Mobiltelefone und Hirntumoren:"Wirkung von Handys auf das Gehirn reduzieren"

Seit Jahren wird darum gestritten, ob Handystrahlung gefährlich ist. Die bislang größte Studie bietet nun Grund zur Sorge.

Christopher Schrader

Wer viele Jahre lang intensiv ein Handy benutzt, hat womöglich ein deutlich erhöhtes Risiko, an einem seltenen Hirntumor zu erkranken.

Handy Mobiltelefon Handystrahlung ddp

Handys könnten zu etwa tausend zusätzlichen Fällen von Gliomen - gefährlichen Hirntumoren - in Europa und den USA führen.

(Foto: Foto: ddp)

In der bisher größten Untersuchung zu dem Thema, der internationalen Interphone-Studie, war die Gefahr für die intensivsten Nutzer um 40 Prozent erhöht; zu dieser Gruppe gehörten schon Menschen, die zehn Jahre lang jeden Tag eine halbe Stunde das Mobiltelefon benutzten.

"Die obersten zehn Prozent unserer Studiengruppe scheinen tatsächlich ein erhöhtes Risiko zu haben, ein Gliom zu entwickeln", sagt Elisabeth Cardis vom Umweltforschungszentrum Creal in Barcelona, die die Studie geleitet hat.

An diesem Leiden erkranken in Europa und Nordamerika pro Jahr etwa drei von 100.000 Menschen; Handys könnten den Zahlen der Studie zufolge zu etwa tausend zusätzlichen Krebsfällen auf beiden Kontinenten führen.

Cardis drückt sich so vorsichtig aus, weil sich der Krebsverdacht gegen Handys durch Interphone zwar erhärtet hat, die Studie aber keinen handfesten Beweis liefert.

Die Untersuchung für die gesamte Studiengruppe - immerhin 5200 Krebspatienten und 7700 Kontrollpersonen im Alter zwischen 30 und 59 Jahren - hat nämlich ein verblüffendes Resultat erbracht. Auf den ersten Blick scheint der Gebrauch von Handys sowohl vor dem bösartigen Gliom als auch dem gutartigen Meningeom zu schützen (International Journal of Epidemiology, online).

"Legitime Unterschiede der Interpretation"

"Das hat sicherlich keine biologische Basis, sondern liegt an methodischen Problemen unserer Studie", sagt Cardis.

Bei der Bewertung der Zahlen in der 20-seitigen Veröffentlichung und den beiden Anhängen von zusammen 13 Seiten gebe es darum "legitime Unterschiede der Interpretation" unter den Forschern.

Die Studie bleibt also hinter den hohen Erwartungen zurück, eine lang erwartete Antwort auf die Frage nach den möglichen Gesundheitsgefahren durch Handys zu liefern. Weil die Ergebnisse so widersprüchlich sind, werden sich Interessenvertreter beider Seiten die Daten herauspicken, die zu ihrem Blickwinkel passen.

Den Anfang hat die Handyindustrie bereits gemacht, ehe die Studie offiziell erschienen war. Der internationale Verband der Handyindustrie, das Mobile Manufacturers Forum, feiert die Ergebnisse als eindeutigen Sieg.

"Die Interphone-Studie liefert eine weitere Bestätigung über die Sicherheit von Mobiltelefonen", erklärt Michael Milligan, Generalsekretär der Organisation.

Auch bei einer Verwendung von mehr als zehn Jahren gebe es keine Gesundheitsrisiken, liest er aus den Daten - ignoriert dabei aber nicht nur den Forschungsstand, sondern auch eine Seite der Ergebnisse.

Weil es sich die Forscher bei der Bewertung ihrer Daten nicht so einfach machen, stecken sie in einem Dilemma. Die Meinungsunterschiede zwischen den 21 Wissenschaftlern aus Europa, Israel, Kanada, Australien, Neuseeland und Japan haben die Veröffentlichung der Studie um Jahre verzögert.

"Ein klares, widerspruchsfreies Bild"

Die Daten stammen aus der Zeit zwischen 2000 und 2004; Forscherteams aus neun der 13 Länder hatten ihre Teilergebnisse seit 2005 veröffentlicht.

Zu den Gesamtkosten von knapp 20 Millionen Euro hatte die Mobilfunkindustrie 5,5 Millionen Euro beigesteuert. Das geschah allerdings in einer Weise, so beteuern die Forscher, die einen Einfluss der Firmen auf die Ergebnisse ausschloss.

Elisabeth Cardis gehört dabei zu den Forschern, die das Risiko für die intensiven Nutzer ernst nehmen. Sie verweist zum Beispiel auf die Daten zur Lokalisation der Tumore.

