Rangliste der Meeresschützer:Deutschland bekommt einen Spitzenplatz

Um die Weltmeere steht es besser als Pessimisten glauben. Amerikanische Forscher haben einen Index entwickelt und bescheinigen den Ozeanen mittlere Qualität. Deutschland schneidet überraschend gut ab.

Christopher Schrader

Eine mittelmäßige Note für die Weltozeane - das ist mehr, als viele Experten für möglich gehalten haben. Die Diskussionen über Überfischung, Überdüngung und Übersäuerung, über Algenblüten, gestrandete Wale und allgegenwärtigen Plastikmüll haben viele Fachleute pessimistisch gemacht. Aber jetzt gibt ein großes amerikanisch-kanadisches Team von Meeresforschern den Ozeanen immerhin eine 60 auf ihre neu-entwickelten Skala, die von Null bis Einhundert reicht - und das obwohl die Wissenschaftler den momentanen Zustand und die Aussichten für die Zukunft zu gleichen Teilen in ihre Bewertung einfließen lassen.

Grafik Weltmeere 2

Die Grafik zeigt die Meeresqualität. Gelb steht für schlechte, blau für gute Qualität.

(Foto: SZ-Grafik)

"Die Resultate unseres Index sind womöglich überraschend", schreiben die Forscher um Benjamin Halpern von der University of California in Santa Barbara in Nature (online), "weil sie dem konventionellen Blick auf die Menschen als Auslöser eines Wandels zum Schlechteren in den Weltmeeren widersprechen." In vielen Aspekten schade die Weltbevölkerung den Ozeanen tatsächlich, und doch seien die Meere heute wie in Zukunft in der Lage, den Menschen unersetzliche Dienste zu leisten.

Halperns Team hat dazu zehn Bereiche identifiziert. Dazu gehört natürlich der Fischfang als Quelle von Nahrungsmitteln. Daneben zählen die Forscher den Tourismus, die Biodiversität, die Qualität des Küstenschutzes oder die Fähigkeit des Meeres, vom Menschen ausgestoßenes Kohlendioxid zu binden. Die Faktoren reichen bis zu einem Heimatgefühl, das idyllische Strände oder heimische Tierarten wie Schildkröten oder Wale auslösen können.

All diese Faktoren lassen die Meeresforscher gleichberechtigt in ihren Index einfließen und ermitteln daraus einen Wert für die 200-Seemeilen-Zonen aller Staaten mit Meeresküsten. Im globalen Durchschnitt liegt dieser Wert bei 60. Die beste vergebene Note von 86 bekommen die Jarvisinsel, ein unbewohntes Eiland im Südpazifik. Die schlechteste, eine 36, geht an das afrikanische Sierra Leone.

Schlechte Note in Kategorie Tourismus

Die entwickelten Staaten erreichen generell mehr Punkte als die armen, weil sie in vielen Fällen ihre Küsten wirtschaftlich nutzen und durch Gesetze schützen. Unter den Industriestaaten wiederum liegt Deutschland mit einer 73 ganz vorn - im Gesamtklassement auf Rang 3 zusammen mit den Seychellen, überholt nur von zwei unbewohnten Inseln. Die Nachbarstaaten wie Dänemark oder die Niederlande liegen knapp dahinter, Polen bekommt nur eine 42.

Grafik Weltmeere 1

In der Grafik sind die Noten für die deutsche 200-Seemeilen-Zone zu sehen.

(Foto: SZ-Grafik)

Gerade diese Unterschiede begeistern Martin Visbeck vom Forschungszentrum Geomar in Kiel. "Dieser Index kann eine Konkurrenz zwischen Küstenländern auslösen, den Schutz des Meeres zu verbessern und es nachhaltiger zu nutzen", sagt der Ozeanograf. Die verschiedenen Faktoren in einer einzigen Zahl zusammengefasst böten im Gespräch mit Politikern eine gute Argumentationsbasis. "Außerdem wird durch die Berechnung klar, dass manche Einzelaktion Vorteile in der einen, aber Nachteile in der anderen Kategorie auslöst." Die gute Note für Deutschland erklärt er damit, dass das Land viel dafür tue, die stark belasteten Gewässer in Nord- und Ostsee zu schützen und zu sanieren.

Der Ansatz ist eigentlich sehr spannend, all diese Faktoren zusammen zu fassen", ergänzt Dierk Hebbeln vom Bremer Forschungszentrum Marum. "Aber die Berechnung müsste auf regionaler Ebene passieren." Ein globaler Vergleich sei gar nicht so spannend, so lange die Entscheidungen über die 200-Seemeilen-Zonen in Nationalstaaten oder Bündnissen wie der EU getroffen werden.

Dennoch ist die Spitzen-Platzierung überraschend, zumal Deutschland in einer Kategorie eine unfair niedrige Note bekommen hat. "Hier an der Küste kann man zurzeit vor lauter Touristen nicht auftreten", sagt Hebbeln, "und dann bekommt Deutschland zwei von 100 Punkten?" Die Lösung steht im Kleingedruckten: Die Autoren haben geschätzt, wie viele der aus dem Ausland einreisenden Touristen an der Küste Urlaub machen. Dazu haben sie die Bevölkerungsverteilung in ganz Deutschland herangezogen. Da die Orte an Nord- und Ostsee im Vergleich zu Großstädten wie München und Berlin wenig Einwohner haben und weil zudem viele Deutsche dort hinreisen, schneidet das Land schlecht ab. Die Autoren selbst sind mit dieser Kategorie noch nicht zufrieden.

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