Wilhelm Heitmeyer:Pionier der Konfliktforschung tritt ab

Konflikte und Gewalt sind in einer pluralistischen Gesellschaft unvermeidbar, sagen die Experten. Aber: Man muss versuchen, sie genau zu verstehen.

Konflikte und Gewalt sind in einer pluralistischen Gesellschaft unvermeidbar, sagen die Experten. Aber: Man muss versuchen, sie genau zu verstehen.

(Foto: dpa/dpaweb)

Unruhen, Rassismus, Hassgefühle sind seine Themen: Wilhelm Heitmeyer ist Deutschlands wohl bekanntester Konfliktforscher. Nun gibt der 67-Jährige den Chefposten seines Bielefelder Instituts ab. Sein Nachfolger Andreas Zick ist längst eingearbeitet.

Von Claudia Henzler

Die Bielefelder Gewaltforscher sind weit über die Fachwelt hinaus für ein Langzeitprojekt bekannt: Seit 2002 haben sie alljährlich untersucht: Ist es den Deutschen unangenehm, wenn sie in den Städten Obdachlose sehen? Leben ihrer Ansicht nach zu viele Ausländer im Land? Sollten sich Frauen wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen?

Die Antworten auf diese Fragen ergeben ein Bild davon, wie die Gesellschaft mit Schwachen umgeht, wie es um die "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" - diesen Ausdruck haben die Bielefelder geprägt - bestellt ist. Selten finden sozialwissenschaftliche Forschungen auch außerhalb des Wissenschaftsbetriebs so viel Beachtung wie diese Langzeitstudie.

Das Institut für Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) hat dafür jährlich repräsentativ 2000 Bürger in Deutschland interviewt. Gefragt wurde dabei nicht nur nach möglichen Vorurteilen, sondern auch nach Ängsten: Was denken die Interviewten über die Gesellschaft, fühlen sie sich benachteiligt?

So konnten die Bielefelder dokumentieren, wie die Islamfeindlichkeit nach dem 11. September 2001 zugenommen hat; sie stellten fest, dass nach der Einführung von Hartz IV die Angst vorm sozialen Abstieg wuchs; und sie registrierten, dass sich als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrisen ein Gefühl der Machtlosigkeit ausbreitete. Im Jahr 2011 hatten 74 Prozent der Befragten den Eindruck: "Die Gesellschaft fällt eigentlich immer mehr auseinander."

Wilhelm Heitmeyer

Wilhelm Heitmeyer tritt als Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) ab. Sein Nachfolger wird Andreas Zick.

(Foto: W. Heitmeyer / IKG)

Die Wissenschaftler konnten messen, wie die Bereitschaft abnahm, schwächeren Gruppen in der Gesellschaft zu helfen. Mehr als die Hälfte stimmten bei der jüngsten Umfrage der Aussage zu: "Die meisten Langzeitarbeitslosen sind nicht wirklich daran interessiert, einen Job zu finden." Und es gibt inzwischen immer mehr Besserverdienende, die beispielsweise Langzeitarbeitslose nicht als gleichwertige Menschen ansehen.

Empirische Forschung ist das Markenzeichen des Instituts. Die Bielefelder gehen an die Basis, sammeln Daten, egal, ob sie die Vorurteile von Jugendlichen untersuchen oder die Motive von Rechtsradikalen und gewaltbereiten Fußballfans. Für die Ergebnisse interessieren sich unter anderem Parteien, Gewerkschaften und Kirchen - um auf dieser Basis Präventionsprogramme zu entwickeln.

Konflikte sind in einer pluralistischen Gesellschaften unvermeidbar

Wilhelm Heitmeyer, der Leiter des Instituts, ist einer der Menschen, bei denen man den starken Antrieb spürt, die Welt besser machen zu wollen. Er ist nicht nur der Meinung, dass in einer modernen und humanen Gesellschaft selbstverständlich alle Menschen gleich sein müssen - sondern er arbeitet auch darauf hin.

Konflikte, so lautet seine Grundphilosophie, seien in einer pluralistischen Gesellschaften unvermeidbar. Es komme darauf an, was man daraus macht - im positiven Fall führten sie zum sozialem Wandel, im negativen Fall zu Gewalt. Deshalb sei es wichtig, Konflikte zu erkennen und genau zu verstehen. "Deutsche Zustände" heißt Heitmeyers jährlich erweiterte Buchreihe. Nach vielen Jahren in der ersten Reihe übergibt der 67-Jährige nun den Chefsessel am IKG.