Krebs in der Nähe des Ohrs

Die Vieltelefonierer unter den Teilnehmern hatten weit überdurchschnittlich einen Krebsbefall in einem Schläfenlappen des Gehirns, also in der Nähe des Ohrs. Außerdem war deutlich stärker die Kopfhälfte betroffen, an die die Patienten ihrer eigenen Erinnerung nach das Handy meist gehalten hatten.

Dieses Teilresultat lässt sich auch nicht damit wegerklären, dass sich die Patienten im Nachhinein eingeredet haben, ihr Handy bevorzugt an der Seite mit dem Tumor benutzt zu haben. Träfe das zu, hätte sich in der Statistik zeigen müssen, dass der Handygebrauch links vor Tumoren rechts schütze. Diese Zahlen waren aber statistisch unzuverlässig.

"Das ergibt ein klares, widerspruchsfreies Bild", bestätigt der Epidemiologe Eberhard Greiser, der früher ein Institut der Universität Bremen leitete und heute mit einer Firma weiter Studien etwa über Fluglärm durchführt.

"Eine hohe Dosis Strahlung führt in dem betroffenen Gewebe zum Ausbruch eines sonst seltenen Krebsleidens." Allerdings hält er es für unverständlich, warum die Studiengruppe "diese plausiblen Daten in der Zusammenfassung als unplausibel darstellt".

Tatsächlich steht auf der ersten Seite der Studie: "Insgesamt wurde kein erhöhtes Risiko für Gliome und Meningeome mit dem Gebrauch von Mobiltelefonen beobachtet."

Risiko oder doch kein Risiko

Die ausführlich dargestellten Resultate zu den intensiven Nutzern bewertet das Paper hier als "Hinweise". "Die Ergebnisse erlauben wirklich nicht den Schluss, dass von der Handy-Nutzung ein Risiko ausgeht", sagt Christopher Wild, Direktor des Internationalen Krebsforschungszentrum der Weltgesundheitsorganisation in Lyon, unter dessen Dach die Interphone-Studie stattfand. Andererseits sei es "voreilig zu sagen, dass mit der Handy-Nutzung kein Risiko verbunden ist".

Die Ambivalenz der Forscher zeigt auch die Wertung von Joachim Schüz vom dänischen Krebsforschungszentrum; er hatte während seiner Zeit an der Universität Mainz den deutschen Arm der Studie begonnen und ihn von Kopenhagen aus weiter geleitet. "Es kann sein, dass die Daten über die intensivsten Nutzer ein ernster Hinweis auf ein erhöhtes Risiko sind, aber es kann auch sein, dass sie vollständig durch Fehler zu erklären sind." Man könne "aus den Daten nicht mehr herausquetschen, als sie hergeben".

Tatsächlich geben sie aber eine Menge her. Die Interphone-Studie hat nämlich mit ihren hohen Fallzahlen eine statistische Hürde übersprungen, an denen frühere Untersuchungen oft gescheitert waren: die statistische Signifikanz.

Neben den Angaben, um wie viel Prozent der Handygebrauch das Krebsrisiko von Teilgruppen erhöht, stellten die Forscher stets das sogenannte Konfidenzintervall. In diesem Bereich liegt ihrer Berechnung nach das wahre Ergebnis zu 95 Prozent Wahrscheinlichkeit. Ohne eine solche Ergänzung wäre die Angabe des Risikos unseriös.

Auf der Suche nach möglichen Fehlern

Erst wenn dieses Intervall die Nulllinie ausschließt, bei der kein Einfluss des Mobiltelefons auf den Krankheitsverlauf zu erkennen ist, gilt das Ergebnis als signifikant. Dann erst können die Forscher zu 95 Prozent sicher sein, dass ihre Aussage über ein erhöhtes Risiko nicht auf Zufällen beruht.

Diese Signifikanz zeigt sich sowohl bei dem um 40 Prozent erhöhten Risiko der intensiven Nutzer und der Lokalisation ihrer Tumore als auch beim scheinbaren Schutz vor Krebsbefall im Mittel über alle Teilnehmer. Es ist also nicht möglich, die widersprüchlichen Aussagen ohne stechende Argumente als falsch abzutun.

Die Forscher haben darum viel Zeit und Mühe auf die Suche nach möglichen Fehlern verwendet. Als wichtigsten haben sie eine Verzerrung bei der Auswahl der Kontrollpersonen ausgemacht. Diese wurden ursprünglich durch Zufallsauswahl in offiziellen Melderegistern identifiziert. Nur gut die Hälfte der Angesprochenen hat sich aber die Zeit genommen, mit den Forschern einen Fragebogen auszufüllen. Darunter waren überproportional viele Handybenutzer.

