SpaceX:Hat die Landung der Falcon 9 das Raumfahrtgeschäft revolutioniert?

SpaceX successfully lands its first reusable rocket

Die Langzeitbelichtung zeigt Start und Landung der Falcon-Rakete.

(Foto: dpa)

Eine historische Mission ist gelungen. Doch Raketen operieren noch immer in den Grenzbereichen der Physik.

Von Alexander Stirn

Als sich der Rauch in Florida lichtet, steht da plötzlich eine Rakete. Stolz und aufrecht, nur ein paar Hundert Meter von dem Ort entfernt, wo sie zehn Minuten zuvor gestartet ist. Und ein paar tausend Kilometer entfernt, an der amerikanischen Westküste, jubelt, schreit und hüpft eine Schar Raumfahrtingenieure, als habe sie gerade den Super Bowl gewonnen. Der kalifornischen Raketenfirma SpaceX ist in der Nacht auf Dienstag Historisches gelungen. Erstmals hat eine ausgebrannte Raketenstufe, die kurz zuvor mehrere Satelliten in eine Erdumlaufbahn gewuchtet hatte, im All umgedreht, aus 200 Kilometern Höhe Kurs Richtung Florida genommen und schließlich sicher auf dem Boden aufgesetzt. "Willkommen zurück, Baby!", twitterte SpaceX-Gründer Elon Musk nach dem geglückten Touchdown.

Die Freude ist groß, genauso wie die Zuversicht: Die Landung der Falcon 9, begleitet von viel Feuer und viel Rauch, soll nicht weniger als das Raumfahrtgeschäft revolutionieren. SpaceX hofft, die Raketen aus der eigenen Produktion in Zukunft nach getaner Arbeit erneut verwenden zu können: putzen, durchsehen, auftanken, neu starten. Durch das Recycling könnten die Kosten für Orbitalreisen radikal sinken - so zumindest die Erwartung von Elon Musk. Und er ist damit nicht allein, trotz vieler Unwägbarkeiten.

Bisher ist es, als würde man nach jedem Flug über den Atlantik den Jumbojet verschrotten

Bislang sind Raketen Wegwerfobjekte. Ihre verschiedenen Komponenten gehen nach dem Start auf unbewohnten Landstrichen nieder, stürzen ins Meer oder verglühen in der Erdatmosphäre. Lediglich Raumkapseln für Fracht und Astronauten kehren wohlbehalten aus dem All zurück, landen nach einmaligem Einsatz aber bestenfalls im Museum. Es ist, als würde man den Jumbojet nach dem Urlaubsflug über den Atlantik jedes Mal verschrotten und für den Rückflug einen neuen bauen.

Entsprechend teuer sind die Missionen: 61,2 Millionen Dollar (gut 56 Millionen Euro) müssen Kunden für einen Start der Falcon 9 laut aktueller Preisliste an SpaceX überweisen. Drei Viertel der Ausgaben entfallen, so Musk, auf die erste von zwei Raketenstufen, die nun erfolgreich gelandet ist. Die reinen Spritkosten für Kerosin und flüssigen Sauerstoff machen hingegen nur 200 000 Dollar aus. Für Musk ist die Rechnung klar: "Wenn wir es schaffen, Raketen genauso effizient wiederzuverwenden wie Flugzeuge, würde das die Kosten für einen Flug ins All um den Faktor 100 reduzieren", sagt der gebürtige Südafrikaner. "Das wäre der ersehnte Durchbruch, um den Zugang zum Weltraum zu revolutionieren."

Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Auch 58 Jahre nach dem Start von Sputnik, des ersten sowjetischen Satelliten, operieren Raketen noch immer in den Grenzbereichen der Physik. Sie schleppen Unmengen Treibstoff mit, die vor allem dazu benötigt werden, um die eigentliche Rakete (und mit ihr den Sprit) in eine Umlaufbahn zu wuchten. Für die Nutzlast bleiben im typischen Fall nur etwa drei Prozent der Gesamtmasse übrig. Müssen dann, wie bei der wiederverwendbaren Falcon 9, noch ausklappbare Landebeine und eine verstärkte Struktur für den Teufelsritt eines Wiedereintritts mitgeschleppt werden, schrumpft der Spielraum für Satelliten und Raumkapseln weiter - und damit die Verdienstmöglichkeiten.

