Risiko Rinderwahn:Eine neue Krankheit: vCJK

Stehen wir am Beginn einer Creutzfeldt-Jakob-Epidemie, oder ist sie schon vorüber? Schätzungen zukünftiger Opferzahlen variieren zwischen einigen Hundert und mehreren Hunderttausend

Markus C. Schulte v. Drach

In Großbritannien sind seit dem ersten Auftreten der neuen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit insgesamt 137 Menschen mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit an der Krankheit gestorben.

Risiko Rinderwahn: Eines der jüngsten Opfer

Eines der jüngsten Opfer

Zusammen mit noch lebenden Patienten, die wahrscheinlich an vCJK erkrankt sind, zählt das britische Überwachungszentrums für CJK in Edinburghdemnach insgesamt 137 Fälle (Stand: November 2003).

Dazu kommen mindestens fünf Todesfälle in Frankreich.

Fachleute tun sich schwer, das Ausmaß der Katastrophe abzuschätzen - zu viele Faktoren sind noch unklar.

Aber eines steht fest: Trotz erster Erfolge liegt eine Therapie noch in weiter Ferne.

Die Zahl der Erkrankungen nimmt zu

Die Zahl der Erkrankungen ist von Jahr zu Jahr gestiegen: im Jahre 1995 starben drei Menschen, 1996 und 1997 schon jeweils zehn. Ein Jahr später waren es schon 18.

Zwar ging die Zahl im Jahre 1999 auf 15 zurück, 2000 aber stieg sie auf den bisherigen Höhepunkt an: Bei 28 Briten sind sich die Experten sicher, dass die Todesursache vCJK war.

Im Jahr 2001 wurden 20 Fälle bestätigt, und 2002 waren es bislang 17. Und im Jahre 2003 sind bislang 16 Menschen an der Krankheit gestorben. (Daten des Überwachungszentrums für CJK in Edinburgh).

Anlass zur Sorge

Anhand ihrer Daten haben Wissenschaftler vom Überwachungszentrum für CJK in Edinburgh, zusammen mit einer Reihe weiterer britischer Forscher, berechnet, dass die Anzahl von vCJK-Erkrankungen in Großbritannien seit dem ersten Auftreten jährlich um 23 Prozent angestiegen ist, die Zahl der Todesfälle sogar um 33 Prozent.

"Die absoluten Zahlen sind zwar noch klein", erklärten sie im August letzten Jahres, "Aber ein solcher Anstieg sollte Anlass zur Sorge geben."

Wieviele Menschen tötet eine Kuh?

Wie verbreitet aber ist die Krankheit tatsächlich, wieviel Menschen werden noch daran sterben? Zukunftsschätzungen von Wissenschaftlern gehen extrem weit auseinander.

So berechneten Roy Anderson und Neil Ferguson von der University of Oxford, dass eine einzige infizierte Kuh bei höchstens zwei Menschen vCJK auslösen könnte. Insgesamt, so nehmen die britischen Forscher an, wären weniger als 136.000 Tote zu befürchten. Andere Schätzungen gehen von noch weniger Opfern aus.

Der Wissenschaftliche Lenkungsausschuss der Europäischen Kommission war dagegen zuvor zu dem Schluss gekommen, die Erreger eines einziges Rindes könnten auf bis zu 500.000 Menschen übergehen.

In einer Stellungnahme zu den Ergebnissen Fergusons beharrten sie kürzlich auf ihren Schätzungen.

Millionen von Toten

Wenn sie recht haben, so müsste mit Millionen von Toten gerechnet werden. Und dies hält auch Liam Donaldson, Großbritanniens höchster medizinischer Beamter, für möglich.

Eine von der britischen Regierung erst Anfang des Jahres eingerichtete Behörde, die Food Standard Agency (FSA), kam im August zu dem Schluss, dass zur Zeit bestenfalls festgestellt werden könne, dass die Zahl der letztendlich Betroffenen zwischen einigen Hundert und gut über hunderttausend liegen könne.

"Die bisherigen Fälle könnten der Beginn einer sehr großen Epidemie sein, oder wir sind schon dicht vor dem Höhepunkt der Epidemie", stellten die Wissenschaftler etwas ratlos fest.

Organ-Untersuchungen

Hoffnung, den Grad der Durchseuchung in der britischen Bevölkerung zu bestimmen, setzen Wissenschaftler auch in die Untersuchung von Organen wie Blinddärmen und Mandeln, die jährlich zu Tausenden entfernt und konserviert werden.

Sogar zu Lebzeiten sollten sich dort bei einem infizierten Menschen Prionen finden lassen.

Bislang keine Prionen gefunden

In den bislang mehr als 3000 untersuchten Organen, die Patienten auf den britischen Inseln in den Jahren 1996 bis 1998 entnommen worden waren, konnten die Forscher des Überwachungszentrums für CJK in Edinburgh und ihre Kollegen bislang jedoch keine Erreger nachweisen.

Weder beruhigend noch Grund zur Entwarnung

Beruhigend ist das noch nicht. Denn wie John Collinge von der Imperial College School of Medicine in London feststellte:

"Ein negatives Ergebnis ist kein Ergebnis. Wir wissen nicht, ob jeder, der vCJK entwickelt, auch die Prionen in den Mandeln zeigt."

Darüber hinaus könnte auch die Konservierung der Organe den Nachweis der Erreger erschweren.

Auch Großbritanniens oberster Gesundheitsbeamter Donaldson sieht jedenfalls keinen Anlass zur Entwarnung:

"Wir wissen nicht, zu welchem Zeitpunkt der Krankheit sich Hinweise in Mandeln oder Blinddärmen finden lassen."

Wieviele infizierte Rinder wurden verzehrt?

Was niemals endgültig geklärt werden kann, ist die Zahl der erkrankten Rinder, die zu menschlicher Nahrung verarbeitet wurden, bevor Maßnahmen gegen die BSE-Seuche ergriffen wurden.

Schätzungen sprechen von 750.000 infizierten Tieren, die in den Jahren zwischen 1980 und 1996 auf den Markt gelangten.

Und Stephen Dealler, Molekularbiologe vom Burnley General Hospital, geht sogar davon aus, dass mindestens 1,5 Millionen infizierte Rinder in England konsumiert wurden - nicht zuletzt aufgrund der nachlässigen britischen BSE-Politik.

Angesichts dieser Ungewissheit bleibt auch die Frage offen, wieviel Menschen wieviel infizierte Rinder verzehrt und damit überhaupt den Erregern ausgesetzt waren.

Die Lage in Deutschland

Auch deutsche Fachleute versuchen zu schätzen, wieviele Tiere und Menschen hierzulande infiziert wurden. Sie vergleichen dazu Daten aus Deutschland mit jenen aus Großbritannien.

Wie Walter Schulz-Schaeffer von der Universität Göttingen gegenüber der Nachrichtenagentur dpa erklärte, sind in Deutschland selbst nach pessimistischen Schätzungen höchstens 1000 bis 1500 infizierte Tiere zu Nahrung verarbeitet worden.

"Rein rechnerisch", so der Forscher, "hieße das für Deutschland 0 bis 15 vCJK-Fälle".

Andere Wissenschaftler halten Zahlen bis 400 für möglich. Aber: "Neue Infektionen sind derzeit sehr unwahrscheinlich", erklärt Schulz-Schaeffer.

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