Hinzu kommt, vermutet Joachim Schüz, dass manche Krebspatienten im Anfangsstadium ihres Leidens kein Handy angeschafft haben, weil sie die ersten neurologischen Symptome daran hinderten, es sinnvoll zu benutzen.

Beide Fehler addieren sich: Wenn die gesunden Kontrollpersonen in höheren Maß, die Kranken aber in geringerem Maß als erwartet ein Handy benutzten, dürfte die Studie das wahre Risiko unterschätzen - sogar bis zum Punkt, dass für die Gesamtgruppe ein scheinbarer Schutz herauskommt.

Die Frage, die sich den Forscher stellte, ist nun, ob dieser Fehler auch die Resultate für die intensiven Nutzer unbrauchbar macht. Eine große Gruppe von ihnen bestreitet dies genauso wie zum Beispiel der unabhängige Experte Eberhard Greiser.

Außerdem haben einige andere Studien bereits für genau die gleiche Gruppe intensiver Nutzer und auch für Gliome ermittelt, dass Handygebrauch das Risiko einer Erkrankung um 25 bis 100 Prozent erhöht. Die Interphone-Gruppe hat darum die Daten in mehreren zusätzliche Analysen mit anderen Auswertemethoden oder einem anderen Zuschnitt der Kontrollgruppe durch den Computer gejagt und das signifikante Risiko der intensiven Nutzer jedes Mal bestätigt.

Signifikantes Risiko bestätigt

Mehrere zusätzliche Analysen der Interphone-Daten mit anderen Auswertemethoden oder einem anderen Zuschnitt der Kontrollgruppe bestätigen das signifikante Risiko der intensiven Nutzer.

Die Forscher haben sich auch mit der Frage beschäftigt, ob sich ihre Versuchspersonen vielleicht nicht mehr korrekt an ihren Handygebrauch erinnern konnten - bei Patienten mit Hirntumoren ist das ein naheliegender Zweifel. In zusätzlichen Analysen hatte sich allerdings kein klares Muster gezeigt, weil die Wenigtelefonierer die Dauer offenbar unter- und die intensivsten Nutzer die Dauer übertrieben hatten.

Manche Werte konnten die Forscher allerdings kaum glauben. So hatten 38 Tumorkranke und 22 Kontrollpersonen angegeben, ihr Handy jahrelang täglich mindestens fünf Stunden benutzt zu haben. Diese Angaben nachträglich herunterzustufen, änderte kaum etwas an dem Ergebnis.

Erst als die Angaben dieser Teilnehmer als vollkommen unzuverlässig angesehen und aus der Analyse ausgeschlossen wurden, verlor das erhöhte Risiko für intensive Nutzer knapp seine statistische Signifikanz.

Andererseits weisen die Forscher darauf hin, dass die Ergebnisse der Teilgruppen nicht wie erwartet angeordnet sind. Sie hatten ihre Probanden nach der Gesamtzahl der am Handy verbrachten Stunden in Zehn-Prozent-Gruppen eingeteilt, und nur bei der obersten hatte sich die Risikoerhöhung gezeigt.

Die Werte der unteren neun Gruppen waren aber nicht mit zunehmenden Gebrauch langsam angestiegen. Das spräche eher "dagegen, dass es sich (bei Handys und Krebs, d. Red.) um Ursache und Effekt handelt", heißt es in dem Abschlussbericht.

Dennoch haben sich alle Forscher gemeinsam dafür entschieden, die herausstechenden Resultate nicht nur zu nennen, sondern auch in der wichtigen Zusammenfassung auf der ersten Seite anzusprechen.

"Wir haben es hervorgehoben, weil wir es für angemessen hielten, das zu tun", sagte der australische Forscher Bruce Armstrong von der Universität Sydney lokalen Medien. Die Forscher fürchten nämlich von der Entwicklung überrannt zu werden.

"Der Handygebrauch heute, besonders bei Kindern und Jugendlichen, ist viel stärker als bei all unseren Versuchspersonen", sagt Elisabeth Cardis. Andererseits strahlten heutige Handys weniger als Modelle vor zehn Jahren, ihre Besitzer nutzten mehr Freisprecheinrichtungen und schrieben häufiger SMS.

Cardis zieht, wie viele ihrer Kollegen, daraus eine persönliche Konsequenz: "Wo immer möglich sollte man die Wirkung des Handys auf das Gehirn reduzieren."

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