisten"

Ein Bild aus der Ausstellung "Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus" vom United States Holocaust Memorial Museum Washington. Die Nazinalsozialisten beriefen sich in ihrer Ideologie zu Unrecht auf Darwin.

(Foto: Foto: picture alliance)

Darwin selbst hatte seine Theorie hauptsächlich auf die Tier- und Pflanzenwelt bezogen und sich von gesellschaftlichen Analogien wiederholt distanziert. Der Sozialdarwinismus übertrug die Darwinsche Lehre von der natürlichen Auslese nicht nur auf die Menschheitsgeschichte, sondern erklärte auch den Kampf zwischen Völkern, Rassen und Nationen zum Naturgesetz. Die Selektion durch "Struggle for life" und "Survival of the fittest" wurde schon bald als Grundkonstante der menschlichen Existenz und als bestimmende Ursache von Konkurrenz, Kampf und Krieg gesehen.

Der britische Philosoph und Soziologe Herbert Spencer und nicht Darwin prägte 1864 das berüchtigte Motto "Survival of the fittest". Darwin übernahm den Ausdruck in der fünften englischsprachigen Auflage seines Werkes "Die Entstehung der Arten", die 1869 erschien und benutzte ihn ergänzend zu seinem Fachbegriff von der natürlichen Selektion. Evolution bedeutete für Spencer vor allem Kampf ums Dasein. Spencer und nicht Darwin wurde damit zu einem der Begründer des Sozialdarwinismus, der das biologische Prinzip der natürlichen Auslese auch auf alle sozialen Beziehungen übertrug.

Spencer vertrat einen radikalen Liberalismus, in dem jeder seines Glückes Schmied, aber auch jeder an seinem Unglück selbst schuld war. Staatliche Wohlfahrtsleistungen lehnte er daher strikt ab. "Der Überlegene soll den Vorteil seiner Überlegenheit, der Unterlegene den Nachteil seiner Untergeordnetheit tragen. (...) Wenn nach dem Aufhören des kriegerischen Kampfes ums Dasein zwischen den einzelnen Gesellschaften nur noch der industrielle Kampf ums Dasein besteht, so muss das schließliche Überleben und die Ausbreitung jenen Gesellschaften vorbehalten bleiben, welche die größte Zahl der besten Individuen hervorbringen, d.h. solcher Individuen, die am besten dem Leben im industriellen Staate angepasst sind", schrieb er.

Kranke als "Ballastexistenzen"

Spencers Sozialdarwinismus ist vor allem eine radikalliberale Theorie der frühen Industriegesellschaft. Spätestens von 1900 an wurde das Prinzip des "Survival of the fittest" jedoch in die militärische Logik eines Rassenkrieges und in eine Vernichtung Kranker, Schwacher und Behinderter übersetzt - zunächst in der Theorie, nach der Machtergreifung der Nazis in der Praxis.

Schwache und Kranke sollten nicht länger von staatlicher Wohlfahrt oder privater Barmherzigkeit profitieren, sondern galten vielmehr als "Ballastexistenzen". Wollte eine Gesellschaft den Überlebenskampf der Nationen und Rassen gewinnen, musste sie sich demnach dieser Menschen entledigen. 1920 plädierten der Leipziger Straf- und Staatsrechtler Karl Binding und der Freiburger Psychiater Alfred Hoche für "die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens". Darwins Ideen waren längst verunstaltet und umgeformt worden und mündeten in dieser pervertierten Form in die nationalsozialistische Euthanasiepolitik und Judenvernichtung.

In der Rezeption von Darwins Werk wurde das Schlagwort vom "Survival of the fittest" immer wieder als Überleben des Stärkeren oder des Tüchtigeren missgedeutet. Dabei verstand Darwin unter Fitness ausdrücklich die bessere Anpassung an die jeweiligen Lebensbedingungen. Nicht jenes Tier war zwangsläufig "fit", das über körperliche Größe oder Stärke verfügte, sondern jenes, das sich trotz widriger Umstände am besten fortpflanzen und die Art erhalten konnte. Der Erfolg stellte sich nicht in einem Sieg über den Kontrahenten ein, sondern war erst nach dem Tod der Kreatur abzulesen - in der Zahl der Nachkommen.

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