Süddeutsche Zeitung

20 Jahre Weltraumteleskop:Hübsch gemacht, Hubble

Seit 20 Jahren liefert das Auge im All den Astronomen wichtige Informationen über das Universum. Manche Bilder dienen allerdings mehr der galaktischen PR.

Christian Weber

Schon der damals erst zwölfjährige, aber kluge Junge wusste natürlich, dass die Sterne nur Gaskugeln sind, aus Atomen bestehend, die den Gesetzen der Physik genügen. Dennoch berichtete Carl-Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) noch ein halbes Jahrhundert später voller Rührung, wie er am 1. August 1924 "von den Menschen in die warme, wunderbare Sternennacht" entwich und dort, ganz allein, dem Absoluten begegnete: "In der unaussprechbaren Herrlichkeit des Sternenhimmels war irgendwie Gott gegenwärtig."

Für den späteren Physiker und Philosophen war dieses Erlebnis mit ein Grund, sich ein Leben lang mit dem Universum zu beschäftigen. Heute erscheint solches Pathos fast schon befremdlich.

Und das, obwohl die neuen Sternenbilder prachtvoller scheinen denn je: Vor allem das Weltraumteleskop Hubble liefert seit Jahren spektakuläre Bilder. Vor genau zwanzig Jahren, am 24. April 1990, brachte ein Space Shuttle das Teleskop auf seine Umlaufbahn in 575 Kilometer Höhe, auf der es seitdem die Erde alle 96 Minuten einmal umkreist.

Von dort aus blickt es - befreit von irdischer Staub- und Lichtverschmutzung - in das All und funkt das Gesehene an die Erde. Seitdem kennt jeder die vielfarbigen, phantastischen Bilder von Spiralnebeln, Sternengeburten und kollidierenden Galaxien.

Ikonen der Populär-Astronomie

Und ja, mancher Physikstudent pinnt sich ein Hubble-Poster über das Bett, und Wissenschafts-Redaktionen drucken gerne mal ein kosmisches Bild in Abwechslung zu all den Schimpansen und Vulkanausbrüchen.

Jeden ersten Donnerstag im Monat stellt das Hubble-Team ein neues Bild ins Netz, frei zum Download. Manche Aufnahmen sind zu Ikonen der Populär-Astronomie geworden, ein Ausschnitt des Adlernebels etwa, 7000 Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt; oder die Whirlpool-Galaxie Messier 51.

Dennoch: Kaum ein Betrachter dieser Bilder würde heute von Gefühlen berichten, wie sie etwa 1658 Blaise Pascal nach einem Blick ins Weltall in seinen Pensées notierte: "Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern."

Dabei bestätigen die Hubble-Aufnahmen mehr denn je die Pascal'sche Verzweiflung: Ja, wir Menschen leben auf unserer kleinen Erde eine einsame, schnell vorübergehende und periphere Existenz in einem unbedeutenden Durchgangsstadium eines sinnlosen Universums, das in ungefähr vier Milliarden Jahren den Wärmetod sterben wird.

Doch wer sich heute durch eine Hubble-Internet-Galerie klickt, erlebt andere Reaktionen. Kann schon sein, dass dann ein Büronachbar interessiert über die Schulter schaut. Er sagt dann etwas wie: "Hübsch" oder: "Tolle Bilder!" So ähnlich reden Leute, die sich am Abend zuvor den 3D-Film Avatar im Kino angesehen haben.

Hinter solcher Haltung verbirgt sich mehr als Blasiertheit und visuelle Übersättigung. In ihr steckt vielmehr ein modernes Misstrauen gegen die Bilder in Zeiten ihrer digitalen Verfügbarkeit. Man weiß eben, dass auch die Großrechner der Filmindustrie phantastische Welten erschaffen können.

Womöglich handelte das Hubble-Management seinem eigenen Anliegen zuwider, als es seine galaktischen Aufnahmen als Hintergrundkulisse für die Star-Trek-Filme verlieh.

Nun skizziert die amerikanische Kunsthistorikerin Elizabeth Kessler in einer neuen Studie, wie sehr die Hubble-Bilder tatsächlich auch Kunstprodukte sind (Roald Hoffmann / Iain Boyd Whyte (Hg.): Das Erhabene in Wissenschaft und Kunst. Suhrkamp, 2010). Die Wissenschaftlerin verbrachte in den letzten Jahren viel Zeit beim Space Telescope Science Institute (STScI), dem Forschungszentrum an der Johns Hopkins University, das für das Management des Hubble-Teleskops verantwortlich ist.

Dort recherchierte sie, wie aus den Rohdaten des Instruments die allgegenwärtigen Galaxienbilder tatsächlich entstehen. Ihre Ergebnisse werden zumindest manchen Laien überraschen.

Denn eigentlich sind die fernen Galaxien zu lichtschwach und das Auge zu wenig empfindlich, als dass man durch das Okular selbst eines leistungsstarken Teleskops wie Hubble Farben wahrnehmen könnte; meist schimmert es nur irgendwie weißlich verschmiert, manchmal auch grün.

