Radioaktivität in Asse II:Salzlauge an fünf Stellen

Schon seit Anfang der 1990er Jahre tritt in dem Bergwerk Asse II radioaktiv verseuchte Salzlauge aus. Warum informierte der Betreiber nicht die Öffentlichkeit?

Christopher Schrader

Unzuverlässig zu sein, ist schon im privaten Umfeld ein schwerer Vorwurf. Doch wenn es um Atomanlagen geht, ist kaum härtere Kritik an einem Betreiber denkbar. Darum müssen die Worte von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Mitarbeiter des Helmholtz-Zentrums München getroffen haben.

Sie betreiben seit 1967 das Forschungsbergwerk Asse II in Niedersachsen. Hier sind bis 1978 insgesamt knapp 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen eingelagert worden.

Schon seit Anfang der 1990er-Jahre aber tritt in dem Bergwerk radioaktiv verseuchte Salzlauge aus, wie vor kurzem bekannt wurde. Weil das Helmholtz-Zentrum die Öffentlichkeit nicht informiert hatte, zweifelte Gabriel am Sonntag bei einer Veranstaltung in der Nähe des Bergwerks,das in seinem Wahlkreis liegt, die Zuverlässigkeit der Betreiber an - auch wenn niemand eine akute Gefahr für die Anlieger des Bergwerks sieht.

Der Pressesprecher des Helmholtz-Zentrums Heinz-Jörg Haury räumte am Montag gegenüber der Süddeutschen Zeitung Versäumnisse ein. "Unsere Strahlenschützer wussten nicht, dass das mitteilenswert ist. Sie hatten kein Gefühl dafür, dass es die Öffentlichkeit interessiert, was mit der radioaktiv-verseuchten Lauge in Asse passiert", sagte er.

Tatsächlich enthalten die jüngsten Strahlenschutz-Berichte über das Bergwerk nirgendwo das Wort "Lauge". Die zuständigen Behörden hätten aber seit langem Bescheid gewusst, hatte der Betreiber schon Montag voriger Woche verbreitet.

Ungeklärte Herkunft der radioaktiven Stoffe

Im Bergwerk Asse II trat und tritt an fünf Stellen Salzlauge aus, erklärt Haury. Zum einen fangen die Betreiber auf den Sohlen in 658 und 750 Metern Tiefe pro Tag 12.200 Liter Lauge aus dem Deckgestein auf. Sie weisen radioaktive Spuren weit unterhalb der Grenzwerte auf. In der Tiefe von 750 Metern, wo die Abfälle in bereits verfüllten Kammern liegen, ist dreimal radioaktiv verseuchte Lauge ausgetreten.

Ende der 1990er tropfte an einer Stelle ein Wasserglas voll Flüssigkeit, deren Strahlung etwa das Elffache des Grenzwerts betrug. Dann versiegte die Quelle. Eine größere Ansammlung von Lauge, die den dreifachen Grenzwert erreichte, ist inzwischen trockengefallen.

Vor Kammer 12 schließlich standen etwa 80.000 Liter Lauge, die das Achtfache des Grenzwerts enthielt. Diese Flüssigkeit hätten die Betreiber auf 950 Meter gepumpt, um Flüssigkeitsbarrieren bauen zu können. Allerdings strömen etwa 30 Liter pro Tag nach.

Woher die radioaktiven Stoffe kommen, ist noch nicht geklärt. Die Betreiber von Asse II nehmen an, dass bei Einlagerung der Fässer in den 1970er-Jahren der unterirdische Fahrweg kontaminiert wurde. "Wir haben im Archiv bisher einen Bericht darüber von 1978 gefunden", sagt Haury. "Demnächst wollen wir alle Pensionisten einladen, ob die was wissen."

Aus bereits in den 1930er-Jahren verfüllten Kammern quelle Lauge und löse die radioaktiven Stoffe. Allerdings ist auch nicht auszuschließen, dass eingelagerte Fässer leck geworden sind.

Gefährlich an der Lauge sei aber nur das Cäsium-137, sagt Haury, alle anderen Strahlenstoffe seien weit unterhalb der Grenzwerte. Und auch das Cäsium werde in 90 Jahren, also nach drei Halbwertszeiten, unter den Grenzwert kommen.

Bis dahin sei die Lauge auf 950 Metern sicher. "Wenn Lauge mit dem Atommüll in Verbindung kommt, kann es jede Menge chemischer Reaktionen geben", warnt hingegen Rolf Bertram, emeritierter Professor für physikalische Chemie in Braunschweig, der seit Jahrzehnten in der Anti-Atombewegung aktiv ist.

Darin stimmen ihm die Betreiber von AsseII sogar zu. Sie erproben seit Jahrzehnten, wie lange die verwendeten Fässer der Lauge widerstehen. Um wenigstens das Bergwerk zu stärken, planen sie zudem, es mit einer Magnesiumlösung zu fluten, die im Gegensatz zur jetzt austretenden Kochsalzlauge das Gestein nicht angreift.

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