Heitmeyer hat das renommierte Institut aufgebaut und leitet es seit 15 Jahren. Er gilt als Pionier der Gewaltforschung, die in Bielefeld international und interdisziplinär betrieben wird: Erziehungswissenschaftler, Soziologen, Psychologen, Rechtswissenschaftler und Historiker arbeiten eng zusammen. Anfang der Achtzigerjahre, als er mit der Rechtsextremismusforschung begonnen hatte, wollte niemand etwas davon wissen.

1992 - die Gewaltwelle gegen Asylbewerber und Migranten hatte ihren Höhepunkt erreicht - änderte sich das schlagartig. Damals wurde beschlossen, das Bielefelder Institut zu gründen, fünf Jahre später war es tatsächlich so weit. 2012 wurde Heitmeyer für seine "wegweisende Forschungsarbeit" mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Nun hört er auf.

Anfang April wird sein Kollege Andreas Zick die Institutsleitung übernehmen. In den Ruhestand geht Heitmeyer deshalb noch nicht: Als Externer wird er für das IKG ein Projekt betreuen, in dem junge Wissenschaftler Formen und Ursachen von Gewalt in Ländern wie Pakistan, Ägypten oder Peru untersuchen.

Der Neue wird vieles weiterführen

Der Nachfolger, 51 Jahre alt, ist längst eingearbeitet, schon im April 2008 wurde er als Professor für Soziologie und Konfliktforschung nach Bielefeld berufen. Offiziell an die Fakultät für Erziehungswissenschaften, wo Zick auch Vorlesungen hält; tatsächlich war die Stellenbesetzung aber als vorgezogene Berufung für die Heitmeyer-Nachfolge gedacht, was Zick viel Zeit gab, das Institut kennenzulernen und Netzwerke zu knüpfen.

Solche sind für eine Einrichtung wie das IKG, das sich zu 80 Prozent aus Drittmitteln finanziert, enorm wichtig. Aus dem Haushalt der Universität stehen dem Institut jährlich etwa 135.000 Euro pro Jahr zur Verfügung, was nie und nimmer den Bedarf deckt. Für die Forschungsprojekte hat das IKG in 15 Jahren mindestens 20 Millionen Euro eingeworben.

Die hohen Summen von außen bezeugen die Praxisrelevanz der Forschung - das kann aber auch problematisch sein, wie Friedhelm Neidhardt, früherer Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, kürzlich bei einer Tagung zum 15. Geburtstag des IKG sagte: Er wünsche sich mehr Sekundäranalysen der Daten, dafür aber seien mehr feste Stellen notwendig. "Das Institut hat es mit seiner bisherigen Arbeit und deren Ertrag verdient, dass es mit Haushaltsstellen besser versorgt wird", gab Neidhardt der Bielefelder Universitätsleitung mit auf den Weg.

Der neue Institutschef wird vieles weiterführen (die Langzeitstudie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wird er mit einem neuen Geldgeber fortsetzen), will aber auch manch neuen Schwerpunkt setzen. Andreas Zick ist habilitierter Psychologe, er schaut besonders genau darauf, wie die Menschen ticken, wie sich Vorurteile nicht aus der individuellen Biografie heraus begründen lassen, sondern aus dem Bedürfnis, zu einer Gruppe zu gehören, Anerkennung zu bekommen, Orientierung und Sicherheit zu haben.

Eines der Zukunftsthemen ist die Frage, wie Menschen damit umgehen, wenn ihr Viertel verarmt oder gentrifiziert wird. Und wie gut Integrationsmodelle für die Stadtgesellschaft funktionieren. Zick will zudem das Lehrangebot ausbauen. "Angehende Lehrer rennen uns die Seminare ein", sagt er. Und er hofft, das Berufsbild des Gewaltforschers noch stärker etablieren zu können.

Noch immer tue sich der Wissenschaftsbetrieb schwer, wenn sich der Nachwuchs nicht eindeutig einer Disziplin zuordnen lasse: Wenn jemand über die wirtschaftlichen Folgen von sozialen Unruhen schreibt: In welche Schublade passt er dann? Für Karriereentscheidungen kann das wichtig sein.

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