Die Astronomen nutzen daher Farbfilter, um verschiedene monochromatische Aufnahmen zu produzieren. Erst ein aus solchen roten, grünen und blauen Teilbildern zusammengesetztes Bild zeigt das volle Spektrum.

"Solche Bilder sind also das Ergebnis menschlicher Eingriffe", kommentiert Kessler. Und "die Entscheidung für ein farbiges Bild entspringt ästhetischen Erwägungen, wobei die Zuordnung der Farben zu unterschiedlichen Aufnahmen eine Sache der Konvention ist, deren Maßstäbe nicht festgelegt sind." Mit anderen Worten: Selbst im Weltraum könnte kein Mensch ein Galaxis-Bild so sehen, wie er es aus den Hochglanz-Zeitschriften kennt.

Kessler berichtet, dass manchen Hubble-Astronomen die publikumswirksamen Bilder deshalb eher unangenehm sind. Wegwerfend würden sie von bloß "hübschen Bildern" sprechen, deren wissenschaftlicher Wert etwas fraglich sei.

Beim STScI sind deshalb weniger die Wissenschaftler, sondern ein halbes Dutzend eigener Mitarbeiter im sogenannten "Hubble Heritage Project" nur damit beschäftigt, vielversprechende Aufnahmen für die Öffentlichkeit aufzuhübschen.

So wirkte etwa ein ursprünglich in der Fachzeitschrift Astronomical Journal erschienenes Bild der M51-Whirlpool-Galaxie eher zusammengestückelt, da es aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt worden war.

Für die Öffentlichkeit optimierte das Heritage-Team das Bild. So nutzte es unter anderem Daten des Kitt-Peak-Observatoriums, um die Ecken aufzufüllen, "wodurch sich ein makelloses Bild in einem rechteckigen Rahmen ergab", berichtet Kessler.

Im Dienste der galaktischen PR

Nicht, dass die Grenze zur Unseriosität überschritten werden. Die Heritage-Bilder enthalten auch wissenschaftliche Informationen, aber die wirklich wichtigen Daten finden sich häufiger an der Grenze des Darstellbaren, an der Grenze des Auslösungsvermögens, wo ein Bild verwischt und nicht mehr so schön ist.

Das Heritage-Team sucht hingegen gezielt nach dem ästhetisch Schönen und darf deshalb auch selber etwas Beobachtungszeit buchen. Etwa 25 Mal pro Jahr umkreist Hubble die Erde allein im Dienste der galaktischen PR.

Bei der Bildaufbereitung halten sich die Sternenkosmetiker an kaum eine der früher verbindlichen Darstellungsregeln der Zunft. So war es bei astronomischen Abbildungen üblich, dass der Norden oben und der Osten links abgebildet wurde. Heute werden die Bilder so gedreht und die Ausschnitte so gewählt, dass sie gefallen.

Datenquellen werden kombiniert, Verzerrungen beseitigt, unbefangen dreht man an Farbskalen, Kontrasten, Helligkeitsverteilungen. "Wir haben nun mal entschieden, dass sich unsere Bilder nicht den Begrenzungen der menschlichen Wahrnehmung unterwerfen sollten, weder was die Helligkeit angeht noch in der spektralen Skala", schreibt das Heritage-Team in einer Selbstdarstellung.

Ausgerechnet das bekannteste Hubble-Bild zeigt, wie weit die Optimierung geht. Bereits vor einigen Jahren war Kunsthistorikerin Kessler auf frappante Ähnlichkeiten gestoßen zwischen der 1995 gefertigten Aufnahme des Adlernebels und einem klassischen Gemälde aus dem 19. Jahrhundert, in dem der Künstler Thomas Moran 1882 den Aufbruch der amerikanischen Siedler nach Westen feierte.

Morans Darstellung der Felsen über dem Colorado River gleicht in Farbgebung, Dynamik und Bildaufteilung der galaktischen Darstellung bis ins Detail: In beiden Fällen präsentieren sich gelbrote Säulen, von leuchtenden Wolken überdacht. Das Beispiel verwundert nicht, wenn man seine Erzeuger hört.

"Kann man die Landschaft auf der Erde wirklich trennen von einer Landschaft auf dem Mars oder einer Landschaft, die eine Million Lichtjahre entfernt ist?" fragt Zolt Levay vom Hubble Heritage Project: "Es ist alles dasselbe."

Die Profanität dieser Annahme könnte es sein, die insgeheim enttäuscht. Im fernsten Weltenraum soll es also gar nicht so viel anders sein als hier? Wie sollen denn da Menschengehirne das Gefühl der Erhabenheit generieren?

Vielleicht aber gibt es auch ein Gegenmittel: Man könnte zum Beispiel in einer klaren und mondlosen Nacht mal wieder auf die Berge steigen, um dann - ganz pixelfrei - mit den eigenen Augen in den Sternenhimmel zu staunen.

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SZ vom 24.04.2010/cosa
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