Rechnen sich Recyclingraketen?

Erstmals hat SpaceX beim aktuellen Start daher auf tiefgekühlten Sauerstoff gesetzt. Normalerweise wird der Treibstoff bei minus 183 Grad Celsius in die Rakete gepumpt - der Siedetemperatur von flüssigem Sauerstoff. Bis kurz vor dem Start muss nachgefüllt werden, da die Flüssigkeit kontinuierlich verdampft. Bei der neuen Falcon 9 wurde der Sauerstoff hingegen auf minus 207 Grad Celsius abgekühlt, knapp über den Gefrierpunkt. Die Flüssigkeit ist dadurch dichter; es lässt sich mehr Treibstoff - und somit mehr Energie - in den Tanks unterbringen. "Es ist das erste Mal, dass jemand den Sauerstoff bei Raketen so stark gekühlt hat", behauptet Musk.

Auch damit ist noch immer nicht gesagt, dass sich Recyclingraketen rechnen. Der geringe Verdienst aufgrund der reduzierten Nutzlast, die Wartungs- und Entwicklungskosten müssen erst hereingeflogen werden. Musk will daher - wie in der kommerziellen Fliegerei üblich - seine Raketen möglichst häufig in der Luft sehen. Mit weniger als einem Dutzend bezahlten Starts und einigen Flügen zur Internationalen Raumstation, die SpaceX derzeit auf dem Flugplan hat, ist das Ziel allerdings noch lange nicht erreicht.

Musk hat daher große Pläne. Unter anderem will SpaceX den Globus mit einem Netz von bis zu 4000 Kommunikationssatelliten überziehen. Sie sollen Internetverbindungen in die entlegensten Winkel bringen. Die Konkurrenz von OneWeb, unterstützt von Milliardär und Raumfahrt-Unternehmer Richard Branson, plant eine Flotte von 900 Internet-Satelliten und hat im Sommer bereits die ersten Startverträge unterzeichnet.

Für den Aufbau solcher Systeme braucht es viele Raketen. Sehr viele Raketen, und vor allem sehr billige: Mehr als 12 000 Dollar kostet es derzeit laut SpaceX-Preisliste, ein Kilogramm Nutzlast mit einer Falcon 9 in den Erdorbit zu befördern. Musk träumt davon, die Kosten mit wiederverwendbaren, häufig startenden Raketen auf 200 Dollar drücken zu können. Eine Studie des US-Unternehmens Astrox hält 680 Dollar pro Kilogramm für möglich. All das geht allerdings nur, wenn zwischen den Flügen keine Zeit mit Wartungsarbeiten verschwendet wird. Maximal zehn Stunden, so die Vorgaben von Musk, sollen künftig zwischen einer Landung und dem nächsten Start vergehen.

Einen ersten Hinweis, ob das realistisch ist, wird die Untersuchung der soeben gelandeten Raketenstufe geben. Schon einmal hatten Ingenieure solch ambitionierte Pläne, und schon einmal mussten sie zurückstecken: Das amerikanische Space Shuttle war in den Siebzigerjahren ebenfalls angetreten, die Raumfahrt zu revolutionieren. Die Raumfähre bestand aus einem wiederverwendbaren Orbiter, der nach erfolgreicher Mission wie ein Segelflugzeug zurück zur Erde gleitete, und zwei Feststoffraketen, die aus dem Meer gefischt werden mussten. Lediglich der große braune Außentank war Einwegware.

Ursprünglich sollte das Shuttle im Wochenrhythmus starten - zu Kosten von 50 Millionen Dollar pro Mission oder umgerechnet etwa 2000 Dollar pro Kilogramm Nutzlast. Doch es kam anders. Die Raumfähre, eine hochkomplexe Maschine, musste nach jedem Flug generalüberholt werden. Allein die Arbeiten am Hitzeschild dauerten Monate. Das Reinigen und Ausbessern der Feststoffraketen war sogar so teuer, dass Wegwerfbooster vermutlich preiswerter gekommen wären. Letztlich startete das Shuttle in mehr als 30 Jahren nur 135 Mal. Gekostet hat der Spaß die US-Raumfahrtbehörde Nasa geschätzte 120 Milliarden Dollar.

Die Europäer verfolgen ein eigenes Konzept. Sie wollen nur den Motor wiederverwenden

Aktuelle Konzepte zur Wiederverwendbarkeit fallen daher ein paar Nummern kleiner aus. Während SpaceX immerhin die komplette erste Raketenstufe zurück zur Startrampe bringt und sich künftig auch an der zweiten Stufe versuchen will, konzentriert sich der europäische Raumfahrtkonzern Airbus Defence and Space (DS) auf das Herzstück der Rakete: den Motor. Im Sommer haben die Europäer Adeline vorgestellt, ein eigenes Recycling-Konzept. Es sieht vor, das Antriebsmodul nach erfolgreichem Start vom Rest der ersten Stufe abzutrennen, in die Erdatmosphäre fallen zu lassen und dort den Sturz mithilfe kleiner Flügel abzufangen. Anschließend soll das Modul, befeuert von eigenen Triebwerken, in etwa 5000 Metern Höhe zum Startplatz zurückfliegen. "Die Antriebseinheit ist der wertvollste Teil einer Rakete", sagt Adeline-Projektleiter Benoit Isaac. "Der Rest besteht vor allem aus Treibstoff und Tanks." 70 bis 80 Prozent der Gesamtkosten stecken laut Airbus DS im Antrieb. Seit 2009 arbeiten die Europäer nach eigenem Bekunden schon an ihrem Konzept, mit dem ersten Einsatz wird dennoch nicht vor 2025 gerechnet.

Die Amerikaner sind deutlich weiter, und es ist nicht nur SpaceX, das mit gebrauchten Raketen punkten will. Ende November hatte Musks Milliardärskollege Jeff Bezos seinen großen Tag: Der Amazon-Gründer schickte, nachdem er jahrelang im Verborgenen an seinen Raketenplänen gearbeitet hatte, das New-Shepard-Raumfahrzeug in eine Höhe von 100,54 Kilometer. Anschließend flog die Raketenstufe kontrolliert zum Startgelände in Texas zurück, wo sie laut Bezos mit sieben Kilometern pro Stunde aufsetzte, nur etwas mehr als einen Meter vom Zielpunkt entfernt.

Die Flughöhe war geschickt gewählt: Oberhalb von 100 Kilometern beginnt, so die Definition der Internationalen Aeronautischen Vereinigung FAI, das Weltall. "Sicher verstaut in West-Texas liegt nun die seltenste Bestie: eine gebrauchte Rakete", sagte Bezos damals. "Wir können gar nicht darauf warten, sie erneut zu betanken und zu starten."

Elon Musk gratulierte artig, betonte beim sozialen Netzwerk Twitter - seinem bevorzugten Verlautbarungsorgan - aber umgehend, für den suborbitalen Flug des New Shepard sei lediglich dreifache Schallgeschwindigkeit nötig. Um eine Umlaufbahn wie SpaceX zu erreichen, sei bis zu 30-fache Schallgeschwindigkeit nötig. Das verschlinge 100 Mal so viel Energie. Und der Schwung muss beim Rückflug wieder abgebaut werden.

Dennoch hat der Erfolg der texanischen Konkurrenz dem ehrgeizigen Musk offenbar zugesetzt. In der Vergangenheit hatte der Südafrikaner stets betont, die primäre Aufgabe der Falcon 9 liege darin, Satelliten ins All zu bringen. Eine Rückkehr samt Landung sei nur ein nachgeordneter Test, ein Sahnehäubchen. Im Vorfeld des aktuellen Flugs verkündete Musk hingegen - wiederum über Twitter - dass sich der Flug um einen Tag verzögern werde. Nicht etwa wegen technischer Probleme mit der Rakete, sondern wegen besserer Wetteraussichten für die Landung.

Das Warten hat sich gelohnt.

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